Henry Kissinger / Foto: Reuters (Reuters)
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Henry Kissinger, eine Symbolfigur des Kalten Krieges, verstarb im Alter von 100 Jahren. In der Geschichte der USA gab es viele Außenminister, doch Kissinger stach hervor durch seine führende Rolle bei der Gründung und Etablierung des heute festgefahrenen internationalen Systems. Kissinger wuchs in der bayerischen Stadt Fürth als orthodoxer Jude auf. Im Jahr 1938, im Alter von 15 Jahren, floh er mit seiner Familie vor den Nazis in die Vereinigten Staaten. Dreizehn seiner nächsten Verwandten und die meisten seiner Klassenkameraden verloren ihr Leben im Holocaust.

Kissinger wurde vorgeworfen, eine Rolle bei der Verlängerung des Vietnamkriegs, dem Völkermord in Bangladesch, den Bürgerkriegen in Südafrika und den Putschen in Lateinamerika gespielt zu haben. Während seiner Zeit als Nationaler Sicherheitsberater und Außenminister beeinflusste er maßgeblich die Weltpolitik. Er spielte eine entscheidende Rolle in den Beziehungen zu China, im Vietnamkrieg, in den Beziehungen zur Sowjetunion und in der Nahostpolitik der USA. Kissingers Haltung in der Israel-Palästina-Frage brachte der Region keinen Frieden, sondern war vielmehr einer der Hauptgründe für die Sackgasse, in der sich die Region heute befindet.

Kissinger und die Israel-Palästina-Frage

Kissinger war aufgrund seiner Rolle bei der Gestaltung der US-Außenpolitik, insbesondere im Nahen Osten, im arabischen und muslimischen Raum kein beliebter Politiker. Viele Politiker und Experten für internationale Beziehungen sind der Meinung, dass Kissingers Handlungen die Instabilität verschärften und er strategische Interessen über moralische Prinzipien stellte, wobei er geopolitische Dominanz auf Kosten von Gerechtigkeit und Menschenrechten priorisierte. Während des Jom-Kippur-Krieges 1973, in dem 20.000 Araber starben, betonte Kissinger die Wichtigkeit der Beschleunigung der US-Hilfe für Israel. Laut Martin Indyk, ehemaliger US-Botschafter in Israel, halfen Kissingers machiavellistische Taktiken Israel, Stabilität zu erlangen. In einem Interview mit einer israelischen Zeitung sagte Indyk: „Kissingers Ziel war es nicht so sehr, Frieden zu schaffen, sondern vielmehr eine neue, von den USA geführte Ordnung im Nahen Osten zu etablieren, die tiefgreifende Auswirkungen auf den arabisch-israelischen Konflikt und auf das Überleben und Wohlergehen Israels in diesem Kontext hatte.“

Israels Präsident Shimon Peres (L) steht mit dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger, nachdem er ihm auf der vierten jährlichen Präsidentenkonferenz in Jerusalem am 19. Juni 2012 die Verdienstmedaille des Präsidenten überreicht hat. (Reuters)

Laut Kissinger waren die Interessen der USA im Nahen Osten nur dann zu sichern, wenn Israel militärisch über die arabischen Staaten in der Region dominierte. Kissinger glaubte, eine Überlegenheit der arabischen Staaten über Israel würde eine Stärkung der Sowjetunion im Nahen Osten zur Folge haben. Kissinger war ein derart starker Unterstützer Israels, dass behauptet wurde, Präsident Nixon habe sich mehrmals gegenüber seinem Stab, arabischen Außenministern und sogar beim sowjetischen Botschafter über Kissingers pro-israelische Haltung beklagt. Kissinger, der für seine Unterstützung Israels bekannt ist, kritisierte die pro-palästinensischen Demonstrationen in Deutschland und tadelte die deutschen Regierungen mit den Worten: „Ein schwerer Fehler, so viele Menschen völlig verschiedener Kulturen hereinzulassen.“

Kurz vor seinem Tod forderte Kissinger in einem Interview, Deutschland solle Israel uneingeschränkte Unterstützung gewähren, und verlangte sogar, Deutschland müsse Israel im Bedarfsfall militärisch unterstützen.

Kissinger und der Nobelpreis

Kissinger wurde 1977 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Er wird für die Beendigung des Vietnamkriegs der USA und die Öffnung zu China in Erinnerung bleiben, wird aber auch als Kriegsverbrecher verurteilt. Als Kissinger für den Nobelpreis ausgewählt wurde, kommentierte der Komiker Tom Lehrer, „politische Satire ist aus der Mode gekommen“

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ehemalige US-Außenminister Henry A. Kissinger nehmen an der Preisverleihung der American Academy im Schloss Charlottenburg in Berlin, Deutschland, am 21. Januar 2020 teil. (Reuters)

Kissinger, der die Interessen der USA und Israels hochschätzte, unterstützte 1973 den von Pinochet angeführten Militärputsch, mit dem die demokratisch gewählte sozialistische Regierung in Chile gestürzt wurde. Er unterstützte auch den Militärputsch gegen die Regierung von Präsidentin Maria Estela Martinez Peron in Argentinien 1976 und spielte eine aktive Rolle bei der Bombardierung Kambodschas1969 und der Invasion Südvietnams1970. Pentagon-Berichten zufolge genehmigte Kissinger jeden der 3.875 Luftangriffe auf Kambodscha in den Jahren 1969 und 1970 und die Methoden, um diese vor der Presse geheim zu halten. In der Ausgabe der New York Times vom 17. Oktober 1973 wurde Kissingers Nobelpreis als „Nobelpreis für Krieg“ bezeichnet.

Wie wird die Geschichte Kissinger in Erinnerung behalten?

Kissingers Politik gilt als eine der Hauptursachen für die Sackgasse, in der sich der Nahe Osten befindet. Berichte und Historiker machen geltend, Kissinger sei für den Tod von Tausenden in Palästina, Kambodscha, Vietnam, Argentinien, Angola und vielen afrikanischen Ländern verantwortlich. Das von Kissinger geschaffene und bediente ‚realistische‘ System scheint immer noch Blutvergießen im Nahen Osten zu verursachen. Dennoch wurde er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet und wird nach seinem Tod fast wie ein Friedensheld geehrt. Die Geschichte wird zeigen, ob Kissinger als jemand, der Nationen in Blut getaucht, Staatsstreiche ermöglicht und Bürgerkriege angefacht hat oder als Friedensstifter in Erinnerung bleibt.