Wahlen in Türkiye  / Photo: AP (AP)
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Ferhat Kopuz, ein im Ausland lebender türkischer Staatsbürger, der von Istanbul nach Sydney reiste, gab am Donnerstag (27. April) die erste Stimme ab, unmittelbar nachdem die Wahlurnen für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Türkiye geöffnet wurden.

Kopuz machte von seinem demokratischen Recht im Zollbereich des internationalen Flughafens Istanbul Gebrauch, wo eine Kabine für „Auslandstürken“ eingerichtet wurde, die in das Land ein- oder ausreisen.

Für die türkische Diaspora läuft die Wahl vom 27. April bis zum 9. Mai, wie der Oberste Wahlrat von Türkiye (YSK) mitteilte. In Türkiye ansässige Bürger werden am 14. Mai wählen.

Rund 3,4 Millionen im Ausland lebende Türken sind berechtigt, bei den bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ihre Stimme abzugeben. Etwa 1,5 Millionen von ihnen machten bei der letzten Wahl von ihrem Wahlrecht Gebrauch.

Die diplomatischen Vertretungen von Türkiye haben nach offiziellen Angaben an 156 Orten in 73 Ländern Wahlkabinen eingerichtet.

„Wie es aussieht, sind die Menschen aufgeregter, als sie es bei den letzten Wahlen waren. Es gab lange Schlangen, als sich die Wähler in die Wählerverzeichnisse eintrugen“, sagt Bülent Güven, ein türkisch-deutscher Politikwissenschaftler, der in Hamburg lebt.

Ein Großteil der türkischen Diaspora lebt in Westeuropa, wo sich in den 1960er Jahren im Rahmen eines Anwerbeabkommens nach dem Zweiten Weltkrieg Arbeitsmigranten niederließen. Sie stellen die größte muslimische Einwanderergruppe in Westeuropa dar.

Mit über 1,5 Millionen registrierten Diaspora-Wählern steht Deutschland an der Spitze der Länder, in denen die türkische Politik mit Spannung verfolgt wird, gefolgt von Frankreich, den Niederlanden und Belgien.

Die Diaspora hat andere Prioritäten als ihre Landsleute in der Heimat, insbesondere was die Faktoren betrifft, die Einfluss auf die Wählerpräferenz haben.

„Die Menschen hier legen Wert auf das internationale Image von Türkiye, sie sind stolz auf das selbst entwickelte Elektroauto TOGG, auf die Drohnen und auf das kürzlich eingeweihte Kriegsschiff TCG Anadolu“, so Güven gegenüber TRT World.

Im Vergleich zu den 61 Millionen registrierten Wählern in Türkiye mag die Stimme der Diaspora gering erscheinen, aber ihre Zustimmungswerte könnten entscheidenden Einfluss haben, wie sich 2018 zeigte.

„Ich denke, dass die Zahl der Diaspora-Wähler nicht unter das Niveau der letzten Wahlen sinken wird“, sagt Mehmet Köse, der ehemalige Leiter von YTB, dem Präsidium für Auslandstürken und verwandter Gemeinschaften.

Wie wählen die Türken im Ausland?

Während die Diaspora-Wahlen bereits am 27. April begannen, hat die YSK für die verschiedenen Länder je nach Bevölkerungszahl unterschiedliche Starttermine und Zeiträume festgelegt.

In Amsterdam, also den Niederlanden, begann die Wahl erst am 29. April und dauert neun Tage bis zum 7. Mai, berichtet Mahmut Burak Ersoy, der türkische Generalkonsul in Amsterdam.

„Der Wahlkalender ist in einigen Ländern aufgrund der Anzahl der dort lebenden Türken anders. Außerdem muss man bedenken, dass die Niederlande kein so großes Land wie Deutschland sind und es hier einfacher ist, über kurze Strecken anzureisen“, sagte er gegenüber TRT World.

In den Niederlanden sind mehr als 280.000 türkische Wähler registriert. Rund 150.000 Türken leben in und um Amsterdam, aber nur 40.000 sind als Wähler registriert, so der Generalkonsul.

Wahlberechtigte konnten zwischen 9 und 21 Uhr im RAI Amsterdam Convention Center, dem größten Gebäude der Stadt, ihre Stimme abgeben.

Wähler müssen ihren türkischen Personalausweis oder ein anderes Dokument, wie z. B. eine Heiratsurkunde, mitbringen, um ihre Identität nachzuweisen. Im Wahllokal werden sie zunächst einem fünfköpfigen Ausschuss vorgestellt, der prüft, ob die betreffende Person im Wählerverzeichnis der Auslandstürken eingetragen ist.

