1. August 2022: Barrikade an der Serbien-Kosovo-Grenze (AA)
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Auslöser des jüngsten Streits war die Ankündigung der kosovarischen Regierung, eine neue Regelung einzuführen, laut der alle kosovarischen Bürger nur noch mit kosovarischen Dokumenten und Kfz-Kennzeichen ein- und ausreisen dürften. Serbische Dokumente sollten demnach nicht mehr anerkannt werden. Serben ohne kosovarische Papiere müssten sich an der Grenze provisorische Dokumente ausstellen lassen und kosovarische Kfz-Zeichen anbringen. Ähnlichen Regelungen unterliegen Albaner aus dem Kosovo, die nach Serbien reisen, bereits länger, da Serbien vom Kosovo ausgestellte Personaldokumente nicht anerkennt.

Die autochthone serbische Minderheit im Norden des Kosovo lehnte die neue Maßnahme der Regierung in Pristina ab. Wie die Republik Serbien erkennen auch die meisten kosovarischen Serben die 2008 proklamierte Unabhängigkeit des Staates Kosovo nicht an und sehen sich als Teil Serbiens.

Als Reaktion auf die neueste Ankündigung errichteten Bürger aus dem Norden Barrikaden und blockierten mehrere Straßen. Auch von Schüssen in Richtung kosovarische Polizei wurde berichtet. Die Autoritäten in Pristina schlossen zwei Grenzübergänge mit Serbien.

Die Ausmaße der Kosovo-Frage

Nach Gesprächen mit EU- und US-Diplomaten gab die kosovarische Regierung von Albin Kurti schließlich die Aussetzung der neuen Regelung bis zum 1. September bekannt. Die Regierung bedankte sich auch beim US-Botschafter.

Zuvor kam es bei beiden Seiten zu konfrontativer Rhetorik. Pristina warf Belgrad aggressive Handlungen vor und beschuldigte Serbien der Destabilisierung. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic warf der kosovarischen Regierung vor, Serben aus dem Kosovo vertreiben zu wollen.

Beim jüngsten Streit geht es also um viel mehr als um bürokratische Maßnahmen.

Immer wieder kommt es zu kurzzeitigen Verschärfungen im Disput zwischen Serbien und Kosovo. Dabei scheinen mögliche Lösungen konstant von existentiellen Fragen und ideologischen Positionen überschattet zu werden.

Auch internationale Einmischung spiegelt die Kontinuität der Problematik wider. Trotz seiner kleinen Fläche und Bevölkerung von weniger als zwei Millionen symbolisiert das Kosovo in vielerlei Hinsicht die Vormachtstellung der USA und NATO auf dem Balkan und repräsentiert damit auch einen Gegensatz zu serbischen und russischen Interessen.

Im letzten Streit rief Russland den Kosovo auf, Provokationen zu unterlassen. Russland, das in der Kosovo-Frage die serbische Position unterstützt, sprach von einem Scheitern der EU-Vermittlungen. Maria Zakharova, Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, sah die Handlungen Kosovos als weiteren Schritt zur „Vertreibung“ der serbischen Bevölkerung.

Einige Kommentatoren und Beobachter warnten erneut vor Eskalationen und potentiellen militärischen Auseinandersetzungen. Vor allem aufgrund der geopolitischen Bedeutung des Kosovo sind solche Warnungen nicht neu. Aber auch die jüngere Geschichte bereitet vielen weiterhin Sorge.

Internationale Dimensionen

Seitdem das Kosovo 2008 einseitig seine Unabhängigkeit erklärte, kämpft die Regierung um internationale Anerkennung. Etwas mehr als die Hälfte aller UN-Mitgliedsstaaten erkennt den Kosovo als souveränen Staat an – darunter die meisten EU- und NATO-Länder und andere Verbündete der USA.

Russland, China und viele weitere Regierungen unterstützen die serbische Position. Diese wird aber auch von europäischen Ländern geteilt, die selbst mit unerwünschten Unabhängigkeitsbewegungen konfrontiert sind, etwa Spanien.

Von Serbien wird das Kosovo weiterhin als eigene Provinz angesehen. Lange Zeit war das Kosovo fester Bestandteil Serbiens und hat vor allem im modernen serbischen Nationalismus eine symbolische Bedeutung. So wird auch heute noch der Schlacht auf dem Kosovo aus dem Jahr 1389 zwischen Serben und Osmanen gedacht.

Albaner, die die breite Mehrheit der Bevölkerung stellen, waren vor allem unter dem Milosevic-Regime unterdrückt, das der Region die Autonomie nahm, die sie innerhalb Jugoslawiens innehatte. Der Krieg im Kosovo Ende der 1990er Jahre führte zu Kriegsverbrechen und einer massenhaften Vertreibung der Zivilbevölkerung. Seit Ende des Krieges im Jahr 1999 stand das Kosovo nicht mehr unter direkter serbischer Kontrolle.

Der Weg in die Unabhängigkeit wurde vor allem von der NATO und den USA unterstützt. Heute hat das Kosovo vor allem auch eine militärische Signifikanz für die NATO. Politisch befindet sich der Staat fest in der Einflusssphäre des Weißen Hauses und ist sehr stark von den USA abhängig.

Ungeklärte Fragen

Auch wenn unter internationaler Vermittlung einige Schritte unternommen wurden, die Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina zu entwickeln, so ist die Region von einer Normalisierung noch weit entfernt.

Vor allem die Europäische Union hat viel Rhetorik in ihre Diplomatie investiert. Sowohl Belgrad als auch Pristina möchten in ferner Zukunft der EU beitreten. Zu einer erfolgreichen Annäherung im Konflikt kam es jedoch nicht. Dies liegt vor allem an den grundlegenden Fragen der Souveränität des Kosovo, die Serbien grundsätzlich nicht anerkennen möchte. Auch das vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump feierlich proklamierte Normalisierungsabkommen 2020 hat die Situation nicht signifikant verbessert und erneut die internationale Isolation Pristinas bestätigt.

Die EU will zwar weiter vermitteln, doch ohne eine Klärung der fundamentalen Fragen der Souveränität werden die ideologischen Gegensätze kaum zu überwinden sein. Nationalismus und strukturelle wirtschaftliche Instabilität spielen weiterhin eine große Rolle. Dass bürokratische Maßnahmen erneut in einer politischen Krise resultieren könnten, scheint nicht unwahrscheinlich.

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