18.11.2023. Berlin: Menschen nehmen an einer Demonstration für Palästina und gegen den Angriff Israels auf den Gazastreifen am Invalidenpark teil. (Others)
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Im Zuge seines Besuches in Tel Aviv am 18. Oktober sprach der US-amerikanische Präsident Joe Biden mahnende Worte, die vielleicht gerade in Europa gehört hätten werden sollen: „Nach dem 11. September waren wir in den USA wütend. Während wir Gerechtigkeit gesucht und Gerechtigkeit erhalten haben, haben wir auch Fehler gemacht.“ Abseits der unberechtigten Kriege waren es auch die vielen weiteren Auswirkungen des globalen Kriegs gegen den Terror, die weltweit eine Versicherheitlichung (securitization) des Lebens mit sich gebracht haben. Dieser Ratschlag scheint insbesondere für den alten Kontinent und eine seiner Führungsländer zu gelten.

Deutschlands Staatsräson, ohne Wenn und Aber auf der Seite Israels bzw. auf der Seite des israelischen Regierungschefs zu stehen, wirkt gerade in den Tagen der Verwüstung des Gazastreifens absurd und entbehrt jeder politischen Vernunft. Die Solidarität mit den toten Opfern aufseiten der israelischen Bevölkerung ist sowohl menschlich als auch vor dem Hintergrund dieser Staatsräson nachvollziehbar. Die fehlende Solidarität mit den mittlerweile über 13.000 toten Palästinenser im Gazastreifen ist hingegen weder menschlich noch politisch nachvollziehbar.

Die dahinterstehende Botschaft wird klar verstanden. Wie König Abdullah von Jordanien zuletzt gesagt hat, vernimmt die arabische – und mittlerweile die gesamte – Welt die Botschaft eindeutig: „Palästinensische Leben sind weniger wert als israelische.” Es finden nicht genehmigte Demonstrationen statt, die als Protest gegen die einseitige Unterstützung der Regierung abgehalten werden. Diese Gegenöffentlichkeit steht derzeit aber heftig in der Kritik der veröffentlichten Meinung in Deutschland.

Sie wird auch vonseiten der Behörden massiv kriminalisiert. Und es bleibt nicht bei polizeilichem Eintreten gegen das Fahnenschwenken von Palästina-Flaggen. Amnesty International Deutschland erklärte: „Die flächendeckenden Verbote von pro-palästinensischen Demonstrationen sind aus menschenrechtlicher Sicht bedenklich. Die Versammlungsfreiheit gilt für alle, die jetzt demonstrieren wollen. Dabei spielt keine Rolle, wie man den Protest politisch findet.“ Die Position der Menschenrechtsorganisation findet jedoch wenig Anklang. Veranstaltungen, die den israelischen Militärschlag gegen PalästinenserInnen kritisierten und eine Feuerpause forderten, wurde unterstellt, nicht pro-palästinensisch, sondern pro-Hamas zu sein. Es scheint, als gäbe es keinen Raum mehr für deliberative Politik. Die Meinungen sind auf nur noch zwei Seiten reduziert: schwarz oder weiß, richtig oder falsch. Oder, wie es Netanjahu ausdrückte: Licht oder Dunkelheit.

Diese Binarität, dieser Manichäismus reicht bis in die höchsten Ämter der post-nationalsozialistischen Bundesrepublik: Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich kurz nach seiner Rückkehr nach Deutschland aus Tel Aviv gegenüber dem Spiegel mit den Worten: „Wir müssen mehr und schneller abschieben.“ Wen er in dieser Stimmung dabei meint, scheinen andere deutlicher auszusprechen. Der Nachfolger Angela Merkels und nunmehrige Parteichef der CDU, Friedrich Merz, sagte: „Deutschland kann nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Wir haben genug antisemitische junge Männer im Land“. Eine harte Asylpolitik wird somit als Antwort auf die aktuellen Debatten vorgeschlagen. In den Worten der CDU-Vizevorsitzenden Karin Prien, im Anschluss an eine rechtskonservative Verallgemeinerung des Generalverdachts, heißt es: „Wir müssen ihnen die Resonanzräume nehmen, ihre Moscheen, ihre Cafés und Vereine dichtmachen und das Geld konfiszieren, das sonst für den Terror in der Welt genutzt würde“. Damit werden bestimmte Sozialisationsorte von Minderheiten als Problem identifiziert.

Und während die alles andere als nominell rechte Regierung von SPD, FDP und Grünen bereits dabei ist, das Staatsbürgerschaftsrecht zu reformieren, fordert der ehemalige Verfassungsschutz-Chef Georg-Hansen Maußen in einer Kolumne eine „Chemotherapie für Deutschland“. Eine Superlative dieser verächtlichen Sprache, die nahtlos an völkische Vorstellungen des krankhaft befallenen Volksköpers anknüpft, ist kaum vorstellbar. Die Absage an den demokratischen Rechtsstaat wird nicht einmal aus Schönheitsgründen umschrieben oder geschmückt. Maaßen will aus „der vermeintlich rechtsstaatlichen Komfortzone in die harte Realität des Operationssaals“, um „Deutschland wieder“ zu „heilen“.

Das Ausreizen der Grenzen des Sagbaren auf der rechten Seite, wie es beim CDU-Mitglied Maaßen, der sechsjährigen Direktor des Verfassungsschutzes, beobachtet wird, muss im Zusammenhang mit einer Verschiebung der politischen Ansichten in der gesamtpolitischen Landschaft gesehen werden. Scholz setzt sich für einen restriktiveren Kurs in der Migrationspolitik ein. Unionspolitiker fordern, dass nur diejenigen die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen können, die sich zum Existenzrecht Israels bekennen. Gleichzeitig verschärft sich der Diskurs gegenüber nicht-weißen und palästinensische Symbole, die Solidarität mit Palästina ausdrücken – egal ob auf jüdischer, linker oder muslimischer Seite – werden kriminalisiert. Moshe Zuckermanns vor Jahren geäußerter Satz scheint die aktuelle Situation wohl am ehesten zu beschreiben: Islamophobie ist eine ideale Projektionsfläche für den nicht mehr sagbaren Antisemitismus in Deutschland. Es bräuchte jedoch, wie Judith Butler richtig festhält, ein Verständnis dafür, dass „Nie wieder!“ „nicht nur für das jüdische Volk, sondern für alle Menschen“ gilt.

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