Archivbild. 07.02.2017, Berlin: Eine Deutschlandfahne weht auf dem Dach des Reichstages im Wind, während Besucher im Inneren der Reichstagskuppel die Empore hinaufgehen. (dpa)
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War 2020 noch geprägt von Unsicherheit, mangelnder Erfahrung und fehlendem Wissen, vor allem aber von Hilflosigkeit gegenüber einer Gefahr, deren Ausmaß sich nicht abschätzen ließ, so begann 2021 mit der Aussicht, dass eine Reihe neuer Impfstoffe die Pandemie stoppen oder zumindest die Folgen einer Ansteckung mildern und das Gesundheitssystem entlasten könnte. Deutschland war glimpflich durch die ersten Wellen gekommen und führte nun eine Diskussion, wie sie notwendig ist für eine freiheitliche, pluralistische Gesellschaft. Es ging nicht mehr allein um Leben und Tod und den Schutz von Risikogruppen, sondern um alle Aspekte, die mit freiheitsbeschränkenden Maßnahmen einhergehen. Entsprechend wuchsen Konfliktpotential, Enttäuschungen und die Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern staatlicher Maßnahmen.

Corona: Die Hoffnung auf den Erfolg des Impfens

Am Ende des Jahres steckt das Land noch mitten in der Pandemie. Die Impfquote liegt unter den Erwartungen, und einer breiten Mehrheit von Geimpften steht eine kleine, aber lauter und radikaler werdende Minderheit gegenüber, die sich in ihrer eigenen Wirklichkeit bewegt und sich Fakten wie diesen verschließt: Die Impfquote im Bundesland Sachsen liegt bei etwa der Hälfte der Bevölkerung, dort leben 5 Prozent der Deutschen, aber 30 Prozent aller registrierten Corona-Toten wurden aus diesem Bundesland gemeldet. Deutschland ist weniger gespalten als beispielsweise Polen oder die USA, aber nicht erst die Pandemie zeigt, dass sich Menschen von der Politik abwenden, weil sie sich nicht repräsentiert, unverstanden oder abgehängt fühlen.

Eine neue Bundesregierung

2021 wird aber nicht nur als das Jahr 2 der Covid-19-Pandemie erinnert werden, sondern auch als das Ende der 16-jährigen Amtszeit von Angela Merkel als Bundeskanzlerin. Die neue Ampelkoalition ist angetreten, Deutschland sozialer, nachhaltiger und freiheitlicher zu machen. Statt sich aber mit voller Kraft mit der Umsetzung ihres ambitionierten Programms befassen zu können, geht es zu Beginn vor allem um den Umgang mit neuen Virusvarianten, der Ausgestaltung einer Impfpflicht und um außenpolitisches Ungemach.

Eine Mehrheit der Deutschen hatte im September für Wandel gestimmt. Nach 16 Jahren Kontinuität erscheint weniger dies die Überraschung zu sein als der Umstand, dass das Wahlvolk der gleichen Bundeskanzlerin die Lösung der vielen verschiedenen Herausforderungen in sich rasch ändernden Zeiten zugetraut hat, obwohl repräsentative Demokratie gerade auf Wechsel angelegt ist. Nun ist er da, und jeder der großen Umbaupläne wird Widerstand hervorrufen, weil Reformen auch Umverteilung bedeuten. Die neue Regierung wird daher nicht nur daran gemessen, ob sie ihre Versprechen hält und das Richtige tut. Sie wird es auch gut kommunizieren und vermitteln müssen, um diejenigen mitzunehmen, die sich als tatsächliche und vermeintliche Verlierer des Umbaus sehen. Klimapolitik und Digitalisierung haben einen hohen gesellschaftlichen, aber auch individuellen Preis und zwingen dazu, sich anzupassen. Gewohnheiten und Verhalten müssen geändert, Neues erlernt werden. Das geht mit Verunsicherung und Überforderung einher, insbesondere in einer alternden Gesellschaft, die das Glück hatte, sich in einer lange anhaltenden Phase von Prosperität und Stabilität einzurichten. Deswegen kann der notwendige Umbau des Landes nur gelingen, wenn auch diejenigen mitgenommen werden, die besonders von den Folgen der Veränderungen und Reformen betroffen sind und sich nicht als Gewinner der vergangenen Wohlstandsjahre sehen.

