Jeder von uns kann sich wahrscheinlich erinnern, wo er oder sie war, als sich der Terroranschlag in Hanau ereignete.
Am 19. Februar 2020 war ich, wie viele andere auch, in der Arbeit.
Ich habe die Meldung über den Anschlag durch die sozialen Netzwerke erhalten und konnte es nicht glauben. Mein erster Gedanken war: Wieso? Wieso passiert so etwas in Europa? Solche Taten sind uns mehr aus den USA bekannt.
Im Verlauf der Berichterstattung, nachdem Täter und Tathintergründe bekannt geworden waren, war auf einmal klar, warum so etwas passieren musste.
Zwei Tage, nachdem neun Menschen in Deutschland einem rechtsradikalen Terroristen zum Opfer gefallen waren, wurde in Deutschland Karneval gefeiert. Als wäre nichts passiert.
Ein rassistisch motivierter Terroranschlag.
Neun Menschen mussten mit ihrem Leben bezahlen, weil ein Rassist sie nicht als Deutsche betrachtete: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.
Der Mord an diesen jungen Menschen hat besonders jene deutschen Bürger, die in irgendeiner Weise einen Migrationshintergrund haben, tief getroffen. Keiner fühlt sich seitdem wirklich sicher.
Dieser Anschlag war nicht der erste Weckruf in Deutschland. Der Anschlag in Halle 2019 und der Mord an Walter Lübcke vermochten die deutsche Gesellschaft nicht aufzurütteln.
Es ist jetzt mehr denn je klar, dass Deutschland ein Rassismusproblem hat.
Rassismus ist Mainstream geworden.
Rassismus ist tief in der deutschen Gesellschaft verwurzelt. Er ist nicht plötzlich über Nacht entstanden, sondern war schon immer da. Er versteckt sich in abfälligen Bemerkungen gegenüber BIPoC oder in der Ungleichbehandlung von Personen mit Migrationshintergrund und solchen, die einen typisch deutschen Namen haben, bei der Jobsuche.
Rassismus äußert sich auch darin, dass kein Einsehen besteht, bestimmtes Vokabular zu unterlassen. Vielen Menschen fehlt das Verständnis dafür, dass gewisse Bezeichnungen für bestimmte Minderheiten als Beleidigungen empfunden werden. Dieses Problem will man aber nicht sehen und es schon gar nicht beheben.
Es gibt genug Politiker*innen, die von Hetze leben und gut damit verdienen. Rassismus ist Mainstream geworden. Personen stehen offen dazu, dass sie rechtsradikal sind.
Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass der Anschlag in Hanau passiert ist, wenn eine ganze Gesellschaft seit Jahren offen Hetze gegen Migranten, Personen mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge betreibt. Das alles unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit.
Seit Jahren werden Menschen, die nach Meinung von Rechtsradikalen nicht nach Deutschland gehören, entmenschlicht. Diese Hetze wird nicht nur durch einzelne Politiker*innen gefördert, sondern auch durch unterschiedliche Medien und Journalisten. Die Reichweite ist dadurch enorm.
Behördliche Fehler - und keiner will schuld sein.
Nach dem Anschlag und nachdem gründlich ermittelt worden war, stand dann fest, dass auch die Polizei Fehler gemacht hatte. Wo bleibt hier das Urteil?
Die Angehörigen der Opfer suchen heute noch immer nach der ganzen Wahrheit. Wer hat hier alles einen Fehler gemacht? Hätte der Anschlag nicht verhindert werden können? Zudem stellt sich die Frage: Wieso fehlt die große Anteilnahme des ganzen Landes? Die Familien sind verzweifelt.
Wie kann es sein, dass nach so einer Tragödie, Menschen fröhlich Karneval feiern konnten? Während die einen unbekümmert und betrunken durch die Straßen Deutschlands tanzten, betrauerten neun Familien ihre Liebsten.
Wo bleiben Gerechtigkeit und Anteilnahme?
Hier sieht man wieder die Doppelmoral der deutschen Gesellschaft. Sobald die Opfer einer Minderheit angehören, gibt es keinen Aufschrei in der Gesellschaft, und Anteilnahme gibt es vermehrt nur von Minderheiten.
Es ist nur ein kleiner Schritt, der einen rechtsradikalen Hetzer von einem Terroristen trennt. Besonders, wenn solche Personen Gleichgesinnte im Internet und in der Politik finden.
Was hindert solche Menschen dann daran, andere zu töten, wenn die Öffentlichkeit sich nicht klar gegen Rassismus und Diskriminierung bekennt? Personen die sich aktiv gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen, werden mit dem Tode bedroht. Walter Lübcke hat mit seinem Leben bezahlt, weil er sich für Flüchtlinge engagiert hat. Wir müssen eine Grenze ziehen und aktiv “Nein” zu Rassismus sagen und den Opfern von rechtsradikalen Übergriffen endlich zuhören.
Sonst haben wir bald wieder ein Hanau, bei dem wir wieder so tun werden, als wären wir überrascht.