Fahnen von Türkiye und der EU/ Photo: DPA (dpa)
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Beim EU-Gipfel mit lateinamerikanischen und karibischen Ländern sprach der niederländische Premierminister Mark Rutte ganz überraschend von einer „ziemlich arroganten“ Haltung der EU-Außenpolitik gegenüber anderen Ländern. Diese Arroganz, die allmählich auch von europäischen Ländern eingestanden wird, macht sich seit Jahren im Umgang mit Türkiye bemerkbar – und zwar so, dass die Interessen, Bedenken und Positionen von Ankara nicht berücksichtigt oder pauschal als verkehrt und inakzeptabel abgestempelt werden. Nach dem Putschversuch der FETÖ-Terrororganisation am 15. Juli 2016 schaffte es die EU nicht, eine wirklich sichtbare und tatkräftige Solidarität mit Türkiye zu zeigen. Obwohl in diesem Fall eine Terrororganisation eine demokratisch gewählte Regierung militärisch stürzen wollte, wurde Ankara von Brüssel alleingelassen.

Mangelndes Verständnis der EU gegenüber Ankara

Im Kampf gegen Terrorismus war Türkiye also auf sich allein gestellt. Nach dem vereitelten Putschversuch fing Türkiye an, eine Außenpolitik mit einem noch stärkeren Sicherheitsfokus zu verfolgen. Mit Militäroperationen in- und außerhalb türkischer Grenzen ging das Land gegen verschiedenste Terrorgruppen vor. Mittlerweile gilt ein Großteil der türkisch-syrischen Grenze als gesichert: Die Terrorgruppen sind so stark eingedämmt und so schwach wie nie zuvor.

Die türkische Strategie ist zwar aufgegangen, doch Europa zeigte dafür kein Verständnis. Stattdessen bevorzugte die EU, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen. Auch der Vorstoß von Türkiye, staatliche Apparate vor dem weiteren Eingriff der FETÖ-Terrororganisation zu schützen, blieb ohne europäische Resonanz. In Geheimoperationen wurden unzählige Mitglieder der Terrorgruppe aus staatlichen Institutionen, die sie infiltriert hatten, entfernt. Doch europäische Länder stempelten die Maßnahme schlichtweg als ein Vorgehen gegen vermeintliche „Oppositionelle“ ab, obwohl diese Menschen eine Bedrohung für die nationale Sicherheit von Türkiye waren. Auch wurde nicht berücksichtigt, dass sich Türkiye in einer von Krisen und Kriegen geplagten Region befindet und fast täglich einer Terrorgefahr aus Nachbarländern ausgesetzt ist. Das heißt, das Recht von Türkiye auf Selbstverteidigung gegen den PKK/YPG-Terror in Syrien und im Irak stieß in der EU ebenfalls auf Ablehnung. In Europa wurden die türkischen Anti-Terror-Operationen als vermeintliche Angriffe auf Zivilisten propagiert. Obwohl Türkiye gegen sämtliche Terrororganisationen kämpfte, wurde in Europa zwischen „guten“ und „bösen“ Terrororganisationen unterschieden.

Anstatt Türkiye bei seinem berechtigten Kampf gegen alle Terrorgruppen zu unterstützen, rückten EU-Länder Ankara ins schlechte Licht, sobald etwas nicht den eigenen Vorstellungen entsprach. Individuelle Sicherheitsaspekte wurden dabei außer Acht gelassen. Da Türkiye daraufhin bei Sicherheitsfragen selbstverständlich keine Kompromisse einging und den strengen Kurs fortsetzte, ging die EU auf Distanz – zu Unrecht.

