Archivbild. 16.12.2020, Niedersachsen, Hannover: Passanten stehen Schlange vor einer Apotheke. / Photo: DPA (dpa)
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Es geht nicht um Medikamente, die selten nachgefragt werden und vielleicht schon immer etwas schwerer zu beschaffen waren. Im Gegenteil – die derzeitige Arzneimittelkrise hat dort, wo vorher zum Beispiel Fiebermittel, Hustensäfte für Kinder und vor allem auch Antibiotika auf Vorrat waren, die Regale in den Apotheken sprichwörtlich leergefegt.

Anadolu Agentur stellte am 29. Dezember letzten Jahres fest (Autor: Sal Ahmed), dass laut dem Berliner Apotheker Julian Wawrzyniak bereits über 300 Medikamente nicht mehr verfügbar sind, eine Zahl, die schnell auf 500 anwachsen könne. Vor allem kranke Kinder seien betroffen. Erschreckende Zahlen in der Tat aus einer einzigen Apotheke.

Doch bereits am 21. Oktober 2022 hatte Bild.de (Marta Ways berichtete) den Chef des Apothekerverbandes Nordrhein, Thomas Preis, zitiert, der sagte „Wir haben weit über 1000 Arzneimittel, die nicht lieferbar sind. Das betrifft nicht nur einfache Erkältungsmittel, sondern auch essenzielle Medikamente, wie Antibiotika zum Beispiel.“

Natürlich befinden wir uns in der Post-Pandemie-Phase, und der bis dahin vollkommen überlastete Gesundheitssektor kommt gerade erst wieder auf die Beine; darüber hinaus erleben wir eine anhaltende, besorgniserregende Kriegssituation in der Ukraine und stecken auch noch mitten in einer niemals erwarteten Energiekrise.

Es trifft ebenso selbstredend zu, dass eine enorme Grippewelle Deutschland heimsucht mit erhöhtem Medikamentenbedarf. Doch das Grundproblem begann viel früher: hausgemacht.

Modernisierungsgesetz 2003 Auslöser heutiger Knappheit

Selten heute noch in den Medien in Deutschland beachtet, begann alles bereits vor fast 20 Jahren; eine lobenswerte Ausnahme findet sich im Artikel von Sebastian Schmalz vom 19. Dezember letzten Jahres: „Woher die Arzneimittelknappheit kommt; Ruhrbarone.de“.

Das „Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung“ war vom Prinzip her ein positiver Ansatz der Schröder-Regierung, die Kosten im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen zu reduzieren. Die Beitragssätze nicht weiter explodieren zu lassen, klang gut – wie dies bewerkstelligt werden sollte jedoch weniger. Reduzierter Leistungsumfang oder erhöhte Zuzahlungen durch die Versicherten waren nur zwei der Folgen. Und dann der eigentliche Stolperstein: Krankenkassen durften von nun an sogenannte „Rabattverträge“ mit Unternehmen in der Pharmabranche vereinbaren. Im Anschluss mussten Krankenkassen aber darauf bestehen, nur noch genau solche rabattierten Medikamente an Versicherte abzugeben. Heißt im Klartext: Das billigste Medikament gewinnt ... Gleichzeitig wurde versucht, Apotheken davon abzuhalten, teurere Produkte über den Tresen zu reichen, der Gebührensatz wurde dank der beinhalteten Arzneimittelpreisverordnungs-Novelle vom Prinzip her angeglichen, d.h. der Apotheker solle einen Pauschalsatz erhalten, unabhängig davon, ob Originalmedizin oder Generikaprodukt. Im Gegenzug führte dies dazu „je mehr, desto besser“, will sagen, es startete eine sogenannte Inflation der Medikamentenabgabe, damit Apotheker ihre Profitmargen halten.

Und damit kommen wir zum eigentlichen Systemfehler: Wo Generika hergestellt werden, ist die Ursache für die heutige Arzneimittelknappheit!

Was eigentlich sind Generika?

Wie oben angesprochen sind Medikamente, die dem patentierten Original völlig entsprechen, aber erst nach Ablauf der Patentlaufdauer produziert werden, eine sehr gute Sache. Im Inland, aber vor allem auch Ausland können somit Patienten beste Präparate zu weitaus günstigeren Preisen verabreicht bekommen. Allerdings hat dies auch einen nicht zu unterschätzenden Haken: Die Hersteller verdienen weniger pro Produkt. Dann gibt es nur drei Möglichkeiten – man verlagert die Produktion in Billiglohnländer, versucht den Bedarf künstlich nach oben zu treiben oder verzichtet ganz auf die Generikaherstellung und fokussiert sich auf innovative, patentierte Medikamente. Auf eine vierte, jedoch weitaus bessere Lösung kommen wir gleich zu sprechen.

Am 14. Februar 2017 fragte Peter Thelen (Handelsblatt.com): „Müssen Antibiotika teurer werden?“ Es ging ihm um einen bereits damals spürbaren Lieferengpass aus China, da eine bedeutende Fabrik explodiert war, die extrem wichtig für die Antibiotikaherstellung gewesen war.

Er kritisiert das o.a. Gesetz von 2003, welches zu Preisausschreibungen der Kassen führte und letztendlich zu einer enorm verringerten Anzahl von Herstellern und Anbietern aufgrund des hohen Preisdrucks auf die Pharmabranche.

Deutscher Gesetzgeber gefragt, dringend

Deutschland ist ein Riesengenerika-Markt trotz aller o.a. Fragen; rund 80 Prozent aller Arzneimittel, die heute in Deutschland verkauft werden, sind Generika, im Bereich der Antibiotika sprechen wir von fast der Gesamtheit, also beinahe 100 Prozent. Eine eindeutige Konsequenz der fehlgeschlagenen Gesundheitsreform von vor fast 20 Jahren.Die Produktion wurde vor allem nach Indien und China ausgelagert. Und wenn dann in diesen Ländern aufgrund welcher Vorkommnisse auch immer etwas schiefläuft und die Lieferketten zusammenbrechen, sind Deutschlands Apothekenregale eben leer.

Lösung: finanzielle Anreize für einheimische Hersteller, Antibiotika und anderes mehr, gerade auch wenn es Generika sind, in Deutschland zu produzieren. Natürlich sind die Löhne höher, aber es werden Arbeitsplätze geschaffen. Wenn dann die Krankenkassen etwas tiefer in die Tasche greifen und etwas teurere Generika, die in Deutschland produziert werden, über Apotheken verabreichen – win win.

Es könnten multinationale Firmen einspringen, aber auch kleinere Produzenten in vielen Teilen des Landes. Wenn man dann noch die Frage der weiters benötigten Ingredienzen, also Teile des Endproduktes, ebenso zu Hause herstellen kann, hätte man die komplette Abhängigkeit von Firmen in Ländern weit weg zumindest mittelfristig reduziert. Wir leben in einer globalisierten Welt, richtig. Aber der Lieferkettenengpass unterstreicht, dass man nicht alle ökonomischen Aktivitäten aus dem eigenen Land verlagern sollte.

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