Präsident Erdoğan traf sich mit Ministerpräsident Sánchez von Spanien (AA)
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Um den Stand der heutigen türkisch-spanischen Beziehungen einzuordnen, ist es notwendig, zunächst kurz den historischen Hintergrund der bilateralen Beziehungen zu betrachten. Dabei ist festzustellen, dass sich beide Seiten bis ins ausgehende 16. Jahrhundert einen harten Machtkampf lieferten, um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum zu erlangen. Nach der Seeschlacht von Lepanto 1571 kam es jedoch zu keinen weitreichenden militärischen Auseinandersetzungen mehr. Hauptfaktor dafür war, dass sich Spanien nunmehr auf die Erkundung der neuen Kontinente fokussierte statt dem Osmanischen Reich die von selbigem dominierten Territorien streitig zu machen, was das Risiko erhöhter Konfliktpotenziale zwischen beiden Mächten minimierte. Tatsächlich konnten durch den Austausch von Gesandten im Jahre 1783, ein Wendepunkt in den türkisch-spanischen Beziehungen, die daraufhin geknüpften engen diplomatischen Beziehungen zwischen dem osmanischen Sultan und dem spanischen König bis heute fast ununterbrochen aufrechterhalten werden. Daher wäre es nicht falsch zu sagen, dass die türkisch-spanischen Beziehungen auf eine positive Geschichte zurückblicken.

Politische Beziehungen

Aus geschichtlicher Perspektive betrachtet trifft die Feststellung zu, dass die politischen Beziehungen zwischen Ankara und Madrid vom historischen Hintergrund in keiner Weise belastet sind. Letztlich gibt es keine außenpolitischen Konfliktfelder, in denen die beiden Staaten um Vorherrschaft ringen. Spannungen, wie es sie beispielsweise zwischen der Türkei und Frankreich zu Themen wie östlicher Mittelmeerraum, Libyen, Karabach und Syrien gibt, treten zwischen der Türkei und Spanien nicht auf.

Darüber hinaus sind beide Seiten bemüht, die nötige Sensibilität bei Themen einzubringen, die für das jeweilige Gegenüber wichtig sind. So bekämpfen beispielsweise beide Staaten ethnische und separatistische Terrororganisationen (die Türkei die PKK, Spanien die ETA) und können sich diesbezüglich mit gegenseitiger Empathie begegnen. Dass Spanien noch dazu eine der am wenigsten bevorzugten Destinationen von Anhängern der Terrororganisation FETÖ ist, minimiert ebenfalls mögliche Belastungen in den bilateralen Beziehungen.

Mit Blick auf die bilateralen Beziehungen innerhalb der EU steht Spanien im Unterschied zu Frankreich, Österreich, Südzypern und Griechenland einem EU-Beitritt der Türkei nicht ablehnend gegenüber. Ganz im Gegenteil bekräftigte der spanische Premierminister Sanchez bei seinem Treffen mit Präsident Erdoğan am 17. November den spanischen Willen, dass die Türkei Teil der EU wird. Auch diese konstruktive Haltung Spaniens zur EU-Mitgliedschaft der Türkei ermutigt selbige, die Beziehungen zu Spanien zu stärken.

Soziale Beziehungen

Was die wechselseitigen Wahrnehmungen der türkischen und spanischen Gesellschaften angeht, gibt es offensichtlich keine historische, politische oder kulturelle Ausgangslage, die bei einer der beiden Seiten zu negativen Wahrnehmungen führen könnte. Und obwohl Türken und Spanier geographisch an den jeweiligen Enden Europas leben, kann gesagt werden, dass beide die charakteristischen Merkmale lebhafter, mediterraner Gesellschaften aufweisen und sich insbesondere durch den Tourismus näher kennenlernen und Zugang zueinander finden. So überrascht es auch nicht, dass die spanische Primera División eine der am meisten verfolgten Fußballligen in der Türkei ist und dass immer mehr Universitäten in Spanien von türkischen Studenten im Rahmen des Erasmus-Studentenaustauschprogramms bevorzugt werden.

Spanien war, neben Italien, einer der Staaten in Europa, welche die Covid-19-Pandemie in den ersten Monaten nach ihrem Ausbruch besonders herausforderte, da man vergeblich auf die Unterstützung aus anderen europäischen Ländern wartete. In dieser Atmosphäre, in der sich sprichwörtlich jeder selbst der Nächste war, spendete die Türkei jedoch Paletten mit medizinischen Hilfsgütern an Spanien, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Diese helfende Hand der Türkei im Rahmen ihrer humanitären Diplomatie stellte in einer so schwierigen Zeit die Wahrnehmung der Türkei seitens der spanischen Gesellschaft selbstredend in ein positives Licht.

Wirtschaftsbeziehungen

Der Blick auf die wirtschaftliche Dimension der Beziehungen zwischen der Türkei und Spanien offenbart, dass der Ist-Zustand weit unter dem Niveau liegt, das eigentlich zu erwarten wäre. Denn das Handelsvolumen zwischen den Staaten stagniert seit einiger Zeit bei rund 12 Milliarden Dollar. Dies liegt unter anderem an der ausstehenden Aktualisierung der Zollunion zwischen der Türkei und der EU und stellt einen wichtigen Grund für das vergleichsweise geringe Handelsniveau in den türkisch-spanischen Wirtschaftsbeziehungen dar. Als weitere Gründe sind die sich ähnelnden Außenhandelsportfolios beider Staaten und der Fokus auf relativ leicht substituierbare Handelswaren zu sehen.

Nichtsdestotrotz tätigten bereits 775 spanische Unternehmen in der Türkei Direktinvestitionen im Wert von rund 9,5 Milliarden Euro. In dieser Hinsicht belegt Spanien in der Länderrangliste den 7. Platz in der Türkei. Im Gegenzug liegt die Zahl der aktiven türkischen Investoren in Spanien mit 85 auf einem sehr niedrigen Niveau. Diese Zahlen verdeutlichen, dass türkische Investoren, die sich wohl auch schwer tun, die bestehende Sprachbarriere zu überwinden, den spanischen Markt noch nicht allzu gut kennen.

Das weit unter dem möglichen Potenzial liegende derzeitige Handelsvolumen kann mit in beiden Staaten zu organisierenden Messen und dem regen Austausch zwischen potenziellen Investoren schnell auf 20 Milliarden Dollar ausgeweitet werden. Auf diese Weise können die seichten Gewässer in den bilateralen Beziehungen leicht überwunden und Potenziale in so unterschiedlichen Sektoren wie Landwirtschaft, Finanzwesen, Verteidigungsindustrie und Gesundheitswesen erschlossen werden.

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