Die Live-Auktion „Art of the Islamic & Indian Worlds“ des Auktionshauses Christie´s in London wird am 28. Oktober eine Serie von sechs Porträts osmanischer Sultane zum Verkauf anbieten. Die Porträts decken einen Zeitraum von 250 Jahren Geschichte ab: Von 1326, als Orhan Sultan wurde, bis zu Selim II, der 1574 verstarb.
Die Gemäldeserie bestand ursprünglich aus 14 Porträts, von denen nur ein Satz überlebt hat und heute im Besitz der Wittelsbacher ist und in Würzburg ausgestellt wird.
Laut einer Pressemitteilung von Christie´s bat der osmanische Großwesir Sokollu Mehmed Pascha den in Istanbul residierenden Botschafter Venedigs, Niccolo Barbarigo, im Juli 1578 um Porträts osmanischer Sultane. Im November 1578 gab der venezianische Senat demnach schließlich Duplikate dieser Porträts in Auftrag. Diese wurden im Januar 1579 fertiggestellt und im September verschickt.
Königlicher Auftrag von höchstem Standard
„Der ursprüngliche Satz (Anm.: der Münchner Satz) wurde 1579 in Venedig hergestellt, und zwar nicht, wie man vermuten könnte, auf Veranlassung eines europäischen Mäzens, sondern auf Veranlassung des osmanischen Großwesirs Sokollu Mehmed Pascha“, sagt Behnaz Atighi Moghadam, Spezialistin und Leiterin des Verkaufs islamischer Kunst bei Christie´s.
„Unser Set war ebenfalls ein königlicher diplomatischer Auftrag von höchstem Standard, aber wir kennen die Details nicht und wissen nicht, von wem genau sie in Auftrag gegeben wurden“, schreibt sie in einem E-Mail-Interview.
Die ursprüngliche Serie wurde 1579 in Venedig hergestellt. Die zu versteigernde Serie von sechs Gemälden ist derzeit die zweitgrößte existierende Serie und stammt aus der Zeit um 1600.
Gemälde noch auf originalem Tragegestell
„Diese sechs Gemälde sind ein großartiges Zeugnis eines der faszinierendsten und einflussreichsten kulturellen Austausche zwischen den Osmanen und Europa im 16. Jahrhundert. Sie gehörten mit ziemlicher Sicherheit einst zu einer Serie von 14 Porträts osmanischer Sultane, von denen sich das einzige intakte Exemplar in München befindet“, so Atighi. „Sie sind bemerkenswert wegen ihres Zustands, ihrer fantastischen Herkunft und der Tatsache, dass sechs der 14 Porträts erhalten geblieben sind. Außerdem befinden sie sich noch auf ihrem originalen Tragegestell!“
In den 1570er Jahren war der Maler Veronese der offizielle Maler der Serenissima (Republik Venedig). Er erhielt viele Aufträge, darunter monumentale Gemälde für die Verwaltungsräume des Palazzo Ducale. In der Pressemitteilung von Christie´s heißt es, Veronese sei der „offensichtliche Kandidat“ der venezianischen Behörden gewesen, um die „scheinbar überraschende Anfrage“ der Osmanen nach einer Reihe von Porträts ihrer eigenen Sultane zu erfüllen.
Doch es war nicht Veronese, der die Porträts malte. Christie´s merkt an, dass Veronese „wahrscheinlich das Design der Serie entworfen oder angeleitet hat“, aber „es gibt keine überlebenden Porträts aus einer der bekannten Serien, die seiner Hand zugeschrieben werden können“.
