Sebastian Kurz (ÖVP, r), Bundeskanzler von Österreich, spricht im Rahmen einer Sondersitzung des Nationalrates zum Terroranschlag im Parlamentsausweichquartier in der Wiener Hofburg. (dpa)
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Die österreichischen Behörden haben nach eigenen Angaben bereits vor dem Terroranschlag in Wien Hinweise auf die potenzielle Gefahr erhalten, die von dem Täter ausging. Der slowakische Geheimdienst habe das Bundesamt für Verfassungsschutz über einen versuchten Munitionskauf des Täters informiert, räumte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Mittwoch in Wien ein.

Innenminister Nehammer kündigte bei einer Pressekonferenz in Wien die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission an. Er teilte mit, dass bei den „weiteren Schritten“ nach der Warnung durch die slowakischen Behörden „offensichtlich in der Kommunikation etwas schiefgegangen“ sei.

Täter wollte nach Afghanistan und Syrien, wurde in der Türkei verhaftet

Der österreichische Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, teilte mit, der Angreifer habe 2018 versucht, nach Afghanistan zu gehen. Dies sei jedoch am fehlenden Visum gescheitert. Im September desselben Jahres sei der Täter dann in die Türkei gegangen, um nach Syrien auszureisen, und sei dabei verhaftet worden. In türkischer Haft war der Attentäter demnach bis Anfang Januar. Anschließend soll der gebürtige Österreicher nach Österreich abgeschoben worden sein, wo er erneut verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Der Terrorist wurde im Juli 2020 – elf Monate vor Ende seiner Haftstrafe – auf Bewährung entlassen.

Vorgänger hat Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung „zerstört“

Nehammer warf seinem Vorgänger Herbert Kickl von der rechtspopulistischen FPÖ vor, während seiner Amtszeit das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) geschwächt oder gar „zerstört“ zu haben. Kickl hatte im Februar 2018 den Sitz des BVT durchsuchen lassen. Auf Veranlassung seines Ministeriums wurden im Zuge von Korruptionsermittlungen Daten zu Rechtsextremen und Burschenschaften beschlagnahmt, die der FPÖ nahe stehen sollen.

Das österreichische Parlament kommt am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammen, in der Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadič (Grüne) Erklärungen abgeben wollen.

Die Fragen drehen sich unter anderem um den versuchten Munitionskauf des Täters in der Slowakei, über den die österreichische Polizei informiert war. Außerdem wird die vorzeitige Entlassung des Mannes, der nach einer versuchten Ausreise zur Terrormiliz Daesh nach Syrien eine 22-monatige Haftstrafe in Österreich verbüßen sollte, angeprangert. Nehammer betonte, dass es dem 20-Jährigen perfekt gelungen sei, seine Betreuer im Deradikalisierungsprogramm zu täuschen.

„Es gab keine Täuschung“

Dem widerspricht „Derad“-Mitbegründer Moussa Al-Hassan Diaw. Die NGO, die sich auf die Deradikalisierung extremistischer Straftäter spezialisiert hat, hatte den Attentäter parallel zur Bewährungshilfe betreut.

„Es gab keine Täuschung, weil unser Mitarbeiter zu keinem Zeitpunkt gesagt hat, dass der Mann deradikalisiert ist“, sagte er zu dpa. Der 20-Jährige habe sich laut seinem Betreuer verändert und trotz Religiösität starke Zweifel an seinem rechten Glauben entwickelt, sagte Diaw. „Diese Selbstzweifel führen auch sehr oft zu Verzweiflung.“

Die Berichte über den Täter gingen an die Justizbehörde. Dafür habe der österreichische Verfassungsschutz wiederum Kontaktbeamten, sagte Diaw. Die direkte Zusammenarbeit der NGO mit dem BVT habe 2018 aufgehört. „Warum, wissen wir bis heute nicht“, sagte Diaw. Dennoch sei Derad mit dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz in regelmäßigem Kontakt. Gefahr in Verzug oder hochgefährliche Einstellungen würden den Behörden gemeldet.

Hinweise auf Nähe zu Daesh in der Wohnung des Täters

Am Montagabend hatte der Attentäter in Wien auf Barbesucher und Restaurantangestellte geschossen und dabei vier Menschen getötet, darunter eine Deutsche. Der Attentäter verletzte überdies 22 weitere Menschen, bevor er von Polizisten erschossen wurde. Bei dem Täter handelt es sich nach Behördenangaben um einen Österreicher mit nordmazedonischen Wurzeln. Die Terrormiliz Daesh reklamierte den Anschlag am Dienstag für sich.

Bei der Durchsuchung seiner Wohnung seien zahlreiche Hinweise auf seine Radikalisierung gefunden worden. So entdeckten die Ermittler unter anderem ein Facebook-Foto, das eine Nähe zur Daesh-Miliz nahelegt und ihn mit der Kalaschnikow und der Machete zeigt, mit denen er den Anschlag verübte.

TRT Deutsch und Agenturen