Wirtschaft und Beschäftigung

Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland stieg 2021 erneut auf einen Höchststand und liegt nun bei über 7,3 Billionen Euro. Gleichzeitig hat die Ungleichheit bei den Einkommen zugenommen und liegt inzwischen über dem EU-Durchschnitt. Trotz Corona und weltpolitischer Unsicherheit stiegen die Kurse an den Börsen. Für Investoren war es ein ertragreiches Jahr, und angesichts niedriger Zinsen wurden auch wieder mehr Deutsche zu Aktionären. Viele von denjenigen, denen solche Anlagen zu riskant erschienen oder die sich nicht mit Finanzmärkten beschäftigen mochten, kauften auch Wohnimmobilien. Für eine wachsende Zahl von Menschen sind solche Ziele aber nicht mehr in Reichweite. Angesichts der hohen Preise für Immobilien und ihren sozialen Folgen wurde Wohnungspolitik zu einem zentralen Thema im Bundestagswahlkampf. Steigende Inflationsraten deuten auf eine Zinswende hin, was ebenfalls mit Verteilungsfolgen einhergehen wird. Aber noch ist es nicht so weit. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland lag im November bei 2,3 Millionen, über eine halbe Million weniger als im Januar. Die Unterbeschäftigung betrug dagegen über 3 Millionen. Das gesamtwirtschaftliche Hauptproblem bei der Beschäftigung bleibt auf absehbare Zeit der Fachkräftemangel, was eine andere Bildungs- und Einwanderungspolitik verlangt.

Deutschland und die Welt

Wie notwendig eine europäische Migrationspolitik ist, die diesen Namen verdient, zeigen nicht zuletzt die Entwicklungen der vergangenen Monate an der polnisch-belarussischen Grenze. Die neue Bundesregierung ist angetreten, eine wertegeleitete Außenpolitik zu vertreten. Wenn das nicht nur ein Etikett sein soll, wird es Streit geben, nicht nur mit denjenigen, die vor allem interessengeleitet argumentieren, sondern auch mit allen, deren Werte sich nicht mit denen decken, welche die neue Bundesregierung und die Mehrheit im Deutschen Bundestag vertreten. Das betrifft nicht nur die Verletzung von Menschenrechten an den EU-Außengrenzen, sondern auch Fragen von Solidarität mit Nachbarn, Bündnis- und Vertragstreue.

Das Jahr 2021 begann mit Erleichterung über den Amtsantritt von Joe Biden als neuem US-Präsidenten. Mit ihm ist die Hoffnung verbunden auf eine Verbesserung der transatlantischen Beziehungen, die unter Trump sehr gelitten hatten. Tatsächlich hat sich bereits viel verbessert, im Ton, der Besonnenheit von Reaktionen etwa bei heiklen Themen wie Nord Stream 2, aber auch ganz praktisch in den Handelsbeziehungen. Es gab aber auch Momente der Ernüchterung und Enttäuschung, so beim Abzug aus Afghanistan oder der Art und Weise, wie die EU beim AUKUS-Deal vorgeführt wurde oder bei Verhandlungen mit Russland im Ukraine-Konflikt außen vor bleibt. Auch eine Neubestimmung des Verhältnisses zu China und eine EU-Agenda für das Mittelmeer stehen nun auf der Tagesordnung.

Umwelt und Klima

Neben ihren Modernisierungszielen und den gesundheitspolitischen wie auch globalen Aufgaben, vor die sich die Bundesregierung gestellt sieht, wird sie aber vor allem daran gemessen werden, wie sie sich in der Umwelt- und Klimapolitik bewährt. Die Naturkatastrophen des Jahres 2021 haben nicht nur die Dringlichkeit vor Augen geführt, sie haben vermutlich auch die Wahlentscheidung im September beeinflusst. Als Angela Merkel 2005 gewählt wurde, war Deutschland ein anderes Land als heute. Wenn die Ampelkoalition ihre Pläne umsetzt, wird man dies bereits in vier Jahren sagen können und die Unterschiede zum Jahr 2021 werden deutlicher hervortreten.

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