Geheimnis um den Maler der Porträts
Auf die Frage, wer die Porträts der Sultane gemalt haben könnte, sagt Atighi: Die Münchner Folge sei lange Zeit Paolo Caliari zugeschrieben worden, der gemeinhin als Veronese (1528-1588) bezeichnet wird. „Heute ist es plausibler, die Münchner Folge einem Nachfolger von Veronese zuzuschreiben – eine Zuschreibung, die sicherlich auf die vorliegende Folge und auf die Gemälde im Topkapı-Palastmuseum zutrifft, die aus mehreren heterogenen Quellen stammen.“
Atighi betont, dass „selbst wenn Veronese an der eigentlichen Malerei der überlebenden Porträts nicht beteiligt war, er sowohl aus stilistischen Gründen als auch aufgrund von Indizien mit dem Entwurf der ursprünglichen Serie in Verbindung gebracht werden kann.“
Sie fügt hinzu: „Diese Sultanporträts sind ein Beispiel für einige der wichtigsten Merkmale von Veroneses Stil. Er hat das Format einer Dreiviertel-Büste verwendet, aber im Gegensatz zu der starren Formalität von beispielsweise Gentile Bellinis Porträt von Mehmed dem Eroberer hat er der Pose Dynamik und Unmittelbarkeit verliehen, indem er mehr vom Gesicht der Figur gezeigt und den Kopf geneigt hat, wodurch sich der Kopf sowohl entlang der vertikalen als auch der horizontalen Achse verschoben hat; und er hat in mehreren der Porträts eine Drehbewegung erzeugt, indem er den Körper und den Kopf in leicht unterschiedliche Richtungen gedreht hat. Und die Textilien sind mit den leuchtendsten Farben strukturiert, und die Muster, insbesondere der goldenen und silbernen Textilien, erinnern stark an die von Veronese an anderer Stelle verwendeten.“
Atighi sagt: „Höchstwahrscheinlich befand sich eines oder befanden sich beide dieser Modelle in Venedig, und die deutschen Garnituren wurden dort hergestellt. Eine Aufzeichnung des Auftrags von 1579 [von Sokollu Mehmed Pascha] wurde sicherlich in Venedig aufbewahrt, und die meisten Gemälde in beiden Serien sind auf Köper-Leinwand gemalt, die im Venedig des 16. Jahrhunderts bevorzugt wurde.“
An jeder der beiden deutschen Serien seien zwei oder mehr Künstler beteiligt gewesen: „In der vorliegenden Serie wurde das Porträt von Mehmed I. zweifellos von einer anderen Hand gemalt als die anderer Sultane, und in der Münchner Serie sind mindestens zwei Hände zu erkennen. Mehrere Hände deuten auf die Zusammenarbeit in einer Werkstatt hin, während die von uns festgestellten Unterschiede darauf hindeuten, dass es mehr als eine Werkstatt mit Zugang zu Modellen gegeben haben könnte“.
Laut Atighi ist es sehr gut möglich, „dass ein Satz oder Modelle des Auftrags von 1579 in Veroneses Atelier aufbewahrt wurden, die auch nach seinem Tod 1588 weiter in Betrieb waren.“
„Benedetto Caliari (Veroneses Bruder), seine Söhne Carlo und Gabriele, seine Erben, wie sie sich selbst nannten, setzten die Arbeit in seinem Stil fort, obwohl sowohl Benedetto als auch Carlo in den 1590er Jahren starben und Gabriele Caliari, der 1631 starb, die Familientradition fortsetzte“, ergänzt sie.
Verbindungen zu monumentalem Gemäle im Dogenpalast
Atighi weist auf die Ähnlichkeiten eines anderen Gemäldes mit den Porträts der osmanischen Sultane hin und meint, dass eine Verbindung zwischen ihnen hergestellt werden könne: „Die Verbindung zwischen diesen Sultanporträts und den Caliaris wird durch das monumentale Gemälde im Dogenpalast gestützt, das den Empfang der Geschenke der persischen Botschafter durch den Dogen Marino Grimani zeigt, und auf die Jahre 1603-1605 datiert, Gabriele Caliari zugeschrieben wird. In der Darstellung der Köpfe der safawidischen Gesandten gibt es Ähnlichkeiten mit den Köpfen mehrerer Veroneser Sultane, die bisher nicht aufgefallen sind. Vor allem aber weist jedes Gemälde eine Charakterisierung und Individualität auf, die diese Gemälde von allen anderen osmanischen Kaiserporträts unterscheidet und die Veroneses bekannte Gabe widerspiegelt, seinen Figuren Leben und Lebendigkeit zu verleihen“.
Laut Christie´s befinden sich im Museum des Topkapi-Palastes „zwei, möglicherweise drei“ frühe Sätze, die bei der Gründung des Museums im Jahr 1924 in der kaiserlichen Schatzkammer oder in den Gemächern der Königinmutter gefunden wurden, was darauf hindeuten würde, dass einige von ihnen zu den 1579 gesandten Gemälden gehören könnten.
Atighi ist sich da nicht so sicher: „Die Gemälde im Topkapi stammen aus einer Handvoll anderer Sets, nicht aus unserem Set. Sie enthalten auch Porträts von verschiedenen Sultanen. Sie müssen weiter untersucht werden“, sagt sie.
