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Vor genau vier Jahren haben die türkischen Bürgerinnen und Bürger ihr Schicksal selbst in die Hand genommen – nicht nur sprichwörtlich, sondern in der realen Konfrontation mit Putschisten und ihren Panzern.

Diesen Mittwoch begeht die Türkei ihren Tag der Demokratie und Nationalen Einheit; ein öffentlicher Feiertag und Tag des Erinnerns sowie ein extrem bedeutsamer Moment in der Geschichte des Landes. Der Anlass: das Gedenken an den menschenverachtenden Putschversuch, der am Abend des 15. Juli 2016 seinen Lauf nahm und bis zum nächsten Morgen andauerte. Eines ist sicher: Die Türkei ging gestärkt aus diesem Terrorakt hervor. Der vor vielen Jahren eingeschlagene Weg der konstanten Modernisierung wurde nicht etwa abgebrochen, sondern noch weiter forciert.

Vor genau vier Jahren hatten die türkischen Bürgerinnen und Bürger ihr Schicksal selbst in die Hand genommen – nicht nur sprichwörtlich, sondern in der realen Konfrontation mit Putschisten und ihren Panzern. Höchstens mit einem Küchenmesser ausgestattet, schafften sie es, das abscheuliche Vorhaben heroisch abzuwehren.

Die über 250 Menschen, die ihr Leben lassen mussten sowie die weit über 2000 Verletzten bleiben für immer in Erinnerung; sie wurden zu Helden. Ihr Handeln war Ausdruck eines unbeugsamen Strebens der Bevölkerung nach Freiheit und Demokratie. Und genau damit hatten die Kriminellen, die wie wir wissen, der Fetullahistischen Terrororganisation (FETÖ) zuzuordnen sind, nicht gerechnet.

Putschversuch? Wo denn? Achso, in der Türkei…

Der Putschversuch wurde von den türkischen Bürgern abgewehrt. Mehrere Faktoren haben das begünstigt: Natürlich die Liebe für das eigene Land und die Demokratie wie im vorigen Abschnitt diskutiert - aber auch die sehr hohe Akzeptanz und Unterstützung von vormals Oberbürgermeister in Istanbul, später Ministerpräsident und sodann Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, in der breiten Bevölkerung. Er hat zusammen mit seinen Weggefährten die moderne Türkei geschaffen, wie wir sie heute kennen.

So schockierend es auch ist, man muss die Fakten betrachten und es führt leider kein Weg daran vorbei, zu konstatieren: Der Putsch wurde von vielen Regierungen und gerade in Europa als eine rein türkische Angelegenheit angesehen. Selbstredend kamen noch in der Nacht und am Tag danach Solidaritätsbekundungen: zum Beispiel aus Washington, von der NATO, UN, und EU. Unmittelbar nach dem gescheiterten Putschversuch schien es aber leider so, als ob das Ausland den gerechtfertigten Maßnahmen, wie den ausgerufenen Ausnahmezustand, skeptisch gegenüberstand. Es herrschte ein Abwarten, aktive Unterstützung gab es keine.

Aber es gibt auch Ausnahmen, die bis heute in den Herzen der türkischen Bevölkerung tief verwurzelt sind. Ein Beispiel dafür ist der damalige britische Staatsminister Alan Duncan. Wenige Tage nach dem Putschversuch flog er nach Ankara, um sich selber ein Bild von der Lage zu machen. Eine noble Geste als die meisten anderen EU-Staaten gerade einmal zögerliche Verbalreaktionen zeigten - wenn überhaupt. Und Minister Duncan machte ebenso deutlich, dass Regierungen in Europa aufpassen müssten, um nicht dem FETÖ-Fake-News-Management in Europa auf den Leim zu gehen - eine klare Ansage. Duncan war zudem der erste hochrangige EU-Politiker, der Ankara besuchte und sein Beileid für die Opfer des Putschversuches aussprach.

Sein Besuch – der erste von vier weiteren in offizieller Funktion nach dem Putschversuch – bereiteten den fruchtbaren Boden für ein bis heute sehr vertrauensvolles bilaterales Verhältnis. Ende September 2016 folgte ihm der damalige britische Außenminister Boris Johnson. Gerne würde ich viele weitere Persönlichkeiten aus dem Ausland vorstellen, die ebenso rasch an den Ort des Verbrechens kamen. Doch andere Staatsvertreter ließen sich viele Monate Zeit.

Und selbst vier Jahre danach wird türkischen Auslieferungsgesuchen für bekannte FETÖ-Akteure, die sich nach Europa und oft auch nach Amerika abgesetzt hatten, oftmals die kalte Schulter gezeigt. Es gibt zudem Gerüchte, wonach teilweise sogar vorab ausgestellte Einreisevisa bereitstanden. Wie kann man auf Augenhöhe miteinander leben und internationale Politik gestalten, wenn manche in Europa und anderswo die Ohren verschließen, wenn es um die Verfolgung von Terrorbandenmitgliedern geht?

Der für immer letzte Putschversuch in der Türkei

Die richtigen Lehren aus dem Jahr 2016 zu ziehen, war für die Türkei kein einfaches Unterfangen. Wie kann man das Moment der Abwehr des Putschversuches festhalten und nicht den Fehler begehen, nur noch zurück zu schauen? Wie kann man den Juli 2016 als einen der wichtigsten Einschnitte in der Geschichte der Türkei in Erinnerung behalten, ohne jedoch die Tatsache aus dem Auge zu verlieren, dass die Zukunft genauso wichtig ist?

Es scheint zu gelingen und ein äußerst entscheidender Faktor ist hierbei die junge Generation. Mit etwas über 40 Prozent Anteil stellt die Gruppe der unter 25-Jährigen einen enorm wichtigen Bestandteil der Bevölkerung dar. Und obwohl es nicht abwegig ist, anzunehmen, dass Jugendliche und junge Menschen in der Mehrzahl politisch nicht sehr aktiv sind, so wird es wohl kaum einen Schüler in der Oberstufe oder Berufsschule oder an einer Universität geben, der nicht über die Vorgänge des Juli 2016 informiert ist.

Der Putschversuch fand im Hier und Jeztz statt: Großeltern, Eltern, Geschwister – sie alle erlebten ihn gemeinsam. Und aus jungen Menschen werden eines Tages Erwachsene, Berufstätige, Politiker und Entscheidungsträger. Der Juli 2016 wird ihnen immer vor Augen bleiben als der Aufbruchspunkt der Türkei in eine neue Zukunft. Und diese Generation, die bald das Heft in die Hand nehmen wird – ökonomisch wie politisch – wird sicherstellen, dass in den Schulbüchern und unter dem Stichwort „Putschversuche in der Türkei“ der letzte Eintrag das Datum Juli 2016 haben wird.

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