Aghabäyim agha Aghabadschi (Others)
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Aghabäyim agha Aghabadschi gilt als erste der vier großen Dichterinnen, welche die Literatur Karabachs im 18. und 19. Jahrhundert prägten. Ihr folgten Aschig Päri (etwa 1802–nach 1842), Churschidbanu Natävan (1837–1897) und Fatma chanim Käminä (1841–1898). Gerechterweise muss man sagen, dass Aghabäyim agha Aghabadschis Werk im Vergleich zu ihren drei Karabacher Nachfolgerinnen recht überschaubar wirkt. Doch kann man sie mit einem gewissen Recht als Wegbereiterin der Karabacher Frauendichtung einordnen. Wie Churschidbanu Natävan gehörte auch sie noch jener Klasse Karabacher Dichterinnen an, die herrscherlicher Herkunft und stark vom Hofleben geprägt waren. Erst mit Aschig Päri trat in der Karabacher Literatur eine Dichterin auf, die sich ihren literarischen Ruhm auch ohne diese Voraussetzungen erkämpfte.

Der eigentliche Grund, warum Aghabäyim agha Aghabadschi bis heute nicht aus dem kulturellen Gedächtnis der Aserbaidschaner verschwunden ist, dürfte in der engen Verbindung ihres einzigartigen und nicht immer einfachen Lebenswegs sowie ihres Werks mit dem Schicksal Karabachs liegen. Im wirklichen Leben wie in den Gedichten der Khanstochter standen Glanz und Kummer dicht beieinander.

Jugend einer Prinzessin

Aghabäyim agha Aghabadschi wurde um 1782 geboren. Ihr Vater Ibrahim Chälil herrschte von 1763 bis zu seiner Ermordung durch die russische Armee 1806 als unabhängiger Khan über Karabach. Obwohl der Status weiblicher Nachkommen in der damaligen Zeit nicht besonders hoch angesiedelt war und Ibrahim Chälil zahllose weibliche und männliche Nachkommen von insgesamt 16 Frauen hatte, genoss Aghabäyim agha Aghabadschi unter seinen Kindern eine herausgehobene Stellung. Dies ist schon daran zu erkennen, dass der Khan sie von dem berühmten Dichter, Gelehrten und Pädagogen Molla Pänah Vagif (1717–1797) ausbilden ließ. Dieser war als Wesir zugleich die nach dem Herrscher selbst höchste politische Figur am Hof. Neben ihrer Muttersprache Aserbaidschanisch und den für ihren Stand unentbehrlichen Kultursprachen Arabisch und Neupersisch soll Aghabäyim agha Aghabadschi auch das Französische und Russische beherrscht haben.

Aghabäyim agha Aghabadschis Kindheit und Erziehung fielen in die höchste kulturelle Blütezeit des Khanats Karabach. In den 1780er und frühen 1790er Jahren war dieses nicht nur eine regionale, sondern auch internationale politische, wirtschaftliche und kulturelle Größe. Es rangierte auf Augenhöhe mit dem Osmanischen Reich, Russland und anderen Großmächten.

Dramatische Lebenswende

1797 erfuhr das Leben der Prinzessin jedoch eine dramatische Wende. In der Nacht vom 16. auf den 17. Juni (gregorianischer Zählung) wurde in Karabachs Hauptstadt Schuscha Agha Mohammed ermordet. Agha Mohammed war ein Kriegsherr aus dem turksprachigen Stamm der Kadscharen. Ein Jahr zuvor war es ihm gelungen, sich in Teheran zum Schah (König) Irans krönen zu lassen. Damit begründete er die bis 1925 herrschende Kadscharendynastie. Agha Mohammed griff Karabach zweimal (1795 und 1797) mit einem riesigen Heer an. Beim zweiten Mal wurde ihm die Hauptstadt Schuscha kampflos übergeben – nur zwei Tage vor seinem Tod.

Nach der bis heute nicht vollends aufgeklärten Ermordung Agha Mohammeds (hatte man ihn etwa nur deshalb in die Stadt gelassen, um ihn dort zu meucheln?) versuchte Aghabäyim agha Aghabadschis Vater Ibrahim Chälil, der während der Besetzung Schuschas aus der Stadt geflohen war, eine möglichst auskömmliche Beziehung zur übermächtigen Kadscharendynastie herzustellen. Als Teil der Vereinbarungen, mit denen der Herrscher von Karabach den Frieden mit den Kadscharen besiegeln wollte, wurde Aghabäyim agha Aghabadschi 1798 an den Hof von Teheran geschickt. Dort heiratete sie Agha Mohammeds Sohn und Nachfolger Fath-Ali, der das Kadscharenreich bis zu seinem Tod 1834 regierte.

Aghabäyim agha Aghabadschis Leben war von nun an zum einen von ihrer Sehnsucht nach ihrer alten Heimat Karabach, zum anderen von der Anpassung an ihre neue Umgebung geprägt. Zu ihrem Glück liebte Fath-Ali Schah sie aufrichtig und innig ungeachtet des Umstandes, dass es sich zwischen ihnen ursprünglich um eine Zweckehe gehandelt hatte. Aghabäyim agha Aghabadschi blieb bis zu ihrem Tod Fath-Alis Lieblingsfrau. Nach ihrem Tod wurde sie in der für Schiiten heiligen Stadt Ghom neben Fath-Ali Schahs Grab beigesetzt.

