Opposition wirft Regierung Salami-Taktik vor. (dpa)
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Im Wirecard-Skandal haben Oppositionspolitiker der Bundesregierung eine mangelnde Aufarbeitung vorgeworfen und nehmen dabei auch das Kanzleramt ins Visier. Der Linke-Obmann im Finanzausschuss, Fabio De Masi, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Bundesregierung handelt immer noch nach einer Salami-Taktik und legt entscheidende regierungsinterne Dokumente nicht vor.“ Ein Untersuchungsausschuss werde immer dringlicher.
Die Grünen-Obfrau Lisa Paus kritisierte, bisher habe sich die Bundesregierung immer wieder um die entscheidenden Fragen gewunden. „Es ist verständlich, dass der Unmut bei den vielen geschädigten Anlegern und der Öffentlichkeit so wächst.“
FDP-Obmann Florian Toncar sagte, es sei rätselhaft, warum die Finanzaufsicht Bafin und die FIU, die Anti-Geldwäsche-Einheit des Bundes, Wirecard nicht viel früher und schärfer geprüft hätten. „Unerklärlich ist es bisher auch, warum die bayerischen Behörden ebenfalls vollkommen im Dunkeln tappten“, sagte Toncar der dpa. Wirecard hat seinen Sitz in Aschheim bei München.
Auch die FDP ist für einen Untersuchungsausschuss, die Grünen wollen die erneuten Sondersitzungen des Finanzausschusses am Montag und Dienstag abwarten.

Paus sagte der dpa: „Wir werden in den kommenden Sitzungen den Finger noch mal gezielt in die Wunde legen.“ So müsse geklärt werden, was im Kanzleramt im Fall Wirecard bekannt gewesen sei. Außerdem gehe es darum, warum Hinweise auf Geldwäsche bei Wirecard verspätet oder gar nicht bearbeitet worden seien. „Wir werden nach der Sondersitzung am Dienstag umgehend Bilanz ziehen. Bis jetzt ist ein Untersuchungsausschuss mit jedem Tag wahrscheinlicher geworden - aber wir lassen uns gerne von der Bundesregierung überraschen.“ Gehört werden sollen am Montag unter anderem Vertreter des Kanzleramts, Vertreter von Bayerns Innenministerium sowie Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Sie soll unter anderem zur geplanten Reform der Wirtschaftsprüfung und des Bilanzstrafrechts als Folge des Wirecard-Skandals befragt werden sowie zu möglichen Kontakten des Ministeriums zur Prüfgesellschaft EY. Am Dienstag wird unter anderem der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Felix Hufeld, erwartet. EY steht in der Kritik, weil das Unternehmen die Jahresbilanzen bei Wirecard seit 2009 geprüft und testiert hatte.

Der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hatte im Juni Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seit 2015 Scheingewinne auswies, und ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Der Schaden für die kreditgebenden Banken und Investoren könnte sich auf 3,2 Milliarden Euro summieren.

Seit wann wusste Berlin von Unregelmäßigkeiten? Zentrale Fragen bei der politischen Aufarbeitung sind, wann genau die Bundesregierung von Unregelmäßigkeiten wusste und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat. Bei einer Sondersitzung des Finanzausschusses Ende Juli hatte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) Vorwürfe zurückgewiesen, die Bafin habe bei Wirecard nicht genügend unternommen. Die Bafin steht unter der Aufsicht des Finanzministeriums. De Masi sagte, er sehe vor allem offene Fragen zu einer Reise von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach China im September 2019, auf der sie für den Markteintritt von Wirecard geworben hat. Merkel hatte das am Freitag verteidigt: „Es ist Usus, nicht nur in Deutschland, dass man bei Auslandsreisen natürlich die Anliegen von Unternehmen auch anspricht.“ Damals seien die Unregelmäßigkeiten bei Wirecard noch nicht bekannt gewesen. Merkel betonte zugleich: „Das, was da passiert ist, muss natürlich aufgeklärt werden, das ist klar.“ Der Linke-Obmann sagte dazu: „Die Verteidigungslinie ist ja, dass Merkel sich für einen Dax-Konzern eingesetzt habe und von den Unregelmäßigkeiten bei Wirecard nichts gewusst hat. Warum aber wird dann die Kommunikation dazu mit dem Botschafter nicht offengelegt?“ De Masi sieht daneben weitere offene Fragen. Das Kanzleramt müsse beantworten, ob Merkel in China neben Wirecard auch für Augustus Intelligence geworben habe, unter Vermittlung des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg. Wegen seiner Nebentätigkeit und Lobbyarbeit für das US-amerikanische IT-Unternehmen Augustus Intelligence war der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor stark in die Kritik geraten.

dpa