29. März 2022: Erdoğan vor den Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland (AA)
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Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland läuft immer noch weiter, und der Westen ist sichtbar verzweifelt, eine Lösung für die osteuropäische Region zu finden. Der Westen hat mit seiner harten Sanktionswelle gegen Russland viel zu früh sein Pulver verschossen, um diplomatisch handlungsfähig zu bleiben. Die Naivität des Westens, Russland würde nach diesen Sanktionen ein paar Schritte zurück machen, hat sich einmal mehr bewiesen. Auch hat der Westen der Ukraine nicht wirklich einen Gefallen getan. Der ukrainische Präsident Zelensky ist ganz und gar nicht zufrieden mit der Unterstützung für sein Land. Pochte Zelensky anfangs auf die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, ist er nun bereit, von einer Mitgliedschaft abzusehen und die Ukraine als neutrales Land zu akzeptieren.

Türkei als Vermittler

Ganz anders hören sich die Aussagen Zelenskys gegenüber der Türkei an. Der ukrainische Präsident lobt in seinen Ansprachen immer wieder die diplomatischen Bemühungen Ankaras und dass die ukrainische Bevölkerung der Türkei sehr dankbar sei. Was macht die Türkei im Unterschied zu den anderen Ländern? Was qualifiziert die Türkei als Vermittler zwischen den beiden Kriegsparteien? Ankara hat sich nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt und seine Beziehungen weiter auf normalem Niveau gehalten. Auf der anderen Seite hatte die Türkei der Ukraine schon länger ihre Unterstützung zugesichert, sei es durch die Lieferung von Bayraktar-Drohnen oder die Vertiefung der bilateralen Beziehungen vor allem über wirtschaftliche Kooperationen. Die Türkei war vergangenes Jahr mit einem Volumen von 4,5 Milliarden US-Dollar der größte ausländische Investor in der Ukraine. Zudem betrug das Handelsvolumen letztes Jahr 7,4 Milliarden US-Dollar, die durch ein Freihandelsabkommen auf bis zu 10 Milliarden Dollar steigen sollen.

Ich hatte schon damals in einem Beitrag, der im Dezember erschien, die türkische Vermittlerrolle zwischen Russland und der Ukraine thematisiert. Damals war der Krieg noch nicht ausgebrochen. Schon damals hatte Zelensky die Passivität der NATO und der EU kritisiert. Und schon damals war die Türkei mit der ukrainischen und russischen Seite im ständigen Kontakt. Nun haben sich die damaligen Entwicklungen und die damit verbundenen Vermutungen bewahrheitet. Während europäische und amerikanische Politiker die Aussagen des Kremls weit unterschätzten und mit weiteren Aussagen eine Militäroffensive seitens Russlands provozierten, pochte die Türkei von Anfang an auf Deeskalation zwischen beiden Ländern. Im Klartext: Der Westen hat schon vor Ausbruch des Krieges seinen Kredit verspielt, um überhaupt als Vermittler zwischen den beiden Konfliktparteien eine Rolle zu spielen.

Beide Konfliktparteien treffen sich auf türkischem Boden – zum zweiten Mal

Anfang dieser Woche trafen sich Vertreter der russischen und ukrainischen Seite im Dolmabahce-Palast in Istanbul, um über mögliche Friedenslösungen zu sprechen. Das war das zweite Aufeinandertreffen beider Konfliktparteien auf türkischem Boden, nachdem die Außenminister beider Länder Gespräche auf dem Antalya Diplomacy Forum geführt hatten. Vor allem in westlichen Medien wurde größtenteils versucht, die Gespräche in Istanbul kleinzureden. Dabei lieferte das Treffen beider Delegationen positive Ergebnisse, die Richtung Friedenslösung führen. Die russische Seite bezeichnete das Treffen als konstruktiv und zeigte auch Bereitschaft, ihre Truppen aus Kiew zurückzuziehen. Auch erklärte sich die Ukraine dazu bereit, nicht weiter auf NATO-Mitgliedschaft zu pochen und ein neutraler Staat zu bleiben. Zwei wichtige Hauptannäherungsschritte, um einen gemeinsamen Konsens zu finden.

Allgemein führte die Türkei in kürzester Zeit Gespräche mit Staatsmännern aus unterschiedlichen Ländern. Die jeweiligen Besuche des niederländischen Ministerpräsidenten Rutte, Bundeskanzler Scholz und des israelischen Staatspräsidenten Herzog in Ankara zeigen, dass die Türkei ihre Beziehungen zu wichtigen westlichen Ländern wieder normalisiert. Auch der intensive Austausch der Türkei mit US-Präsident Joe Biden und vor allem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigen, wie wichtig die Türkei als Partner für den Westen ist. Die NATO sollte endlich eingesehen haben, wie sehr sie sich bezüglich der türkischen Loyalität gegenüber dem Westen geirrt hat. Die Türkei hat, trotz ungerechter Behandlung seitens der NATO, in keinem Moment ihre Mitgliedschaft in der Allianz ernsthaft infrage gestellt.

Türkei zukünftig Dreh- und Angelpunkt in der Diplomatie?

Falls der Krieg zwischen Russland und der Ukraine in naher Zukunft hoffentlich beendet werden sollte, wird die internationale Arena nochmal ganz neu strukturiert, und die Türkei wird bei diesem Prozess ohne Zweifel eine zentrale Rolle spielen. Die Türkei beweist Europa nicht zum ersten Mal, dass auf sie in Krisenzeiten Verlass ist. Schon bei der Flüchtlingskrise 2015 war das ganze europäische Festland auf die Türkei angewiesen. Nun spielt die Türkei wieder eine große Rolle in einer Krise, die Europa auf mehreren Ebenen nachhaltig beeinflussen wird.

Im Russland-Ukraine-Krieg führt die Türkei quasi ihre Strategie weiter fort, nämlich das Streben nach einer unabhängigen Außenpolitik. Diesmal wird dies jedoch positiv vom Westen aufgenommen. Der Grund ist ganz einfach: Die Interessen des Westens und der Türkei decken sich diesmal. Aber dies wird nicht dabei bleiben. Die Türkei schmiedet mit der Gründung des Antalya Diplomacy Forums und der Normalisierung der Beziehungen zu anderen Ländern langfristige Pläne. Sie weiß um ihre Rolle als unabhängiger Akteur. Sie ist weder an den Westen noch an Russland oder einen anderen großen Akteur gebunden. Dadurch kann sich die Türkei als diplomatische Plattform anbieten, von der alle anderen Akteure im internationalen System profitieren. Die Schlüsselrolle der Türkei würde somit nicht beim Russland-Ukraine-Krieg bleiben. Ankara könnte zukünftig Dreh- und Angelpunkt der diplomatischen Geschehnisse im internationalen System werden.

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