Macron (dpa)
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Frankreich erweitert antiislamische Kampagne

Das neue Gesetz erleichtert eine verschärfte Überwachung von religiösen Institutionen und Moscheen, die künftig einfacher geschlossen werden können. Straftaten, die „islamistisch” motiviert sind, können mit dreijähriger Haft und einer Geldstrafe von bis zu 75.000 Euro belegt werden. Kinder müssen öffentliche Schulen besuchen. Staatsangestellte müssen sich zu religiöser „Neutralität” verpflichten. Auch einigten sich muslimische Vertreter auf eine von Macron geforderte „Charta”, mit der sich Imame zu den Werten der Republik bekennen.

Gerechtfertigt wurde das Gesetz durch Anschläge, beispielsweise die grausame Ermordung des Lehrers Samuel Paty durch einen muslimischen Tschetschenen. Doch sollte es im Kontext der andauernden innenpolitischen Spannungen in Frankreich sowie der von Präsident Emmanuel Macron geführten antiislamischen Kampagne gesehen werden. Durch das Gesetz wird der Islam wieder einmal als Problem definiert, und Muslime werden ausgegrenzt.

Kritik und Proteste kamen von verschiedenen Seiten. Nicht nur viele Muslime sind besorgt um ihre Rechte und Freiheiten, auch Aktivisten und Menschenrechtler übten Kritik an dem Gesetz. Einige sehen darin eine Einschränkung der Religionsfreiheit. Die katholische Gemeinde Frankreichs hat wiederholt ihre Besorgnis geäußert. Eric de Moulins-Beaufort, Präsident der Bischofskonferenz, nannte das Gesetz „repressiv.” Es erwecke das Gefühl, dass man sich vor gläubigen Bürgern hüten müsse, äußerte er.

Das Gesetz richtet sich gegen sogenannten „Separatismus.” Doch genau wie „Islamismus,” „radikaler“ und „politischer Islam“ oder „Extremismus” ist dieser Begriff zwar allgegenwärtig in der europäischen Politik und Medienlandschaft, jedoch bei Weitem nicht einheitlich definiert. Dieser Mangel an Definition und die oftmals willkürliche Verwendung dieser Begriffe können dazu führen, dass Hass gegen den Islam als Sorge um gesellschaftliche Freiheiten präsentiert wird. Islamophobie kann dann hinter dem als liberal-demokratische Notwendigkeit präsentierten Kampf gegen „Islamismus” versteckt werden.

Meint Macron mit „islamistisch” z.B. das wahhabitische Saudi-Arabien, zu dessen diktatorischem Regime er enge Kontakte pflegt? Für viele Muslime ist ihre Form des Islams eine politische. Vorwürfe gegen Muslime können leicht in den Raum gestellt werden. Die vage Formulierung dieser Begriffe wie auch die deutlich islamophobe Rhetorik der Macron-Regierung ermöglichen weiterhin die Einschüchterung von Muslimen durch staatliche Gewalt. Der Islam wird dabei weniger als Religion und mehr als feindliche politische Ideologie gesehen.

Der Islam hält Macron politisch am Leben

Nicht erst seit diesem neuesten Gesetz stehen Muslime in Frankreich unter Generalverdacht. Macrons Amtszeit ist von einem zunehmend antiislamischen Klima geprägt. Der französische Präsident erklärte, der Islam sei weltweit in der Krise. Deshalb wolle er den Islam verändern und regulieren. Seinen Behauptungen liegt die arrogante Annahme einer kulturellen Überlegenheit Frankreichs zugrunde.

Dieser Fokus auf Muslime scheint zudem eine bewusste politische Strategie darzustellen. Macrons Amtszeit wird von Protesten gegen seine Regierung überschattet. Die gewaltsame Reaktion des Staates gegenüber Demonstranten wurde von Menschenrechtsorganisationen stark kritisiert. Macrons Image hat innenpolitisch gelitten. Aktuellen Umfragen zufolge ist die breite Mehrheit der Franzosen mit seiner Politik unzufrieden. Marine Le Pen, Anführerin der rechtsextremen Partei “Resemblement National”, liegt in Umfragen vor Macron. Die nächste Präsidentschaftswahl findet im Frühjahr 2022 statt.