Wende in türkisch-europäischen Beziehungen bahnt sich an

Nun scheint aber die Wende zu kommen: Zwischen der EU und Türkiye bahnt sich wieder eine Annäherung mit positiven Zukunftsaussichten an. Die Entwicklungen der letzten Wochen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Nato-Gipfel in Vilnius, machen erneut Hoffnung auf stabile türkisch-europäische Beziehungen. In Vilnius erklärte sich Türkiye dazu bereit, die Ratifizierungsdokumente der schwedischen Nato-Mitgliedschaft an das Parlament in Ankara zu schicken, was sich als ein großer Erfolg der türkischen Diplomatie erwies. Ankara sicherte mehrere Zugeständnisse – vor allem mit Blick auf Terrorismusbekämpfung. Die Entwicklungen belegten zudem, dass eine positive Agenda mit Türkiye durchaus möglich ist, wenn auf die legitimen Sicherheitsbedenken und Interessen des Landes Rücksicht genommen wird. Führende europäische Politiker wie Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Charles Michels äußerten sich positiv über Türkiye und bezeichneten es als vertrauenswürdigen Verhandlungspartner.

EU erkennt Ankara als wichtigen geopolitischen Akteur an

Die Wende resultiert vor allem daraus, dass die EU erkennt, welch ein wichtiger geopolitischer Akteur Türkiye ist. In einem internen diplomatischen Bericht wurde die EU dazu aufgerufen, ein „konstruktives Engagement“ mit Türkiye einzugehen. Angesichts der „geopolitischen Relevanz“ von Ankara insbesondere beim Ukraine-Konflikt und dem Wandel des „geopolitischen Kontextes“ sei dies wichtig. EU-Beamte betonten ihre Bereitschaft, die Zusammenarbeit mit Türkiye zu erweitern und dabei sowohl die Zollunion zu modernisieren als auch Visafreiheit zu schaffen. Auch aus dem Kanzleramt und von Regierungsmitgliedern hieß es, der Zeitpunkt sei günstig für „eine vorwärtsgerichtete Agenda“.

Tatsächlich wird die politische und diplomatische Bedeutung von Türkiye immer größer. Im Ukraine-Konflikt übernimmt Ankara die Rolle einer Brücke zwischen Russland und dem Westen. Türkiye ist die erste Anlaufstelle bei Verhandlungen und mit Abstand der wichtigste Vermittler im Konflikt: ein politischer Akteur, dem beide Seiten vertrauen.

Türkische EU-Mitgliedschaft würde EU politisch und wirtschaftlich stärken

Von einem türkischen Beitritt würde die EU stark profitieren. In erster Linie würde sich die Union damit stärker in Richtung eines globalen Bündnisses bewegen, statt nur als regionaler Verein zu bleiben. Mit seinem strategischen Beitrag würde Türkiye eine Schlüsselrolle einnehmen. Denn das Land befindet sich geografisch gesehen in einer äußerst wichtigen Lage. Als Knotenpunkt zwischen dem Mittelmeer, Schwarzen Meer und dem Kaspischen Meer fungiert Türkiye als ein beispielloses Transitland für Transport, Energie und Handel. Die Aufnahme von Türkiye würde die Reichweite der EU erheblich erhöhen, da das Land als Pfeiler der Stabilität zwischen Europa und Asien agiert.

Mit seiner jungen Bevölkerung würde Türkiye zudem die wirtschaftliche Kraft und Entwicklung der EU noch stärker vorantreiben. Viele EU-Länder blicken wegen ihrer alternden Bevölkerung mit Sorge auf ihre zukünftige Wirtschaftskraft. Die junge türkische Bevölkerung würde an dieser Stelle für frisches Blut sorgen, den demografischen Wandel der EU erheblich verlangsamen und die Wirtschaft ankurbeln.

Bessere Beziehungen zwischen Türkiye und EU sind möglich. Um diese auch realisieren zu können, ist auf jeden Fall ein aufrichtiger und ehrlicher Dialog notwendig. Die EU muss ihre bisherige Haltung aufgeben, den Kurs der türkisch-europäischen Beziehungen überdenken, mehr Empathie zeigen und dieses Mal tatsächlich Türkiye entgegenkommen. Von einem EU-Beitritt von Türkiye würden beide Seiten profitieren. Die aktuelle Chance einer positiven Agenda darf nicht erneut verpasst werden. Der Impuls muss zielgerichtet beibehalten werden.


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