08.10.2021, Österreich, Wien: Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich, kommt, um ein Statement zur Regierungskrise im Bundeskanzleramt abzugeben. Nach Hausdurchsuchungen des Kanzleramts und des ÖVP-Hauptsitzes am 06.10.2021 wegen schwerer Korruptionsvorwürfe gegen Bundeskanzler Kurz und einige seiner Berater haben sich die Grünen gegenüber ihrem Koalitionspartner anscheinend auf Distanz begeben. Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa (dpa)
Folgen

In Österreich zeichnet sich weiter keine Lösung in der Regierungskrise ab. Kanzler Sebastian Kurz hält trotz der Korruptionsvorwürfe und Rücktrittsforderungen unbeirrt an seinem Amt fest. Er und seine Partei seien „handlungsfähig und vor allem auch handlungswillig“, sagte Kurz am Freitagabend in einem kurzfristig angekündigten Statement im Kanzleramt. Die Grünen sehen aber seinen Rückzug als Voraussetzung für die Fortsetzung der Koalition. Sie wollen am Wochenende die Gespräche mit den anderen Parteien über eine Zusammenarbeit ohne die ÖVP fortsetzen. Einen offiziellen Fahrplan dafür gibt es aber bisher nicht.

Allerdings hat die oppositionelle SPÖ für kommenden Dienstag im Nationalrat einen Misstrauensantrag gegen Kurz angekündigt. Unter der Voraussetzung, dass sämtliche Abgeordnete der Opposition diesen unterstützen, würde dieser noch sechs Stimmen aus den Reihen der Grünen benötigen, um eine Mehrheit zu finden.

Van der Bellen warnt vor „Egoismen“
Bundespräsident Alexander Van der Bellen fand am Freitagabend deutliche Worten für die verfahrene Situation. Er forderte alle politischen Akteure auf, jetzt an das Wohl des Landes und nicht an eigene Interessen zu denken. „Österreich kann sich jetzt keine Egoismen leisten“, sagte das Staatsoberhaupt in einer kurzen Rede an die Nation.
Die Grünen hatten am Freitag klargestellt, dass eine Fortsetzung ihrer Koalition mit der konservativen ÖVP angesichts der schweren Korruptionsvorwürfe gegen Kurz nur mit einem „untadeligen“ neuen ÖVP-Kanzler möglich sei. Es werde immer deutlicher, „dass es im Machtzentrum der ÖVP ein erschütterndes, ein erschreckendes, ja eigentlich ein schauerliches Sittenbild gibt“, sagte Grünen-Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler am Freitagabend.

SPÖ-Chefin Rendi-Wagner will notfalls mit Kickl-FPÖ paktieren
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Kurz und einige seiner engsten Vertrauten wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue. Das Team soll den Aufstieg von Kurz an die Spitze von Partei und Staat seit 2016 durch geschönte Umfragen und gekaufte Medienberichte abgesichert haben. Dafür seien Steuermittel geflossen. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, die am Mittwoch nach einer Razzia im Bundeskanzleramt bekanntgeworden waren. Auch das Boulevardblatt „Österreich“ der Fellner-Verlagsgruppe bestreitet, in irgendeiner Weise Vereinbarungen über das „Frisieren“ von Umfragen gegen Inserate aus dem Finanzministerium eingegangen zu sein.
Kurz sollte sich nach Einschätzung der oppositionellen SPÖ nicht auf die bisherigen Solidaritätsbekundungen seiner Partei verlassen. Eine Partei wie die konservative ÖVP, die seit Jahrzehnten an der Macht sei, sei bereit, Kurz noch vor dem für Dienstag im Parlament geplanten Misstrauensvotum zu opfern, sagte die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner am Freitagabend in der ORF-Nachrichtensendung „ZiB2“. „Das ist aus meiner Sicht das wahrscheinlichste Szenario“.

Gleichzeitig schloss Rendi-Wagner nicht aus, selbst als Alternative im Kanzleramt zur Verfügung zu stehen - notfalls in einem Viererbündnis, das auch die rechtspopulistische FPÖ umfasst. Deren Chef Herbert Kickl, der sich als aggressiver Anti-Asyl-Politiker und Impfgegner profiliert hat, solle „nur nicht Gesundheitsminister“ werden.

dpa