Russland, St. Petersburg: Die Polizei verhaftet einen Mann bei einer Demonstration zur Unterstützung des inhaftierten Oppositionsführers Nawalny. (dpa)
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Bei landesweiten Demonstrationen für den inhaftierten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny sind in Russland nach Angaben einer Beobachtergruppe mehr als 1700 Menschen festgenommen worden. Allein bei der Kundgebung in Sankt Petersburg habe die Polizei am Mittwoch 805 Demonstranten in Gewahrsam genommen, teilte die unabhängige Gruppe OVD-Info am Donnerstag mit. Insgesamt seien 1783 Menschen in 97 Städten festgenommen worden. Bereits im Vorfeld der Proteste mit tausenden Teilnehmern waren Sicherheitskräfte massiv gegen Anhänger Nawalnys vorgegangen. In fast 30 Städten gab es laut OVD-Info Razzien und Festnahmen. Unter anderem wurde das Büro von Nawalny in St. Petersburg durchsucht und seine Vertrauten Ljubow Sobol und Kira Jarmysch festgenommen.

Anhänger von Nawalnys „Vereinigung zur Bekämpfung der Korruption“ (FBK) fordern die Freilassung des nationalistischen Oppositionspolitikers. (DPA)

Die Menschen riefen trotz Drohungen der Behörden zu Zehntausenden „Freiheit für Nawalny!“ und forderten, dem in Haft schwer erkrankten 44-Jährigen ärztliche Hilfe zu leisten. Vereinzelt gab es Berichte über Polizeigewalt gegen die friedlichen Demonstranten. Nawalny ist seit drei Wochen im Hungerstreik, um so eine Behandlung von einem unabhängigen Arzt zu erwirken. Er klagt über Rückenschmerzen und Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen. Nach Angaben des russischen Strafvollzugs wird er auf einer Krankenstation im Straflager behandelt. Die Behörden sehen keine Gefahr für sein Leben. Auch Nawalnys Frau Julia, sein Bruder Oleg und seine Mutter nahmen an den nicht erlaubten Aktionen in Moskau teil. Nawalnys enge Mitarbeiterin Ljubow Sobol und seine Sprecherin Kira Jarmysch waren bereits Stunden vor den Protesten festgenommen worden. Jarmysch soll für zehn Tage in der Arrestzelle bleiben, wie sie mitteilte. Der Grund der Festnahmen war zunächst nicht klar.

Polizeiangaben zufolge beteiligten sich allein in Moskau etwa 6000 Menschen an den Solidaritätskundgebungen für Nawalny. (DPA)

Die Behörden hatten davor gewarnt, an den Protesten teilzunehmen. In der russischen Hauptstadt waren im Zentrum zehntausende Menschen auf den Beinen, um Nawalny zu unterstützen, wie unabhängige Beobachter sagten. Autos hupten zur Unterstützung, als sie an den Demonstranten vorbeifuhren. Viele Demonstranten sagten, dass sie ihre Angst überwunden hätten und für Nawalny eintreten wollten. Die Polizei sprach von 6000 Teilnehmern. „Putin ist ein Dieb“, „Putin, hau ab!“ In Sprechchören forderten die Menschen - wie in vielen Städten des Landes - auch den Rücktritt des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie riefen „Putin - wor!“ und „Putin, uchodi!“ (Deutsch: „Putin ist ein Dieb“, „Putin, hau ab!“). Sie werfen dem Kremlchef eine Unterdrückung Andersdenkender sowie Korruption vor und riefen „Freiheit! Freiheit!“. Die Proteste hatten im flächenmäßig größten Land der Erde zunächst im äußersten Osten an der Pazifikküste begonnen. Auch in Sibirien gingen Tausende auf die Straße. In St. Petersburg, der Heimatstadt des Kremlchefs, riefen viele Menschen „Putin ist ein Mörder!“, „Freiheit für politische Gefangene!“ und „Ein Arzt für Nawalny!“, wie der Internetfernsehsender Doschd zeigte. Nach Berichten des Kanals setzten dort Uniformierte auch Elektroschocker gegen friedliche Demonstranten ein.

Die Demonstrationen für Nawalny verliefen Medienberichten zufolge friedlich.  (DPA)

Nawalny macht Putin verantwortlich für einen mutmaßlichen Mordanschlag, der im vergangenen August auf ihn verübt worden war. In Sibirien soll Nawalny mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden sein. Der Präsident weist die Vorwürfe zurück. Die russische Führung lehnt auch Ermittlungen in dem international verurteilten Verbrechen ab. Nawalny warf Putin wiederholt vor, er wolle ihn nun im Straflager töten - aus Rache, weil das Attentat gescheitert sei. Der Kreml hatte internationale Kritik am Umgang mit Nawalny als unzulässige Einmischung in Russlands innere Angelegenheiten abgelehnt. Auch für die medizinische Behandlung des Oppositionellen bezeichnete sich die Präsidialverwaltung als nicht zuständig und verwies an den Strafvollzug, der Nawalnys Zustand als „zufriedenstellend“ einstufte. In Genf verlangten Experten des UN-Menschenrechtsrats hingegen, Nawalny angesichts der „ernsten Gefahr“ für seine Gesundheit zur Behandlung ins Ausland auszufliegen. Sie erinnerten daran, dass der Politiker bereits nach dem Mordanschlag in Deutschland behandelt wurde. Die Sicherheitskräfte verhielten sich zumindest in Moskau - anders als bei den Protesten im Winter - zunächst etwas zurückhaltender. Viele Straßen waren mit Absperrgittern im Zentrum verbarrikadiert. Zuletzt hatte es tausende Festnahmen und massive Polizeigewalt gegen die Nawalny-Unterstützer gegeben. Auch in vielen Städten im Ausland gab es Solidaritätsproteste, darunter in Deutschland unter anderem in Düsseldorf und in Berlin.

Agenturen