Berliner Mordprozess gegen Russen – „Herr Angeklagter“ schweigt (dpa)
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Wer ist der Russe auf der Anklagebank in dem Berliner Prozess um einen mutmaßlichen Auftragsmord staatlicher russischer Stellen in der deutschen Hauptstadt? Der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi weiß es zum Prozessauftakt am Mittwoch auch nicht. Ist es Vadim S. oder Vadim K.? Der Richter verkündet, er werde ihn nun mit „Herr Angeklagter“ anreden, „das ist wenigstens unverfänglich“. Doch das Verfahren ist brisant: Unsichtbar sitzt der russische Staat mit auf der Anklagebank. Der „Herr Angeklagte“ mit weißem Hemd, dunkler Hose und Mund-Nasen-Schutz hat in der Panzerglasbox im Hochsicherheitssaal 700 des Berliner Kriminalgerichts Platz genommen, wo das Kammergericht wegen der verschärften Sicherheitsmaßnahmen tagt. Nur ein paar hundert Meter weiter soll der Russe in dem belebten Park Kleiner Tiergarten am 23. August 2019 einen 40 Jahre alten Georgier aus nächster Nähe mit einer Schalldämpfer-Pistole erschossen haben. Auf einem Fahrrad habe er sich dem Arg- und Wehrlosen genähert und dann abgefeuert, erst in den Oberkörper und dann zweimal in den Kopf. Erst im zweiten Anlauf klappt es in dem altehrwürdigen Gerichtssaal nach kurzer Prozess-Unterbrechung mit den Mikrofonen und der Übertragung auf Kopfhörer, die auch der Angeklagte aufgesetzt hat. Kurz schnellt der mutmaßliche Mörder in die Höhe: „Das ist richtig, alles richtig, ich will nicht mehr sagen“, übersetzt der Dolmetscher. Zuvor hat Verteidiger Robert Unger für den Angeklagten dessen Personalien vorgetragen: Vadim S., im August 1970 in Irkutsk geboren, russischer Staatsbürger, nicht verheiratet, von Beruf Bauingenieur. „Mehr möchte ich zu meiner Person nicht erklären“, verliest der Anwalt für den Angeklagten. Später ergänzt er: „Herr S. wird sich derzeit zur Sache nicht einlassen.“ Soll heißen: der Angeklagte schweigt vorerst.

Georgier mit drei Schüssen „liquidierte“

Die Anklage geht hingegen von einem 55 Jahre alten Vadim K. aus, der mit falschem Namen nach Deutschland kam und den Georgier mit drei Schüssen „liquidierte“. Gegenüber dem Angeklagten sitzen vier der acht Nebenkläger, darunter die Ehefrau des Getöteten, der seit Anfang 2016 als Asylbewerber in Deutschland lebte. Die Bundesanwaltschaft hatte als oberste deutsche Anklagebehörde den Fall übernommen, weil sie überzeugt ist, dass die tödliche Attacke eine politische Dimension hat. Sollte im Urteil ein Auftragsmord festgestellt werden, muss nicht nur der Angeklagte mit lebenslanger Haftstrafe rechnen. Es wäre auch ein heftiger Rückschlag für das ohnehin schwer angeschlagene Verhältnis beider Länder. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat für diesen Fall Konsequenzen angekündigt. „Heimtückisch oder aus Habgier oder aus anderen niedrigen Beweggründen“ sei die Tat gewesen, sagt Ankläger Georg. Der Georgier habe wegen seiner Gegnerschaft zum Russischen Zentralstaat sterben müssen. Er war von russischen Behörden als Terrorist eingestuft worden. „Aus Sicht der russischen Regierung war das Tatopfer ein Staatsfeind, insbesondere deshalb, weil der Getötete im Tschetschenien-Krieg gegen Russland gekämpft hatte“, so Georg.

Georgier mit drei Schüssen „liquidierte“ (DPA)

Der mutmaßliche Mörder kam laut Anklage mit einem Reisepass russischer Behörden aus Moskau über Paris und Warschau nach Berlin. Eine russische Fahndungsmitteilung zu dem Angeklagten war im Juli 2015 gelöscht worden. Diese Person war von russischen Behörden wegen eines am 19. Juni 2013 in Moskau verübten Mordes gesucht worden. Putin nannte den Ermordeten einen „Banditen“ und „Mörder“ Der Angeklagte sei zunächst auf dem Rad geflüchtet, das er aber in die Spree warf und zu Fuß weiter lief, so die Anklage. Wenig später wurde er gefasst. Bei seiner Festnahme habe er 3720 Euro in bar dabei gehabt sowie polnisches Geld. Zum Motiv der Tat äußert sich Bundesanwalt Georg so: Entweder habe der Angeklagte den „Tötungsauftrag“ ausgeführt, um eine finanzielle Entlohnung zu bekommen, oder weil er das Motiv seiner Auftraggeber teilte, einen politische Gegner zu beseitigen, um Vergeltung für dessen Rolle im zweiten Tschetschenien-Krieg und in weiteren bewaffneten Auseinandersetzungen mit Russland zu üben. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel den Ermordeten einen „Banditen“ und „Mörder“ genannt. Die Nebenkläger erwarten nun laut einer Erklärung eine umfassende Aufklärung - auch zu möglichen Mittätern, „die es hier in Berlin (aber auch anderswo) gegeben haben muss“. In dem Schreiben der Anwältinnen im Namen von Opfer-Angehörigen heißt es, die Angst vor Verfolgung durch russische Behörden, weshalb „wir unsere Heimat verlassen haben“, habe sich bewahrheitet. „Die Ermordung unseres Vaters, Bruders und Ehemanns hat uns zutiefst verängstigt und verunsichert.“ Sie fordern einen Schutzstatus. Am Donnerstag sollten die ersten beiden Zeugen befragt werden, sie sollen in der Parkanlage gewesen sein. Der Prozess ist zunächst bis Ende Januar terminiert.

dpa