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Die Türkei hat im Gegensatz zu vielen EU-Ländern weniger tödliche Covid-19-Fälle verzeichnet. Dennoch bleibt die Reisewarnung für das Land bestehen. Das schadet vor allem der deutschen Reisebranche.

Für eine sichere Reise in die Türkei stehe alles bereit, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu vor wenigen Tagen in einem Gespräch mit einem deutschen Wochenmagazin. Die Botschaft an die ausländischen Urlauber nach der Corona-Zwangspause lautete: „Wir heißen deutsche Touristen auf das Wärmste willkommen. Von Reisebeginn bis Reiseende seien alle hygienischen Maßnahmen gegen das Coronavirus gewährleistet, so der türkische Chefdiplomat. Die Türkei versichert, dass Gesundheitseinrichtungen landesweit auf alles vorbereitet seien. Die von der Corona-Pandemie beeinträchtigten türkischen Hoteliers und Reisegruppenführer können es kaum noch erwarten, bis die deutschen Touristen ins Land kommen. Die ersten europäischen und deutschen Nachfahren der sogenannten „Gastarbeiter”, die ihre Familien und Verwandten in der Türkei besuchen oder nur Urlaub in dem Land machen möchten, sind indes schon da. Sie haben sich lange auf ein Wiedersehen mit ihren Angehörigen gedulden müssen.

Reisewarnung und Corona-Risikogebiete

Währenddessen hat die Bundesregierung für 27 europäische Staaten sowie für die Schengen-Länder Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz und Großbritannien die weltweite Reisewarnung, die sie Mitte März aufgrund des Virus verhängte, Anfang dieser Woche aufgehoben. Allerdings gilt die Warnung für mehr als 160 Staaten außerhalb der EU bis mindestens zum 31. August weiter - auch für die Türkei. Bei einer positiven Entwicklung kann sie zwar für einzelne Länder auch vorher aufgehoben werden, aber nachdem das Robert Koch-Institut (RKI) Mitte dieser Woche eine Übersicht von Corona-Risikogebieten veröffentlicht hat, in der auch die Türkei gelistet ist, gibt es für das Land am Bosporus derzeit wenig Hoffnung auf eine baldige Aufhebung der Reisewarnung.

Türkei steht sehr gut da

Jedoch muss erwähnt werden, dass die Türkei, die nach Spanien und Italien das drittbeliebteste Urlaubsland der Deutschen ist, im internationalen Vergleich zu den Ländern gehört, die sich aufgrund früh getroffener Vorkehrungen der Regierung mit der Pandemie nicht nur effizient und erfolgreich auseinandersetzte, sondern sie auch verhältnismäßig mild überstand. In den Statistiken wurden zuletzt (Stand: 16. Juni 2020) 181.298 Corona-Infizierte für das Land verzeichnet. 153.379 davon gehören zu den Gesundeten. Durch die Pandemie waren bis dahin 4.842 Personen verstorben. Zum Vergleich: In Deutschland hatten sich in derselben Zeit bereits 188.382 Personen infiziert und fast doppelt so viele Menschen (8.910) hatten ihr Leben verloren. Im benachbarten Frankreich, wo sich 157.716 Menschen mit Covid-19 infizierten, starben 29.547 Personen - nahezu sechsmal so viele wie in der Türkei. Das Reiseland Italien hatte sogar 237.500 Infizierte und 34.405 Tote zu beklagen. Im beliebtesten Urlaubsziel der Deutschen, in Spanien, zählten die Behörden 244.328 Infizierte und 27.136 Tote. Aufgrund dieser Datenlage wird allzu deutlich, dass die Türkei verglichen mit anderen europäischen Staaten die mit Abstand wenigsten, tödlichen Covid-19-Fälle zu beklagen hat.

