Eine Person schaut durch eine Glaskugel auf einem Tablet auf die Facebook App. (dpa)
Folgen

Hollywood-Schauspieler Ashton Kutcher sieht den Schutz von Kindern in der EU gefährdet - und hat einen dringenden Appell. Er möchte, dass jene Filter, mit denen im Internet bislang Fotos und Videos missbrauchter Kinder aufgespürt werden, weiter genutzt werden dürfen - trotz Datenschutzbedenken. „Diese Kinder, die missbraucht werden, die sexuell missbraucht werden, und deren Inhalte sich im Internet ausbreiten, sie verdienen auch Privatsphäre“, sagte Kutcher jüngst in einem Video auf Twitter. Er hatte 2012 die Stiftung Thorn zum Schutz von Kindern mitgegründet.
Bislang scannen einige US-Unternehmen wie Facebook, Microsoft oder Google die Nachrichten, die über ihre Dienste verschickt werden, freiwillig auf Darstellungen missbrauchter Kinder. Dabei wird nach einer Art digitalem Fingerabdruck gesucht, mit dem bereits bekannte Fotos und Videos versehen werden. Doch der Einsatz der Filter könnte in der EU bald verboten sein.
Denn bis zum 21. Dezember müssen die EU-Staaten den neuen Kodex für die elektronische Kommunikation umsetzen. Damit wird unter anderem festgelegt, welche Dienste unter das digitale Briefgeheimnis fallen. Künftig sind das auch der Facebook-Messenger oder Googles Email-Programm. Facebook etwa dürfte die Kommunikation seiner Messenger-Nutzer dann nicht wie bisher mit dem Programm Photo-DNA scannen.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson warnt deshalb, dass es dann keine Hürden mehr für das Hochladen und Teilen von Bildern durch Pädophile geben werde, wie sie der Deutschen Presse-Agentur sagte. Deshalb schlug sie im September eine Übergangslösung vor, die das Filtern weiter erlauben soll.
Denn Facebook und Co. sind für Ermittler eine große Hilfe. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes kommen die „meisten Hinweise zu Dateien mit kinderpornografischen Inhalten“ vom US-Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder. Dies arbeite „mit amerikanischen Internetanbietern und Serviceprovidern wie Facebook, Microsoft, Yahoo oder Google zusammen, die ihre Datenbestände und die über ihre Dienste verbreiteten Daten mittels modernster Filtertechnologien permanent nach Missbrauchsabbildungen scannen“. 2019 seien so mehr als 62.000 Hinweise beim BKA eingegangen, aus denen sich 21.600 Fälle ergeben hätten.
Facebook benutzt das Programm Photo-DNA eigenen Angaben zufolge in all seinen Apps „um bekanntes Kindesmissbrauchsmaterial zu finden und es schnell zu löschen“, wie ein Sprecher auf Anfrage sagt.
Müssen Ermittler also bald wegen des digitalen Briefgeheimnisses auf Hinweise der US-Konzerne verzichten? Nicht, wenn es nach der EU-Kommission geht. Die Brüsseler Behörde will, dass die Unternehmen ihre Filter weitere fünf Jahre nutzen können. Zusätzlich soll das sogenannte „Grooming“ aufgespürt werden - also das Heranmachen von Erwachsenen an Kinder über das Internet. „Meiner Ansicht nach sind wir als Erwachsene dazu verpflichtet, Kinder vor sexueller Ausbeutung online zu beschützen“, sagt Johansson. Die EU-Staaten einigten sich unter anderem darauf, vorläufig die Nutzung der Filter zu erlauben. Doch auch das Europaparlament muss zustimmen - und hat Vorbehalte.
SPD fordert Schutzvorkehrungen
Grundsätzlich ist die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel, die an dem Thema federführend im Innenausschuss arbeitet, für eine Übergangslösung. Der sexuelle Missbrauch von Kindern sei ein schweres Verbrechen, das Einschränkungen anderer Grundrechte rechtfertige, sagt sie. Diese müssten jedoch rechtssicher und verhältnismäßig sein. Deshalb fordert Sippel Schutzvorkehrungen wie die Möglichkeit zur Beschwerde, falls das eigene Konto zu Unrecht gesperrt wurde. Zudem sollte die Übergangslösung auf ein Jahr befristet sein. Und die Unternehmen müssten regelmäßig über ihre Arbeit Bericht erstatten.
Außerdem solle das „Grooming“ aus dem Gesetz gestrichen werden. Denn dafür müssten nicht nur digitale Fingerabdrücke abgeglichen, sondern die gesamte Kommunikation der Nutzer mitgelesen werden.
Ebenso meldet der Europäische Datenschutzbeauftragte Bedenken gegen den Vorschlag der EU-Kommission an. Und auch Alexander Hanff, selbst Missbrauchsopfer, wendet sich dagegen: Der Vorschlag ermögliche die Überwachung der gesamten privaten Kommunikation, schrieb er kürzlich auf LinkedIn. Zudem gebe es keine Beweise, dass die Maßnahmen tatsächlich wirksam seien und die Aktivitäten nicht einfach in den Untergrund dränge, wo sie noch schwerer aufzudecken seien. Stattdessen müsse viel mehr präventiv gearbeitet werden.
„Ein schlecht geschriebenes Gesetz würde ziemlich wahrscheinlich vor dem Europäischen Gerichtshof landen und somit keine Rechtssicherheit schaffen. Und das würde niemandem helfen – nicht den Kindern, nicht den Eltern und auch nicht den Behörden und Providern“, sagt Sippel.
EU-Kommissarin Johansson hält dagegen: „Ich werde nie akzeptieren, dass die Privatsphäre der Nutzer wichtiger ist als die Privatsphäre der Kinderopfer.“ Sie verteidigt auch ein mögliches Vorgehen gegen das „Grooming“. Schließlich suchten die benutzten Werkzeuge nur nach bestimmten Indikatoren möglichen Kindesmissbrauchs.
Julia von Weiler von der Kinderschutzorganisation Innocence in Danger versteht zwar Bedenken von Datenschützern, wie sie sagt. Aber aus ihrer Sicht sei völlig unverständlich, dass bestehende und bewährte Mittel jetzt plötzlich illegal werden sollen, weil die Gesetzgeber nicht aufgepasst haben. „Wir stellen uns auf die vielleicht naive, aber effiziente Position, den Status quo beizubehalten, bis man sich auf einer dauerhafte Lösung geeinigt hat.“ Die Würde des ohnehin schon betroffenen Kindes wiege für sie schwer genug um zu sagen: „Diese Filter sind akzeptabel.“
Weil der Vorschlag der EU-Kommission erst im September kam, wird die Zeit für die Übergangslösung allerdings knapp. Der Innenausschuss des Parlaments will sich bis Anfang Dezember auf eine Position festlegen, Mitte des Monats könnte dann das Plenum darüber abstimmen. Dann müssen Parlament und EU-Staaten sich noch auf eine Linie einigen.
In der EU-Kommission arbeitet man bereits an einer dauerhaften Lösung, die im Juni 2021 vorgestellt werden soll. Künftig, so Johansson, sollten die Online-Dienste sogar dazu verpflichtet werden, Inhalte nach bereits bekannten Darstellungen von Kindesmissbrauch zu scannen und sie zu melden.

dpa