Wenig überraschend waren die übrigen Damen im Harem des Kadscharenherrschers von der Ankunft der neuen Favoritin nicht wirklich begeistert. Bis zu ihrem Lebensende musste Aghabäyim agha Aghabadschi daher unter Intrigen und Abweisung seitens anderer Frauen des kadscharischen Hofs leiden.

Aghabäyim agha Aghabadschis Verse spiegeln das Schicksal Karabachs

Das Schicksal der Königsgattin, in dem sich wohl insgesamt Glück und Kummer die Waage hielten, spiegelt sich auch in vielen der Verse wider, die ihr zugeschrieben werden. Diese sind oft in Überlieferungen mehr oder weniger legendarischen Charakters eingebettet. Ein Beispiel ist der folgende Vierzeiler (das darin vorkommende Wort „Aschug“ bezeichnet einen traditionellen aserbaidschanischen Dichter oder eine Dichterin):

„Ich bin ein Aschug, den Schnee sieh dort!

Schwarze Trauben, schwarzer Hort …

Wär Teheran sogar das Paradies,

Es ginge Karabach aus dem Sinn nie fort.“

“Vәtәn bağı” al-әlvandır,

Yox içindә Xarı-bülbül.

Nәdәn hәr yerin әlvandır,

Köksün altı, sarı bülbül?!

Einer Legende zufolge trugen Aghabäyim agha Aghabadschis Neiderinnen am Teheraner Hof diese Verse Fath-Ali mit der Behauptung zu, die Karabacherin fände das Leben am Teheraner Hof unerträglich. Als der Schah seine Lieblingsfrau darob zur Rede stellte, habe diese sich jedoch dadurch aus der Affäre ziehen können, dass sie die Wörter „Teheran“ und „Karabach“ in den beiden letzten Zeilen einfach vertauschte. Die Reaktion des Herrschers soll nicht weniger elegant gewesen sein: Er habe sich entzückt gezeigt und Aghabäyim agha Aghabadschi die Erfüllung jedes Wunschs versprochen – mit Ausnahme ihrer Rückkehr nach Karabach.

In einer weiteren Aghabäyim agha Aghabadschi zugeschriebenen berühmten Vierzeilenstrophe geht es um die Symbolblume Schuschas und Karabachs, die Kaukasus-Ragwurz (aserbaidschanisch Xarı-bülbül, lateinischer NameOphrys caucasica). Einer der dazugehörigen Legenden zufolge versuchte Aghabäyim agha Aghabadschi nach ihrer Übersiedlung nach Teheran, diese Blume dort wachsen zu lassen, um ihr Heimweh zu lindern. Aber dies konnte nicht gelingen, da die wunderschöne und symbolträchtige Blume eben nirgendwo anders als in ihrer Heimat Karabach gedeihen mochte. So blieb der Prinzessin nur übrig, den folgenden traurigen Vierzeiler zu verfassen (der „Heimatgarten“ dürfte sich auf einen Palastgarten in Teheran beziehen):

„Der ,Heimatgartenʻ ist farbenerfüllt,

Doch fehlt der Nachtigallendorn.

Warum nur bist du in Farben gehüllt,

Doch gelb, du Nachtigall, da vorn?“

“Vәtәn bağı” al-әlvandır,

Yox içindә Xarı-bülbül.

Nәdәn hәr yerin әlvandır,

Köksün altı, sarı bülbül?!

Ihr Nachleben dauert bis heute an

Ob die Verse in der überlieferten Form tatsächlich von Aghabäyim agha Aghabadschi stammen oder nicht und ungeachtet der Frage, ob die dazugehörigen Legenden eine historische Grundlage haben – diese Zeilen spielen bis in die Gegenwart eine enorme Rolle in der aserbaidschanischen Erinnerungskultur. Denn sowohl die Verszeilen selber als auch die zu ihnen erzählten Geschichten lassen sich aufs Engste mit dem Schicksal Karabachs und Schuschas verbinden. Dass Karabach niemals vergessen werde, und selbst wenn Teheran sich in das Paradies verwandeln würde, ist ein Satz, den wohl jeder Aserbaidschaner unterschreiben könnte. Und die Verse über den „Heimatgarten“ und die darin nicht zu findende Kaukasus-Ragwurz symbolisierten wie wenige andere das Schicksal Karabachs und seiner Kulturhauptstadt Schuschas in der Zeit der ausländischen Besatzung. Der Einfluss der Verse ist auch in der modernen aserbaidschanischen Literatur noch spürbar. So baute der zeitgenössische Erzähler Azad Qaradәrәli eine Version des zuerst zitierten Vierzeilers in seine Kurzgeschichte „Anderswo gedeihen wir nicht …“ (Biz ayrı yerdǝ övc elǝmirik …) ein, die dem Geschehen während des Ersten Karabachkriegs Anfang der 1990er Jahre gewidmet ist.