Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei einer Rede.  (AA)
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat US-Präsident Joe Bidens Völkermord-Anschuldigung bezüglich der Ereignisse von 1915 in Ostanatolien als „unbegründet“ angeprangert. In einer am Montag im Fernsehen übertragenen Rede forderte er Washington auf, die „falschen Schritte“ wieder rückgängig zu machen.
„Der US-Präsident hat Kommentare getätigt, die grundlos und unfair sind“, sagte Präsident Erdoğan. Er warnte, dass diese eine „zerstörerische Wirkung“ auf die türkisch-amerikanischen Beziehungen haben könnten und fügte hinzu: „Wir glauben, dass diese Kommentare auf Druck von radikalen armenischen Gruppen und antitürkischen Kreisen in die Erklärung aufgenommen wurden.“
Die Türkei vertritt die Position, dass es zum Tod von Armeniern in Ostanatolien kam, nachdem sich einige davon im Ersten Weltkrieg auf die Seite einmarschierender russischer Streitkräfte gestellt und sich gegen die osmanischen Truppen aufgelehnt hatten. Anschließende Deportationen führten zu zahlreichen Opfern. Die Türkei spricht von einer Tragödie für alle Seiten und wehrt sich gegen die Einstufung der Vorfälle als Völkermord.
Gemeinsame Historikerkommission

Ankara hat wiederholt vorgeschlagen, eine gemeinsame Kommission von Historikern aus der Türkei und Armenien sowie internationalen Experten zu gründen, um das Thema zu behandeln.
„Nur Historiker können solche Ereignisse beleuchten“, unterstrich Präsident Erdoğan. Die Türkei habe von Armenien allerdings keine Antwort auf das Angebot erhalten, eine gemeinsame Historikerkommission einzurichten.
Er erklärte, es gebe an vielen Orten Massengräber von Türken, die von Armeniern massakriert worden seien, „aber nirgendwo kann man Massengräber von Armeniern finden“.
Sogar in US-Berichten werde die Zahl derer, die umgesiedelt wurden, mit höchstens 600.000 angegeben, während die tatsächliche Zahl niedriger sei, sagte Präsident Erdoğan. In diesem Zusammenhang forderte er die USA und Europa auf, Dokumente über die Ereignisse von 1915 in ihren Archiven öffentlich zugänglich zu machen – „wenn es welche gibt“.
Am Samstag hatte US-Präsident Biden die Ereignisse von 1915 als angeblichen „Völkermord“ bezeichnet und brach damit mit einer langen Tradition US-amerikanischer Präsidenten, diesen Begriff zu vermeiden.
Blick in den Spiegel

Biden müsse zuerst selbst „in den Spiegel schauen“, wenn er die Ereignisse aus dem Ersten Weltkrieg als „Völkermord“ bezeichne. „Wir können auch darüber sprechen, was den amerikanischen Ureinwohnern, den Schwarzen und in Vietnam passiert ist“, erinnerte das türkische Staatsoberhaupt.

„Das Niveau der türkisch-amerikanischen Beziehungen hat sich zurückentwickelt“, so Erdoğan. Dennoch fügte er optimistisch hinzu, er sei „überzeugt, dass eine neue Tür geöffnet werden kann, wenn wir im Juni beim NATO-Treffen in Brüssel zusammenkommen“. Die beiden Staatsoberhäupter hatten bei ihrem Telefonat am Freitag ein Treffen am Rande des NATO-Gipfels im Juni vereinbart.

TRT Deutsch