Der Islam scheint Macron politisch am Leben zu halten. Antiislamische Rhetorik garantiert politische Relevanz und lenkt von innenpolitischen Problemen und Frankreichs schwindender Bedeutung in der Welt ab. Islamophobe Hetze scheint jedoch auch eine Taktik zu sein, um rechtsgesinnte Wähler anzuziehen.

Frankreichs Rechtsradikalen geht Macrons neuestes Gesetz zwar nicht weit genug. Doch können sie sich durch Äußerungen seiner Regierung zweifellos ermutigt fühlen. In einer Debatte überraschte Gerald Darmanin, Macrons Innenminister, letzte Woche die Rechtspopulistin Marine Le Pen, als er ihr vorwarf, dem Islam gegenüber zu „weich” zu sein.

In der Rhetorik der Regierung werden oft virologische Metaphern benutzt, um den Islam als Seuche oder Krankheit darzustellen, die eingedämmt oder bekämpft werden müsste. Laut Darmanin soll das neue Gesetz eine „feindliche islamistische Übernahme” verhindern, die sich angeblich gegen Muslime richte. Muslime werden in dieser erniedrigenden Kolonialrhetorik damit als Begünstigte des Gesetzes dargestellt.

Darmanin hat auch ein Problem mit Lebensmitteln nicht-französischer Abstammung. Er sei schockiert, zu sehen, dass in einem Supermarkt halal und koschere Lebensmittel in separaten Regalen präsentiert werden. Damit beginne seiner Meinung nach der Separatismus.

Die Ministerin für Höhere Bildung, Frederique Vidal, warnte davor, dass die „Islamo-Linke” die Gesellschaft zerfressen würde und dass Universitäten nicht “immun” seien. Die kategorische Verurteilung von Muslimen und Linksorientierten ist eine weitverbreitete Taktik Rechtsradikaler. Vidal kündigte eine Untersuchung an. Sie halte es für problematisch, dass Forscher, die sich auf Kolonialismus und „Rasse” konzentrierten, alles „brechen und teilen” wollten. Auf der Konferenz der Universitätspräsidenten wurde Bestürzung darüber ausgedrückt. Bildungsminister Jean-Michel Blanquer sagte zuvor, die „Islamo-Linke” löse in der Wissenschaft Chaos aus.

Macrons Vorgehen gegen Muslime steht in starkem Kontrast zu Frankreichs proklamierten Werten des Laizismus und dem Beharren auf demokratischen Werten. Doch ist Rassismus natürlich kein neues Phänomen, sondern findet sich tief verankert in der französischen Geschichte und kolonialen Kultur wieder.

Koloniale Faszination für Muslime

Die gegenwärtige orientalistische Faszination für den Islam lässt sich nicht von Frankreichs Geschichte in der islamischen Welt trennen. Über Jahrhunderte war Frankreichs Verhältnis zu Muslimen von kolonialer Vorherrschaft und brutaler Unterdrückung geprägt. Die derzeitige Situation in Frankreich könnte als Replikation kolonialer Dynamiken gesehen werden, die Frankreich in Algerien und andernorts gewaltsam anwendete, um seine militärische Autorität und kulturelle Überlegenheit zu manifestieren und nicht-europäische Bevölkerungsgruppen zu kontrollieren.

132 Jahre lang hatte Frankreich Algerien kontrolliert, kolonialisiert und in einem achtjährigen Krieg versucht, die Freiheitsbestrebungen der indigenen Bevölkerung auf brutalste Art zu unterdrücken. Noch vor Kurzem lehnte Macron es ab, sich für Frankreichs Kolonialverbrechen in Algerien zu entschuldigen.

Kontrolle, Umerziehung und Einschüchterung prägen auch heute noch die politische Leitkultur. Millionen von Muslimen in Frankreich werden dabei Opfer interner kolonialer Methoden in Macrons Kampf um politische Relevanz.

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