Maßnahmen verstärken Sicherheitsgefühl

Der transparente Umgang der türkischen Regierung mit dem Virus war und ist nach wie vor mustergültig: Die Bevölkerung wurde durch die einschneidenden Maßnahmen des Gesundheitsministeriums vorbildlich informiert und überzeugt. Die notwendigen Einschränkungen wurden schnell ausgeführt. Das Gesundheitssystem der Türkei entwickelte sich in den letzten Jahren zu den besten der Welt. Das Land profitiert daher auch seit einiger Zeit vom Gesundheitstourismus. Viele kommen aus dem Ausland in die Türkei, um medizinische aber auch kosmetische Operationen durchführen zu lassen. Der gute Ruf der Türkei im Gesundheitssektor zeigt sich auch darin, dass das Land über moderne und sehr gut ausgestattete Krankenhäuser verfügt. Zahlreiche Privatkrankenhäuser haben Filialen im Ausland: so z.B. im Nahen- und Mittleren Osten, auf dem Balkan, in Mittelasien oder im Kaukasus sowie in Afrika. Zudem gehört die Türkei zu den Staaten mit der höchsten Anzahl an Intensivbetten. Überdies hat die Türkei eine Reihe weiterer Sicherheitskonzepte für die touristischen Routen, die Strände und die Hotels entwickelt, die vom deutschen TÜV Süd kontrolliert werden. Ein Gefühl von Sicherheit bekommen die Touristen schon bei der Ankunft am Flughafen. Und nicht nur dort: Auch in den Hotels werden alle Gäste und Mitarbeiter mit Wärmebildkameras kontrolliert. Sicherheitsabstände gibt es nicht nur im Hotel und im Poolbereich, sondern auch an den Buffets, in Kneipen, Cafés und Restaurants, von denen die meisten aufgrund neuer Hygienevorschriften auf Einmalgeschirr gewechselt haben. Das Land ist gerade bei deutschen Urlaubern sehr beliebt. 2018 besuchten 4,5 Millionen Bundesbürger die Türkei. Letztes Jahr stieg diese Zahl sogar auf über fünf Millionen.

„Todesstoß für die deutsche Reisewirtschaft“

Die weiterhin aufrechterhaltene Reisewarnung der Bundesregierung für die Türkei sowie die Aufnahme des Landes in die RKI-Liste der Corona-Risikogebiete scheint vor diesem Hintergrund wenig nachvollziehbar. Von den Maßnahmen betroffen sind nicht nur türkische Unternehmen, sondern gerade auch die deutsche Reisewirtschaft und damit auch deutsche Beschäftigte. So spricht sich der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung und Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Thomas Bareiß (CDU), beispielsweise dafür aus, bei positiven Entwicklungen und ausreichenden Sicherheitskonzepten, mögliche Reisewarnungen zurückzunehmen. Denn durch diese schwer verständlichen und irrationalen Anordnungen der Bundesregierung ist eine ganze Reihe von deutschen Arbeitsplätzen in der deutschen Tourismusbranche in Gefahr. So weist zum Beispiel der Präsident des „Deutschen Reiseverbandes“ (DRV), Norbert Fiebig, darauf hin, dass die deutsche Reisebranche allein bis Ende Juni mit Umsatzeinbußen von mindestens 10,8 Milliarden Euro und bis Ende August von etwa 20 Milliarden Euro zu rechnen habe. Zwei von drei Unternehmen sehen sich kurz vor der Insolvenz. Die Corona-Krise habe die Reisewirtschaft in Deutschland - die international verflochten und voneinander abhängig sei - weiter verschärft. Auch Marcel Klinge, der tourismuspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, macht deutlich, dass die Entscheidungen der Bundesregierung zu kurz gedacht seien und bezeichnet die Reisewarnungen als einen „Todesstoß für die deutsche Reisewirtschaft“.

Politik auf dem Rücken von Urlaubern

Falls es beiden Staaten gelingt, die konfrontativen Maßnahmen durch eine nachhaltig angelegte Kooperation und strategische Partnerschaft zu ersetzen und zugleich den Partner nicht als Rivalen zu begreifen, könnten beide Seiten einen großen Gewinn erzielen. In der jetzigen Form aber scheinen beide Seiten, sowohl Deutschland und Europa als auch die Türkei, Verluste einzufahren. Diese Verluste werden auf dem Rücken von Urlaubern, die sich ein ganzes Jahr auf den Sommer gefreut hatten, buchstäblich ausgebadet.

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