Bayern, München: Eine Frau mit Nase-Mund-Schutzmaske geht an einem Geschäft vorbei, an dem ein Schild mit der Aufschrift „Nur ein Kunde“ angebracht ist. (dpa)
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Frühe Warnungen vor der sich anbahnenden Corona-Pandemie sind nach Einschätzung einer Denkfabrik der Bundeswehr international nicht ausreichend beachtet worden. „Diese Krise zeigt, dass verschiedene Nationen, je nach politischer Kultur, die Frühwarnsignale teilweise ignoriert beziehungsweise sogar verleugnet haben“, erklärte der für Gesundheit und Sicherheit zuständige GIDS-Experte, Flottillenarzt Christian Haggenmiller, in einem am Mittwoch veröffentlichen Dokument.
Der Mediziner nennt darin die USA als Beispiel: „Sie verfügen über sehr umfangreiche Mittel zur Früherkennung von Gesundheitsgefahren, sowohl militärisch als auch zivil, und haben die Entwicklung rund um Covid-19 auch zeitnah erkannt. Doch das wurde von der aktuellen politischen Führung nicht als prioritär eingeschätzt.“ Es gebe zahlreiche Frühwarnsysteme, die aber noch nicht in Echtzeit funktionierten.
Das GIDS (German Institute for Defence and Strategic Studies) ist eine Kooperation der Führungsakademie der Bundeswehr und der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg. Das Institut untersucht sicherheitspolitische Probleme und berät Politik und Militärführung.

„In Deutschland zeigt der durch das Robert Koch-Institut erarbeitete nationale Pandemieplan deutlich: Die derzeitige Früherkennung ist nicht ausreichend und setzt nicht früh genug ein“, stellt Haggenmiller, der für die Nato gearbeitet hat und derzeit für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Einsatz ist, fest. Seit der Corona-Pandemie seien die Ansprüche daran, was man als früh bezeichnen könne, allerdings deutlich gestiegen. Nun sei ein Frühwarnsystem mit nahezu Echtzeit-Qualitäten das Ziel. Dazu würden mehrere Ansätze verfolgt, wie der Einsatz von Algorithmen, die im Internet Suchanfragen wegen bestimmter Symptome auswerteten.

In Folge der Pandemie gebe einen enormen Entwicklungsschub, an dem vor allem private Firmen (Start-Ups) beteiligt seien. Für den Schutz der Daten gebe es allerdings keine ausreichenden Regeln. „Wir sehen in der Notlage erstmals eine Bereitschaft, neue, in schnellem Tempo entwickelte Technologien zu akzeptieren und in die Gesellschaft einzuführen - ohne ausführlichen ethischen und rechtlichen Diskurs und mit dem Risiko eines Point of no Return“, so Haggenmiller.
Bessere Sicherheitsstandards gefordert
„Wenn die Daten einmal erfasst sind, lassen sie sich im Nachhinein auch mit Techniken von morgen nicht mehr schützen. Wir brauchen nationale und besser noch internationale Sicherheitsstandards für diese neuen Technologien, damit sie uns helfen und nicht schaden“, warnt der Experte.
Als Beispiel für neue Technologien nennt er eine große internationale Fluggesellschaft, die ein gerade neu entwickeltes Gerät nutze, das den Passagier auf Temperatur, Herzfrequenz und Stimmlage scanne. Anhand dieser Daten könne man bewerten, ob eine Person womöglich erkrankt ist und nicht fliegen dürfe, allerdings könnten persönliche und biometrische Daten verknüpft werden.
Ein ähnliches Beispiel sei eine neue Drohne des kanadischen Unternehmens Draganfly, die Personen und Personengruppen biometrisch erfassen könne - Temperatur, Herzfrequenz, Blutdruck. „Gepaart mit Gesichtserkennung kann sie beispielsweise aber auch zur Beobachtung von Verhaltensmustern wie etwa der Einhaltung der Nies-Etikette eingesetzt werden. Hier wird bereits deutlich: Es kann auch zu Datenmissbrauch und einer massiven Überwachung kommen.“
Für eine aufschlussreiche Analyse müssen es mitunter auch sehr genaue Informationen geben. Genannt wird ein Fall aus der ersten Corona-Phase in Deutschland, im Januar im München. „Da saßen zwei Menschen in der Kantine beim Mittagessen Rücken an Rücken. Sie hatten in dem Sinne keinen direkten Kontakt. Aber die Aufarbeitung des Infektionsweges hat ergeben, dass der eine nach einem Salzstreuer gefragt und der andere ihm den gegeben hat.“
Von grundsätzlicher Bedeutung sei es, die Infektionswege aus dem Tierreich besser zu verstehen. „Zweidrittel der für den Menschen neuen Infektionen kommen aus dem Tierreich“, heiß es in dem GIDS-Dokument. „Wir müssen im Sinne eines ‚One-Health‘-Ansatzes mehr über das Gesundheitsgeschehen der Tierwelt wissen - also einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, der versucht, die gesundheitlichen Zusammenhänge zwischen Mensch, Tier und Pflanzenwelt zu erfassen.“


dpa