Streit um Nord Stream 2: Deutschland und USA einigen sich (Reuters)
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Nord Stream 2 wird fertiggestellt

Noch vor einigen Monaten war nicht ganz klar, wie lange die Vollendung des Erdgasleitungsprojektes Nord Stream 2, das 55 Milliarden Kubikmeter zusätzliches Gas aus Nordrussland nach Westeuropa bringt, noch dauern wird. Die US-Administration unter Donald Trump sowie der Senat sanktionierten das privatwirtschaftliche Projekt und drohten mit einer Verschärfung der Strafen. Die dänische Regierung verhinderte den Weiterbau in der Nähe der Insel Bornholm aufgrund umweltpolitischer Bedenken. Durch Ereignisse wie der amerikanisch-dänische Disput um Grönland, die Wahl von Joseph Biden zum neuen US-Präsidenten sowie das beharrliche Festhalten der Bundesregierung an dem privatwirtschaftlichen Projekt wendete sich das Blatt. Nord Stream 2 ist nun nicht mehr zu stoppen. Wladimir Putin verkündete auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum am 4. Juni, der erste Strang der Pipeline sei bereits fertiggestellt worden. Kürzlich bestätigte der Geschäftsführer der Nord Stream 2 AG, Matthias Warnig, die Fertigstellung des Projektes im August. Stehen die notwendige Zertifizierung sowie weitere notwendige rechtliche und wirtschaftliche Schritte noch aus, so ist doch anzunehmen, dass die Ostseepipeline spätestens Anfang 2022 den Betrieb aufnehmen kann.

Gemeinsame deutsch-amerikanische Erklärung sorgt für Ausgleich der energiepolitischen Interessen

Die deutsch-amerikanische Erklärung widmet sich hauptsächlich der Energiesicherheit und territorialen Integrität der Ukraine sowie der sicheren (ost-)europäischen Energieversorgung und der notwendigen Transformation des Energiesystems, um die Ziele zur Eindämmung des Klimawandels zu erreichen.

Der wichtigste Aspekt des Abkommens ist allerdings die Legitimierung von Nord Stream 2 durch die Biden-Administration. Damit sind keine weiteren Sanktionen mehr zu erwarten, das Projekt kann somit bald vollendet werden. Hierbei wird bei der Nutzung auf das Dritte Binnenmarktpaket der EU-Kommission in Bezug auf Entflechtung und Zugang von Drittparteien verwiesen. Zudem bezieht man sich auf die Zertifizierung des Projektträgers und somit die Bewertung von Risiken für die Sicherheit der Energieversorgung der EU. Das ist eine Hürde, die Nord Stream 2 noch nehmen muss, nachdem der ursprüngliche norwegische Zertifizierer DNV aufgrund der US-Sanktionen das Projekt verlassen hat.

Sollte Russland die Erdgaslieferungen als Waffe einsetzen, was Russland in der Vergangenheit gegenüber Europa nicht getan hat, wird Deutschland Schritte unternehmen, die zu einer Einschränkung von russischen Erdgasimporten auf nationaler und europäischer Ebene führen. Dies würde dann auch Nord Stream 1 und 2 betreffen. Selbst bei den EU-Sanktionen gegenüber der Russischen Föderation 2014 wurde diese Maßnahme ausgeschlossen.

Deutschland sichert nicht nur den zukünftigen russischen Gastransit durch einen Sonderbeauftragten, der, wie bereits früher von Deutschlands Politikern und Diplomaten unternommen, die bilateralen Erdgastransitverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zur Sicherstellung des Gasflusses auch nach 2024 politisch flankiert. Dabei ist allerdings eine wichtige Voraussetzung, dass die veraltete ukrainische Pipelineinfrastruktur sukzessive modernisiert wird.

Die Bundesrepublik unterstützt die Regierung in Kiew auch beim Umbau des Energiesystems, wovon maßgeblich deutsche Firmen profitieren dürften. Die Ukraine als größter Flächenstaat Europas bietet beste Voraussetzungen für den großflächigen Ausbau erneuerbarer Energien sowie für die Produktion von Grünem Wasserstoff, was die Ukraine langfristig zu einem Exporteur von Energie für die europäischen Volkswirtschaften macht. Konkret wird die Bundesregierung einen „Grünen Fonds“ in Höhe von 175 Millionen US-Dollar einrichten und verwalten, der die Energiesicherheit und -wende unterstützt. Darüber hinaus stellt Berlin Mittel in Höhe von 70 Millionen US-Dollar für bilaterale Projekte bei Energieeffizienz, für erneuerbare Energie und zur Unterstützung des Kohleausstiegs zur Verfügung. Zudem wird ein „Resilienz-Paket“ für die Ukraine erstellt, das die Energiesicherheit auf verschiedenen Gebieten erhöhen soll.

Interessanterweise wurden die maroden ukrainischen Kernkraftwerke und deren notwendigen Modernisierungen, wohl aus Kostengründen, in dem bilateralen Papier nicht erwähnt. Außerdem ist die Angelegenheit des Baus eines LNG-Terminals in Norddeutschland für den Bezug von unkonventionellem Gas aus den USA erst einmal nicht mehr auf der bilateralen Agenda.

Gewinner des Abkommens sind alle beteiligten Staaten

Letztlich können alle Beteiligten mit diesem Abkommen zufrieden sein. Der russische Erdgastransit durch die Ukraine und die dadurch anfallenden Gebühren in Milliardenhöhe bleiben langfristig gesichert, dafür garantieren Deutschland und die USA. Darüber hinaus wird der notwendige Wandel der ukrainischen Energiewirtschaft von fossilen Energieträgern zu erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz finanziell umfassend unterstützt. Die Ukraine kann sogar langfristig zu einem Energieexporteur werden.

Deutschland kann das Erdgasprojekt Nord Stream 2 vollenden und wird dadurch zu einem bedeutenden Gashub für Nordwesteuropa. Des Weiteren wird das zusätzliche sibirische Erdgas benötigt, um den stetigen Rückgang der Erdgasimporte aus den Niederlanden zu kompensieren. Das wichtige deutsche außenpolitische Ziel, die politische und wirtschaftliche Stabilisierung der Ukraine sowie die Wiederherstellung der territorialen Integrität zu unterstützen, wird dadurch befördert.

Die Russische Föderation kann durch das Pipelineprojekt mehr Erdgas nach Westeuropa exportieren und somit mehr Deviseneinnahmen generieren. Für die USA stellt das Abkommen einen Neustart in den Beziehungen zu Deutschland und weiteren westeuropäischen Staaten dar. Außerdem nimmt die Biden-Administration über den hochrangigen Dialog zwischen den USA und der EU bezüglich Russland sowie der Energie- und Klimapartnerschaft zwischen den USA und Deutschland Einfluss auf die europäische Energie-, Klima- und Russlandpolitik. Damit können alle Seiten gesichtswahrend mit Nord Stream 2 umgehen.

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