Internationaler Strafgerichtshof / Photo: DPA (dpa)
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Am 11. Januar beginnt die Anhörung des Staates Südafrika gegen Israel. Am 29. Dezember hatte das Land am Internationalen Gerichtshof (IGH) eine 84-Seiten umfassende Anklageschrift gegen Israel wegen Völkermordes eingereicht. Das Land, das selbst lange Zeit Apartheidstaat war und dessen unterdrückte indigene Bevölkerung dabei jahrzehntelang auf die Unterstützung von palästinensischer Seite zählen konnte, verspricht sich einen juristischen Erfolg.

Rolle des Internationalen Gerichtshofs

Ein Spruch des 15-köpfigen IGH, einem Zivilgericht zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ländern und nicht Personen, hat zwar keine bindende Wirkung, ist aber politisch bedeutsam. Nicht nur ist Israel selbst Mitunterzeichner der UN-Völkermordkonvention aus dem Jahr 1948, welche dem IGH ein Mandat verleiht. Wichtiger noch: Auch zahlreiche wichtige Verbündete – allen voran die USA –, die stets einen Völkermord ausgeschlossen haben, sind Mitglied und könnten dadurch unter politischen Druck geraten. Nebenbei hat der IGH – insbesondere für Israel – eine historisch-symbolische Bedeutung, ist er doch gegründet worden, um mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie den Holocaust in Zukunft zu verhindern.

Die Völkermordkonvention definiert Genozid oder Völkermord als „Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Zu bestrafen sind gemäß der Konvention Völkermord, Verschwörung zur Begehung von diesem, unmittelbare und öffentliche Aufstachelung zur Begehung von Völkermord, der Versuch, Völkermord zu begehen, sowie Teilnahme am Völkermord. Wird ein solches Vergehen festgestellt, wird die entsprechende Partei vor das internationale Strafgericht gebracht.

Die Zerstörung

Südafrika listet das Ausmaß der Zerstörung in seiner Anklageschrift genauestens auf. Die wichtigsten Zahlen, die mit Beweisen und im Detail dargelegt werden: 1,9 Millionen Vertriebene, 21.110 getötete Menschen in Gaza (darunter 7.729 Kinder, 4.037 Studierende und 209 Lehrkräfte), 4.700 vermisste Frauen und Kinder, 55.243 Verwundete, 355.000 zerstörte Häuser, 352 Schulen, 318 Gebetshäuser (Kirchen und Moscheen) sowie 7.259 verletzte Studierende und 619 verletzte Lehrkräfte.

Die Absicht zum Völkermord

Das Schwierige an derlei Fällen ist die oftmals nicht nachzuweisende Absicht zum Völkermord. Üblicherweise wird die Absicht zum Völkermord nicht offen zur Schau gestellt. Wie die Weltöffentlichkeit aber mitverfolgen konnte, verhält sich dies im Falle Gazas sehr außergewöhnlich. Ganze acht Seiten widmen sich der Auflistung einer solchen Absicht, angefangen mit dem Premierminister, dem Präsidenten, dem Verteidigungsminister, dem Minister für Nationale Sicherheit sowie zahlreichen anderen Regierungsmitgliedern sowie Armeeangehörigen. Darunter fallen Aussagen wie jene des Verteidigungsministers „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere“ oder des Präsidenten wie „Es stimmt nicht, dass die Zivilisten nichts wissen und nicht beteiligt sind. Das ist absolut nicht wahr.“ Des Weiteren stützt Südafrika seine Darstellung auf Einschätzungen von weiteren Angehörigen der Vereinten Nationen, welchem der IGH zugehörig ist.

Die Klage

Südafrika argumentiert, dass der Staat „Israel via Staatsorgane, Beamte sowie weitere Personen und Einrichtungen unter seiner Direktive, Kontrolle oder Einfluss“ gegen fünf Artikel der Menschenrechtskonvention verstoßen habe. In einem ersten Schritt gilt es, die Zuständigkeit des IGH zu klären. Südafrika will in einem ersten Schritt eine einstweilige Verfügung gegen Israel erwirken. Eine Klage des Staates Gambia im Jahre 2019 gegen Myanmar wegen Völkermordes an den Rohingya wird als vergleichbarer Präzedenzfall herangezogen, da in diesem Fall entschieden wurde, dass alle Unterzeichnerstaaten der Völkermordkonvention Streitfälle geltend machen dürfen und nicht nur direkt Betroffene.

Den ausgewiesenen Experten auf südafrikanischer Seite wie John Dugard, Adila Hassim, Tembeka Ngcukaitobi, Max du Plessis, Tshidiso Ramogale, Sarah Pudifin-Jones und Lerato Zikalala steht auf israelischer Seite unter anderem der versierte britische Rechtswissenschaftler und Anwalt Malcolm Shaw gegenüber. Er hatte bereits Länder wie Aserbaidschan, Serbien und die Vereinigten Arabischen Emirate vertreten. Sowohl Südafrika wie auch Israel dürfen je einen Richter für den 15-köpfigen IGH nominieren. Dem Südafrikaner Dikgang Moseneke wird vermutlich Alan Dershowitz auf israelischer Seite gegenübersitzen.

Politischer Druck

Trotz des möglicherweise mehrjährigen Verfahrens, das hier begonnen wurde, birgt ein erster möglicher Beschluss über das weitere Verfahren Sprengkraft. Erstens für befreundete Staaten, die Israel militärisch unterstützen, sollte der IGH entscheiden, dass der Fall weiter angehört wird. In Kreisen der israelischen Regierung scheinen die Drähte heiß zu laufen, weshalb israelische Botschaften den Auftrag erhalten haben, international Druck auszuüben, um vor dem 11. Januar möglichst viel Unterstützung gegen das Vorhaben von Südafrika zu mobilisieren. Ein Regierungssprecher sprach von bodenlosen Behauptungen und nannte die Klage eine absurde Ritualmordlegende, verknüpfte die Klage also mit klassischen antisemitischen Legenden. Die Furcht vor weiterem Schaden am internationalen Ansehen ist deutlich spürbar.

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