„Energiekrise“: Weltmarkt treibt Preise für Verbraucher auf Rekordhöhen (dpa)
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In Deutschland kommen unangenehme Erinnerungen hoch, wenn von Inflation gesprochen wird. Nach dem Ersten Weltkrieg lag nicht nur die Reichswehr, sondern auch die deutsche Wirtschaft am Boden. Der Staat war quasi bankrott. Der Krieg vernichtete viel Kapital. Für Soldaten, Waffen, Verpflegung und Logistik musste der Staat Schulden gegenüber der eigenen Bevölkerung aufnehmen. Um neben diesen privaten Schulden auch noch die Kriegsreparationen, also die Schadensersatzforderungen an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs, zurückzuzahlen, druckte der Nachfolgestaat des Deutschen Reichs, die Weimarer Republik, zu Beginn der 1920er Jahre Unmengen an Geld. Weil so viel Geld im Umlauf war, erhöhten sich die Preise, und die Löhne explodierten. Es wurden so viele Banknoten gedruckt, dass das Geld irgendwann nur noch mit Wäschekörben oder in Schubkarren transportiert werden konnte. Manche heizten sogar mit Geldscheinen ihre Öfen. Im Krisenjahr 1923 mussten die Menschen für ein Brot 105 Milliarden Mark, für einen Liter Milch bis zu 26 Milliarden Mark zahlen. Die Geldentwertung geriet zum deutschen Trauma.

Neue Studie: Sorge vor Inflation überwiegt bei Deutschen

Deshalb ist das Thema Inflation im Kollektivgedächtnis der Deutschen verankert. Und deshalb bereiten die täglichen Nachrichten bezüglich der steigenden Inflation und Armutsgefahr den Menschen im Land große Sorgen. Dieses Trauma verfolgt die Deutschen bis heute. Darauf deuten auch die Ergebnisse der aktuellen Umfrage des Centrums für Strategie und Höhere Führung und des Umfrageinstituts für Demoskopie Allensbach hin. Das Centrum für Strategie und Höhere Führung ist spezialisiert auf das Coaching und die Fortbildung von Führungskräften. Ein Tätigkeitsschwerpunkt sind Trainings für das Entscheiden in komplexen Lagen und unter hoher Unsicherheit. In seinem „Sicherheitsreport 2022“ rangiert die Inflationsangst der Deutschen an oberster Stelle. Unter den 1090 Deutschen ab 16 Jahren, die zwischen dem 6. und 20. Januar befragt wurden, gaben 70 Prozent an, beunruhigt zu sein wegen der starken Geldentwertung und des enormen Preisanstiegs. Der Anteil der Menschen, die sich persönlich durch die Geldentwertung bedroht fühlen, ist binnen eines Jahres von 32 auf jetzt 51 Prozent angestiegen. „Insgesamt ist die große Mehrheit bisher finanziell bemerkenswert gut durch die zweijährige Krise gekommen, aber die hohe Inflationsrate alarmiert die Bevölkerung zunehmend und trifft überdurchschnittlich die sozial schwächeren Schichten“, sagt Renate Köcher vom Allensbach-Institut. Der Sicherheitsreport des Centrums für Strategie und Höhere Führung wird seit 2011 vom Institut für Demoskopie Allensbach erhoben.

Keine Entspannung der Teuerung absehbar

Einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes zufolge hat sich die Inflation auch im Januar des neuen Jahres auf einem hohen Niveau eingependelt. Mit 4,9 Prozent zogen die Preise deutlicher an als von vielen Ökonomen angenommen. Im Dezember 2021 hatte die Inflationsrate bei 5,3 Prozent gelegen und damit den höchsten Wert seit 30 Jahren erlangt. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank von der Sparkassen-Finanzgruppe, meint: „Die Serie an negativen Inflationsüberraschungen reißt nicht ab. Erst wurde der Anstieg der Inflation unterschätzt. Jetzt wird der Rückgang überschätzt.“ Auch Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim erwartet keine Entspannung der aufgeheizten Preisspirale in Deutschland: „Die Hoffnung auf ein deutliches Absacken der Inflation zum Jahresbeginn hat sich nicht erfüllt. Das war bereits seit einigen Monaten absehbar. Zwar ist die höhere Mehrwertsteuer ab Januar 2021 nun aus dem Vorjahresvergleich herausgefallen. Diesem preisdämpfenden Basiseffekt steht aber der sehr starke Anstieg der Strom-, Gas- und Benzinpreise gegenüber. Dieser heizt die Inflation nun weiter an. Der so ausgelöste Preisdruck wird anhalten, weil Unternehmen die viel höheren Beschaffungskosten nun kontinuierlich über Preisanpassungen an die Endverbraucher weitergeben werden.“ Das Jahr 2022 habe inflationär begonnen und werde es auch bleiben, so der Ökonom.

Inflationszahlen verschärfen sich

Tatsächlich ist die Inflation nicht nur in Deutschland, sondern im gesamten Euroraum spürbar gestiegen. Fast alles ist im Vergleich zum Vorjahr teurer geworden. Das Fatale: Es sind keine leichten Preiserhöhungen, sondern die Preise haben sich zum Teil gegenüber dem Vorjahr verfünffacht. Deutlich wird das vor allem bei den gestiegenen Nahrungsmittel- und Energiekosten. Nicht nur das Tanken an der Zapfsäule, sondern auch der Einkauf im Supermarkt ist merklich teurer geworden. Das ist aus den Zahlen der statistischen Ämter zu entnehmen. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise stiegen die Preise im Januar 2022 für Heizöl um fast 36 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Für Strom mussten die Menschen 17 Prozent mehr, für Diesel 26 Prozent mehr und für Benzin 21 Prozent mehr bezahlen. Gemüse wurde ebenfalls teurer. Hierfür mussten die Verbraucher fast zehn Prozent mehr ausgeben. Molkereiprodukte wie Milch, Käse und Butter verteuerten sich ähnlich wie Getreideerzeugnisse, Mehl und Brot um über sechs Prozent. Vergleichbar hoch fiel die Preisentwicklung bei Fisch, Fleisch und Obst aus. Außerdem zeichnet sich beim Anstieg der Materialpreise immer noch kein Höhepunkt ab. Deutlich tiefer in die Tasche greifen mussten Verbraucher in Hessen beim Erdgas. Hier legte der Preis im Januar um etwa 77 Prozent zu. Die Preise für Heizöl verteuerten sich um 52,6 Prozent, und bei den Kraftstoffen gab es einen Aufschlag von etwa einem Viertel. Auch das Lieblingsprodukt der Deutschen in der Corona-Pandemie, das Toilettenpapier, wird wieder knapp und wurde zuletzt um etwa 20 Prozent deutlich teurer.

Gerade die Preisexplosion bei fossilen Brennstoffen bereitet Anlass zur Sorge. Denn hierbei ist Deutschland von Importen aus dem Ausland sowie geopolitischen Entwicklungen abhängig. Zudem wird derzeit die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 immer noch verzögert, um die transatlantische Partnerschaft nicht zu gefährden. Das ist ein weiterer Grund für die rasanten Preisentwicklungen.

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