In der Pressemitteilung von Christie´s heißt es, es sei möglich, „dass die beiden deutschen Sets – eines in München und eines in Landshut – von zwei leicht unterschiedlichen Modellen stammen. Höchstwahrscheinlich befand sich eines oder befanden sich beide dieser Modelle in Venedig, und die deutschen Sets wurden dort hergestellt“.
Lange Geschichte der Gemälde
„Die vorliegende Folge [von sechs Gemälden osmanischer Sultane] geht auf die Sammlung des Grafen Gustav Adelmann von Adelmannsfelden (1858-1938) zurück und wurde bis 1935 in Schloss Berg, seinem Anwesen in Landshut, aufbewahrt“, teilt Atighi mit. „Es ist nicht überliefert, wie die Adelmanns in den Besitz der Gemälde kamen, aber die Familie hatte mindestens zwei interessante Verbindungen zu den Osmanen. Konrad von Adelmann veröffentlichte 1525 in Augsburg ein Traktat über die osmanische Armee De origine, ordine et militari disciplina magni Turcae domi forisque habita libellus [Über die Herkunft, Ordnung und militärische Disziplin der großen Türken im In- und Ausland]. (...) es ist nicht bekannt, ob einer seiner Nachkommen ein Interesse an den Osmanen bewahrt hat.“
Atighi fährt fort, die Geschichte der Familie Adelmann zu erzählen, aber anzumerken ist, dass es unklar ist, wie die Adelmanns in den Besitz dieser Gemälde gekommen sein könnten: „ Anna Maria heiratete von Adelmann Christoph Martin Freiherr von Degenfeld (1599-1653), der 1642 in den Dienst der Venezianer trat und deren Feldzüge gegen die Osmanen in Dalmatien und Albanien leitete und 1648 als Held nach Venedig zurückkehrte, wo er mit Ehren und Belohnungen überhäuft wurde. Von Degenfeld könnte dann die Gelegenheit gehabt haben, in Venedig ein vorhandenes Gemäldepaket zu erwerben, um sich ein Denkmal für seinen Einsatz gegen die Osmanen zu setzen. Wie diese Gemälde dann aber in den Besitz der Familie seiner Frau gelangten, ist unklar. Die genaue Geschichte des Adelmann-Zykluses muss noch geklärt werden, aber seine Bedeutung geht weit über die Frage der Urheberschaft und der Herkunft hinaus“.
Atighi merkt an, dass die Identifizierung der auf den Gemälden dargestellten Sultane einfach war, da „jeder Sultan namentlich genannt ist und außerdem eine Nummer in römischen Ziffern trägt, die die chronologische Reihenfolge angibt, in der er ursprünglich Teil der 14 Gemälde war“.
Auktion von noch nie da gewesenem Kaliber
Sie fügt hinzu, dass eine Gruppe von Gemälden osmanischer Sultane in dieser Anzahl und von diesem Kaliber noch nie zuvor auf einer Auktion angeboten worden sei. Zusammen stellten die Gemälde eine Reihe von Sultanen dar, fast die Hälfte der ursprünglichen 14. Atighi schreibt, die Porträts seien „farbenfrohe und lebendige Zeugen einer Episode, die den Höhepunkt eines Jahrhunderts des Austauschs zwischen Europa und den Osmanen in Bezug auf die kaiserliche Porträtmalerei darstellte“.
Sie weist darauf hin, dass „Geschenke das Öl waren, das die Räder der Diplomatie im Mittelalter und der frühen Neuzeit schmierte, und die Osmanen stellten zahlreiche Forderungen an die Venezianer. Doch Sokollu Mehmeds Bitte war keine gewöhnliche Forderung nach Mode- oder Kuriositätengegenständen“.
Sie vergleicht die Forderung des Großwesirs mit der Forderung von Sultan Mehmed II. an Venedig: „Während sich die Anfrage von Mehmed dem Eroberer auf Porträts seiner eigenen, lebenden Person bezog, ging es bei der Anfrage von Sokollu Mehmed ein Jahrhundert später um Porträts vergangener Sultane. Das Interesse der Osmanen galt hier nicht den Gemälden als Ausdruck venezianischer Kunst, sondern als visuelle Dokumentation, denn Sokollu Mehmeds Anfrage – die letztlich der Ursprung der vorliegenden Gemälde war – war Teil einer erfolgreichen kaiserlichen Initiative zur Schaffung eines endgültigen Porträts des Hauses Osman“.
Der mögliche Erlös der sechs Gemälde der osmanischen Sultane wird auf einen Betrag von 800.000 bis 1,2 Millionen Pfund (935.000 bis 1,4 Millionen Euro) geschätzt.
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