Der Ausschuss besteht aus zwei türkischen Regierungsbeamten und drei Vertretern derjenigen politischen Parteien, die bei der letzten Wahl die meisten Stimmen erhielten.

Ein steigender Trend

Im Laufe der Jahre hat Türkiye mehrere Gesetzesänderungen vorgenommen, um türkischen Staatsangehörigen im Ausland die Teilnahme an den Wahlen zu erleichtern.

So werden türkische Staatsbürger automatisch in die vom Obersten Wahlrat geführten Wählerlisten eingetragen und müssen sich nur noch vergewissern, dass ihre Daten in den Wählerlisten auftauchen, bevor die Wahl beginnt, erklärt Köse.

Die Wähler können ihre Angaben leicht in elektronischer Form überprüfen.

Aber die Dinge waren nicht immer so einfach.

In den 1950er Jahren erhielten die im Ausland lebenden Türken zwar auf dem Papier das Recht, an den inländischen Wahlen in Türkiye teilzunehmen. Doch verfahrenstechnische Schwierigkeiten wie die Auflage, persönlich nach Türkiye zu reisen, um sich in das Wählerverzeichnis eintragen zu lassen, hielten Wähler im Ausland davon ab, berichtet Köse.

In den folgenden Jahrzehnten wurden die Vorschriften gelockert, und ab 1987 konnten nicht in Türkiye ansässige türkische Staatsangehörige an den Grenzübergängen wählen, wenn sie während der Wahlzeit in Türkiye ein- oder ausreisten. Doch das reichte nicht aus, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen.

„Zwischen 1987 und 2011 haben maximal 270.000 Menschen an den Zollstellen (Grenzübergängen wie Flughäfen) gewählt. Das war sehr wenig. Manchmal waren es sogar nur 40.000 oder 50.000“, sagt Köse.

Die Wahlbeteiligung der im Ausland lebenden Türken stieg ab 2014 sprunghaft an, als in den Städten und Gemeinden, in denen die türkische Diaspora lebt, Wahlkabinen eingerichtet wurden und das Verfahren zugänglich wurde.

Im Jahr 2014 gab von den 2,8 Millionen registrierten Wählern im Ausland bei den Präsidentschaftswahlen lediglich eine halbe Million ihre Stimmen ab. Präsident Recep Tayyip Erdoğan war mit 62,5 Prozent der Stimmen Wahlsieger im Ausland.

Bei den Parlamentswahlen im folgenden Jahr stieg die Wahlbeteiligung, da mehr Wahllokale eingerichtet wurden und die Dauer der Stimmabgabe verlängert wurde. Es wurden mehr als eine Million Stimmen abgegeben.

Erdoğans AK-Partei ging erneut als Wahlsieger hervor.

Beim Verfassungsreferendum von 2017, mit dem die Arbeitsweise des Präsidenten reformiert werden sollte, betrug die Wahlbeteiligung unter den Auslandstürken 1,4 Millionen.

Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2018, die die AK-Partei erneut für sich entschied, stieg die Wahlbeteiligung der ausländischen Türken auf mehr als 1,5 Millionen.

Seit den 1980er Jahren stärkt die türkische Diaspora den Mitte-Rechts-Parteien den Rücken, angefangen mit der Mutterlandspartei des ehemaligen Ministerpräsidenten Turgut Özal, konstatiert der Hamburger Politikwissenschaftler Güven.

„Diese konservative Ausrichtung hat sich mit dem Aufkommen der AK-Partei fortgesetzt, die die meisten Stimmen von im Ausland lebenden türkischen Bürgern erhält.“

Die mangelnde Repräsentation von Politikern mit türkischen Wurzeln in Europa ist vielleicht ein Grund dafür, dass die Diaspora bei den türkischen Wahlen Anspruch auf mehr Mitspracherecht erhebt.

So gab es beispielsweise in den 1990er Jahren in den Niederlanden mehr niederländisch-surinamische Politiker als niederländisch-türkische, obwohl die Türken eine größere Bevölkerungszahl hatten. Surinam, ein kleiner südamerikanischer Staat, hat eine Gesamtbevölkerung von über einer halben Million.

Eine insgesamt weitverbreitete antitürkische Stimmung wurde besonders während des Brexits deutlich, als rechtsgerichtete Politiker Lügen über eine Gruppe türkischer Migranten verbreiteten, die angeblich versuchten, Großbritannien zu erreichen.

In diesem Sinne stellt neben den genannten Gründen, die dem Zuspruch der Diaspora Auftrieb geben, die Tatsache, dass Türkiye unter Erdoğans Führung auch dem diplomatischen Anspruch auf internationaler Ebene, beispielsweise bei der Vermittlung des Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine, Geltung verschafft hat.