31.08.2011, Afghanistan, Kundus: Ein Bundeswehrsoldat (l) und ein Dolmetscher (r) sprechen nahe Kundus im Distrikt von Char Darreh mit einem Mann. (dpa)
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Mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan will die große Mehrheit der einheimischen Mitarbeiter Schutz in Deutschland. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur haben inzwischen mehr als 450 der sogenannten Ortskräfte, die aktuell oder in den vergangenen beiden Jahren in Afghanistan bei der Bundeswehr beschäftigt waren, einen entsprechenden Antrag gestellt. Das sind mehr als 80 Prozent der Menschen in dieser Gruppe. Dazu kommen meist noch Familienangehörige, nach früheren Erfahrungen insgesamt etwa 2000 Menschen. Darüber hinaus gibt es etwa 300 Anträge von Afghanen, die in früherer Zeit als Helfer eingestellt waren, aber innerhalb der geltenden Zweijahresfrist keine Gefährdung angezeigt hatten.
Unterdessen begann die Bundeswehr am Dienstag mit der Rückverlegung von Material und Ausrüstung aus dem Einsatz. Wie das Einsatzführungskommando mitteilte, sollten mehr als 120 Fahrzeuge und 6 Hubschrauber verladen werden. Dabei würden Frachtflugzeuge des Modells Antonow AN-124 eingesetzt, die zu den größten Transportflugzeugen der Welt gehören. Die ersten zwei Transporthubschrauber NH90 wurden am Dienstag eingeladen und nach Deutschland geflogen. Ziel: Der Flughafen Leipzig.
Die Nato will ihre Ausbildungsmission „Resolute Support“ in Afghanistan bis spätestens September beenden. Der Großteil der Truppen wird nach dem Stand der Planungen vorher abgezogen. Deutschland hat etwa 1100 Soldaten im Land, die über die Jahre - vom Übersetzer bis zur Küchenkraft - viele Helfer hatten.
Ob auch Anträge von früheren Ortskräften auch nach Ablauf der Zweijahresfrist geprüft werden sollen, ist politisch noch nicht entschieden. Der Blitzabzug aus dem Land und das Vorrücken der Taliban haben eine neue Lage geschaffen. Was die Bewertung der Einzelfälle noch verkompliziert: In dieser Gruppe können auch Beschäftigte von Vertragsfirmen sein, die nicht unmittelbar bei der Bundeswehr angestellt waren.
Die Bundeswehr leistet in Afghanistan Amtshilfe bei der Organisation. Dazu gehören auch die Erfassung von Daten sowie biometrischer Merkmale. Diese werden für die Erteilung von Visa oder eines Passersatzes - eines sogenannten Reiseausweises für Ausländer - benötigt. Über die Aufnahme der einzelnen Männer oder Frauen als Teil des Ortskräfteprogramms entscheiden in Deutschland dann aber das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte im April für ein schnelles Verfahren plädiert. „Wir reden hier von Menschen, die zum Teil über Jahre hinweg auch unter Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit an unserer Seite gearbeitet, auch mitgekämpft haben und ihren persönlichen Beitrag geleistet haben“, sagte sie. „Ich empfinde es als eine tiefe Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, diese Menschen jetzt, wo wir das Land endgültig verlassen, nicht schutzlos zurückzulassen.“
Experten warnten in der vergangenen Woche, dass die Zeit ablaufe. Wissenschaftler, frühere Diplomaten und Offiziere forderten in einem am Freitag verbreiteten offenen Brief eine unbürokratische und schnelle Aufnahme Betroffener in Deutschland parallel zum Abzug. „Die Taliban haben immer wieder deutlich gemacht, dass sie diese Ortskräfte als Kollaborateure des Westens begreifen, die sie als Unterstützer eines militärischen Besatzungsregimes zur Verantwortung ziehen wollen“, hieß es in dem Schreiben.
Es sei zu befürchten, dass Gefährdete schutzlos zurückgelassen werden könnten, warnen die Unterzeichner. Und: „Wer die effektive Aufnahme wirklich will, der kann in den verbleibenden Wochen nur eine unbürokratische Prozedur für all die Ortskräfte und ihre Angehörigen umsetzen, die für deutsche Stellen gearbeitet haben: öffentliche Bekanntgabe des Aufnahmeprogramms, Registrierung, Vorbereitung der Ausreise, die möglichst geschehen muss, solange die Bundeswehr noch im Lande ist, gegebenenfalls Durchführung von Charterflügen.“

dpa