Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Merkel bereitet die Deutschen darauf vor, dass es für ihre Weigerung, Atomstrom als klimaschonend anzuerkennen, keinen ausreichenden Rückhalt unter den EU-Mitgliedstaaten geben wird. (Reuters)
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Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht kaum noch eine Möglichkeit, die Einstufung der Atomenergie als grüne Technologie in der EU zu verhindern. „Deutschland hat seinen Widerstand nicht aufgegeben“, sagte Merkel in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters mit Blick auf einen Entwurf der EU-Kommission, die Atomenergie als nachhaltig anzuerkennen.

Ein grünes Label für bestimmte Energieformen wie Gas ist auch einer der großen Streitpunkte bei den Verhandlungen zur Bildung der ersten Ampel-Koalition im Bund. Bei den Plänen im Finanzmarktbereich sind hier besonders viele Punkte zwischen SPD, Grünen und FDP noch strittig - erkennbar an durchgestrichenen Sätzen und alternativen Vorschlägen für Formulierungen.

Verfahren kann nur schwer wieder aufgehalten werden

Merkel sagte, bei dem von der EU eingeschlagenen Weg eines sogenannten delegierten Rechtsakts auf Grundlage der Taxonomie-Verordnung könne der Vorschlag nur abgelehnt werden, wenn 20 EU-Mitglieder mit Nein stimmen würden. „Das ist eine sehr hohe Hürde und ist voraussichtlich nicht der Fall“, fügte sie mit Blick auf die 27 Mitgliedstaaten hinzu. „Das Verfahren an sich kann nur schwer wieder aufgehalten werden, wenn die EU-Kommission etwas vorlegt.“ Hintergrund ist ein Ringen innerhalb der EU um die sogenannte Taxonomie. Damit sollen Technologien ein Label als nachhaltig und unschädlich erhalten, damit die Finanzströme verstärkt in grüne Technologien geleitet werden können. Für Frankreich zählt die Atomenergie dazu, weil sie kaum C02 produziert, Deutschland ist wegen der aus seiner Sicht nach wie vor ungelösten Frage der Atommüll-Entsorgung dagegen. 129 Nichtregierungsorganisationen aus Europa hatten den wahrscheinlich nächsten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einem offenen Brief zuletzt aufgefordert, die Atomenergie nicht als nachhaltig einzustufen. In den laufenden Koalitionsverhandlungen pochen die Grünen darauf, dass sowohl Atomkraft als auch Gas nicht als nachhaltige Technologien anerkannt werden. Dafür müsse sich die Bundesregierung in Brüssel einsetzen. Die SPD will einen Schritt weniger weit gehen: „Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass Atomkraft als nicht nachhaltig eingestuft wird.“ SPD und FDP wollen Brückentechnologien - also Gas - nicht als „schmutzig“ schmähen. Auch die UNO befürwortet den Einsatz von Erdgas insbesondere in ärmeren Ländern als Alternative zu Holzkohle beim Heizen oder Kochen. Dagegen wehren sich die Grünen, die in den eigenen Reihen unter Druck stehen, beim Klimaschutz mehr eigene Punkte durchzusetzen.

EU-Taxonomie solle ambitioniert und praktikabel sein

Das Papier aus der Arbeitsgruppe Finanzen trägt das Datum vom 9. November, kurz vor dem Ende der Verhandlungsphase der insgesamt 22 AGs. Momentan werden die offenen Fragen von der Hauptverhandlungsgruppe diskutiert. Bis nächste Woche soll der Koalitionsvertrag dann stehen. In dem Finanzmarkt-Papier sind zu Sustainable Finance nur vage Ziele unstrittig. So soll Deutschland der führende Standort für nachhaltige Finanzierungen werden. Die EU-Taxonomie solle ambitioniert und praktikabel sein. Deutsche Umweltschützer fürchten, dass es ein sogenanntes Greenwashing geben könnte, aus ihrer Sicht nicht „nachhaltige“ Anlagen also als grün durchgehen. Merkel betonte, die EU-Kommission wisse, dass es in Deutschland parteiübergreifend die Meinung gebe, dass Kernenergie „nicht als gleichrangig sauber“ mit Wind- und Sonnenenergie eingestuft werden sollte. Atomkraft sei aber zum Beispiel für Frankreich eine Brückentechnologie. „Wir sagen, dass für uns Erdgas als Brückentechnologie klassifiziert werden muss“, so die Kanzlerin im Gegenzug.

Reuters