6.09.2020, Mecklenburg-Vorpommern, Lubmin: Ein Wegweiser steht vor der Erdgasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 2. (dpa)
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Die Regierung von US-Präsident Joe Biden gerät im Zusammenhang mit der umstrittenen deutsch-russischen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 unter innenpolitischen Druck. Hintergrund ist ein Bericht der US-Nachrichtenseite „Axios“ vom Dienstag, wonach die US-Regierung auf die Anwendung von Sanktionen gegen die im schweizerischen Zug ansässige Nord Stream 2 AG und deren deutschen Geschäftsführer Matthias Warnig verzichten will. Republikaner im US-Kongress reagierten empört. Der Top-Republikaner im Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses, Michael McCaul, teilte mit, sollte der „Axios“-Bericht zutreffen, wäre das ein Indiz dafür, dass die Biden-Regierung die Pipeline nie wirklich habe verhindern wollen.
„Diese Pipeline ist kein einfaches kommerzielles Projekt, das unsere Beziehungen mit (der Regierung in) Berlin beeinträchtigen könnte. Es ist ein russisches Projekt der böswilligen Einflussnahme, das die Energieabhängigkeit Europas von Moskau zu vertiefen droht“, kritisierte McCaul. „Wenn das Putin-Regime diese Pipeline fertigstellen darf, dann nur, weil die Biden-Regierung sich dazu entschlossen hat, das zuzulassen.“ Der republikanische Senator Ben Sasse warf Biden vor, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin „ein massives strategisches Druckmittel in Europa“ in die Hand zu geben.
„Axios“ hatte gemeldet, in einem bevorstehenden Bericht an den US-Kongress zu Sanktionen wegen des Nord-Stream-2-Baus wolle das US-Außenministerium nur einige weitere russische Schiffe mit Strafmaßnahmen belegen. Das Ministerium wolle darin zwar auch festhalten, dass die Nord Stream 2 AG und ihr Geschäftsführer grundsätzlich an sanktionierbaren Aktivitäten beteiligt seien. Zur Begründung des Verzichts auf Strafmaßnahmen wolle das Ministerium aber nationale Interessen anführen. Der Bericht an den Kongress ist alle 90 Tage fällig, die Frist läuft diese Woche aus.
Kein Bruch der Beziehungen wegen Pipeline
„Axios“ interpretierte die angebliche Entscheidung der Biden-Regierung so, dass diese nicht willens sei, ihre Beziehungen zu Deutschland wegen Nord Stream 2 zu zerrütten. Die fast fertiggebaute Ostsee-Pipeline zählt seit Jahren zu den Hauptstreitpunkten in den deutsch-amerikanischen Beziehungen.
US-Außenminister Antony Blinken betonte in einem Telefonat mit seinem deutschen Kollegen Heiko Maas am Dienstag erneut, dass die USA die Pipeline von Russland nach Deutschland weiterhin ablehnten, wie das Außenministerium in Washington mitteilte. Blinken unterstrich die Entschlossenheit der USA, mit Verbündeten und Partnern zusammenzuarbeiten, um „russischen Bestrebungen entgegenzuwirken, die unsere kollektive Sicherheit untergraben“. Blinken hatte bei seiner Anhörung im Senat vor der Bestätigung im Amt im Januar über die schon damals fast fertig gebaute Pipeline gesagt: „Ich bin entschlossen, alles zu tun, was wir können, um diese Fertigstellung zu verhindern.“
Bislang haben die USA wegen Nord Stream 2 jedoch lediglich Sanktionen gegen das russische Verlegeschiff „Fortuna“ und dessen Betreiberfirma KVT-RUS verhängt - diese Strafmaßnahmen hatte noch die Regierung des republikanischen Präsidenten Donald Trump kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit im Januar verkündet. Das Schiff und das Unternehmen wurden auch im ersten Bericht des US-Außenministeriums unter Blinken an den Kongress vom 19. Februar erwähnt. Weitere Unternehmen wurden damals aber wider Erwarten nicht mit Strafmaßnahmen belegt oder bedroht. Schon danach hatten Republikaner kritisiert, Biden lasse die Fertigstellung der Pipeline zu.
„Schlechter Deal für Europa“
Biden hat Nord Stream 2 wiederholt als „schlechten Deal für Europa“ bezeichnet. Ende 2019 waren die Bauarbeiten an der schon sehr weit gediehenen Pipeline gestoppt worden, nachdem die USA ein erstes Sanktionsgesetz (Peesa) gegen die Spezialschiffe in Kraft gesetzt hatten, die die Rohre verlegten. In einem zweiten Gesetz (Peesca) wurden die Sanktionsmöglichkeiten deutlich breiter gefasst. Beide Gesetze wurden im Kongress sowohl von Republikanern als auch von Demokraten unterstützt.
Nord Stream 2 soll nach Fertigstellung 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr von Russland nach Deutschland befördern. Die USA befürchten durch das Projekt eine zu starke Abhängigkeit Europas von russischem Gas. Auch osteuropäische Staaten wie Polen und die baltischen Länder lehnen die Pipeline ab. Befürworter halten den Amerikanern entgegen, sie seien nur auf bessere Absatzchancen für ihr Flüssiggas in Europa aus. Dieses gilt derzeit gegenüber russischem Erdgas als wenig konkurrenzfähig, weil die deutlich höheren Transportkosten die Angebote verteuern.
Bei der Nord Stream 2 AG mit Sitz im schweizerischen Steuerparadies Zug ist der russische Konzern Gazprom formal einziger Anteilseigner. Dazu kommen aber als „Unterstützer“ die deutschen Konzerne Wintershall Dea - ein Gemeinschaftsunternehmen von BASF und LetterOne - sowie Uniper (eine Abspaltung von Eon) und die niederländisch-britische Shell, Engie (einst GDF Suez) aus Frankreich. Auch die OMV aus Österreich, die ursprünglich aus der Sowjetischen Mineralölverwaltung in der dortigen sowjetischen Besatzungszone nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen war, ist mit von der Partie. Nord-Stream-Aufsichtsratschef ist Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), bei Nord Stream 2 ist er Präsident des Verwaltungsrats. Mehr dazu: Polens Botschafter fordert ein Ende von Nord Stream 2

dpa