15.06.2020, Bayern, München: Der wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen sowie sexueller Nötigung angeklagte Mann (r) sitzt vor Prozessbeginn im Landgericht auf seinem Platz und hält sich einen Ordner vor das Gesicht. (dpa)
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Ein Polizist hat am Montag vor dem Landgericht München II sexuellen Missbrauch an mehreren Jungen in zahlreichen Fällen gestanden. „Unser Mandant räumt den sexuellen Missbrauch an allen Geschädigten vollumfänglich ein“, hieß es in einer Erklärung, die sein Anwalt vor Gericht verlas. Er werde die Verantwortung dafür übernehmen – „auch wenn er die Taten nicht ungeschehen machen kann“.
Der 60 Jahre alte deutsche Angeklagte sieht fast ausgezehrt aus - zumindest im Vergleich zu den zahlreichen Bildern im Internet, die ihn als stattlichen Mann zeigen: stolz im Polizeidienst oder noch stolzer im typisch bayerischen Janker als Vorstand der Freiwilligen Feuerwehr. Mehr als ein Jahr lang sitzt er schon in Untersuchungshaft. Es ist ein tiefer Fall.
Mit „Neugier“ begründet der Polizeibeamte, dass er sich immer wieder an Jungen vergriff, die jugendlich waren oder sogar noch Kinder. „Ich war einfach neugierig, ich kann's nicht erklären“, sagt er nach der Verlesung der Erklärung. Er vergleicht sein Verhalten mit dem eines Kindes, das „an Weihnachten durchs Schlüsselloch“ schaut, schiebt aber gleich hinterher, dass das „ein blödes Beispiel“ war.
Jahrelang galt er als engagierter Ehrenamtler, der nicht nur für die Feuerwehr aktiv war, sondern auch für den Kreisjugendring. Vor allem bei der Feuerwehr, so sieht es die Staatsanwaltschaft, suchte er sich seine Opfer. Die Masche dabei soll immer ähnlich gewesen sein: Er gab den väterlichen Freund, den Vertrauten. Dann fing er an, Pornobilder zu verschicken oder vergriff sich schließlich an seinen Schutzbefohlenen. „Ich könnte mich ohrfeigen, aber ich kann es nicht mehr rückgängig machen“, sagt er.
Die Tatorte waren laut Anklage die Räume der Freiwilligen Feuerwehr oder ein Segelboot auf dem Starnberger See. In einem Fall soll er einem 17-Jährigen, zu dem er im Internet Kontakt aufnahm, 20 Euro für sexuelle Dienste gegeben haben - ausgeführt im Keller des Elternhauses des Jungen.
Einem seiner minderjährigen Praktikanten bei der Feuerwehr soll er Pornobilder per Whatsapp und Instagram geschickt haben. Darunter sollen auch intime Bilder seiner Ehefrau gewesen sein - ohne ihr Wissen verschickt oder hochgeladen in einem Internetportal, wo es tausendfach angeklickt wurde. Auf seinem Tablet fanden die Ermittler Kinder- und Jugendpornos: „Für mich zum Anschauen“, sagt er vor Gericht. Das Material, das junge Kinder und Mädchen zeige, kenne er aber nicht. Er wisse nicht, woher es stamme.
Als der Staatsanwalt all die Vorwürfe vorliest, stützt der Angeklagte, der sein Gesicht vor den Kameras der Journalisten hinter einer blauen Mappe verbarg, als er in Handschellen in den Gerichtssaal geführt wurde, seinen Kopf auf die Hand. Er kneift die Augen zu und schüttelt immer wieder fast unmerklich den Kopf. Nervös spielt er mit einem Kugelschreiber, der vor ihm auf der Anklagebank liegt.
Mehrjährige Haftstrafe droht
„Wollen Sie sich mal kurz sammeln? Sie wirken etwas nervös“, sagt einer seiner drei Anwälte, als er über seine persönlichen Verhältnisse spricht. Doch der 60-Jährige fährt unbeirrt fort. Er erzählt, dass er ein uneheliches Kind sei, seinen Vater nie kannte und die ersten Jahre seiner Kindheit bei den Großeltern verbrachte. Mit 22 lernte er seine Ehefrau kennen - bei einer Tanzveranstaltung des Trachtenvereins. Zwei Töchter, Eigenheim, er macht Musik in der Kirche.
Und dieses Leben will er zurück, sagt er vor Gericht. „Meine Familie steht zu mir. Wir haben gesagt, wir wollen neu starten“. Vom Dienst als Polizeibeamter wurde er suspendiert. Als er sagt, dass er auch nie wieder für die Freiwillige Feuerwehr tätig sein wird, versagt ihm die Stimme und er bricht in Tränen aus. Er werde stattdessen künftig viel im Garten arbeiten und viel Zeit mit seiner Frau verbringen. Seine Familie warte auf ihn: „Sie hoffen, dass ich diese Woche nach Hause komme.“
Aber dazu wird es wohl nicht kommen: Das umfassende Geständnis des Angeklagten ist Teil eines Deals. Alle Prozessbeteiligten einigten sich auf einen Strafrahmen zwischen vier Jahren und drei Monaten und fünf Jahren und drei Monaten. Für den Prozess sind drei Verhandlungstage angesetzt, das Urteil könnte am Freitag fallen.

dpa