(AA)
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Eine junge Frau bewirbt sich bei einer Bäckerei für eine Ausbildung zur Konditorin. Beim Vorstellungsgespräch wird ihr gesagt, sie sei qualifiziert – aber mit Kopftuch habe sie keine Chance. Ein Mann steigt in einen Fernbus. Der Busfahrer schreit ihn an: „Geh weg von mir, Affe!“ und verweigert die Mitnahme. Eine Straßenbaufirma sagt einem Bewerber ab und rät ihm, in die Heimat zurückzugehen und dem Islam abzuschwören. Eine Frau möchte im Supermarkt eine falsch abgerechnete Ware deklarieren. Die Kassiererin beschimpft sie, sie solle „zurück nach China“.

Das sind nur einige wenige Beispiele aus der juristischen Beratung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus den vergangenen Wochen. Wir beraten Menschen, die solche und ähnliche Diskriminierung erleben, können auf Wunsch eine gütliche Einigung anstreben und Hinweise auf weitere Beratungsmöglichkeiten geben. Seit Jahren steigen bei der Antidiskriminierungsstelle die Beratungsanfragen zu rassistischen Diskriminierungen deutlich: Allein im vergangenen Jahr gab es eine Zunahme um mehr als 70 Prozent.

Wenn wir in diesen Tagen der Opfer des entsetzlichen Anschlags von Hanau gedenken, der sich am 19. Februar zum ersten Mal jährt, dann ist es auch wichtig, sich deutlich zu machen, wie früh dieser Hass beginnt, sein Gift zu verbreiten. Gewalt fängt nicht bei einem Attentat an, sie beginnt viel früher: Wenn jemand aus rassistischen Gründen einen Job oder eine Wohnung nicht erhält, wenn die Mitnahme verweigert wird oder in Geschäften und am Arbeitsplatz rassistische Äußerungen fallen. Und Gewalt beginnt mit Worten – wir haben in den vergangenen Jahren leider eine zum Teil menschenfeindliche Diskursverschiebung erlebt, die uns Sorgen bereiten muss. Gewalt beginnt mit der kalten Selbstverständlichkeit, mit der manche Menschen meinen, sich diskriminierend verhaltend und äußern zu dürfen.

Solche Diskriminierungen und solcher Hass sind, das muss immer wieder betont werden, kein Phänomen des rechten Rands, sie sind längst verbreitet und oft mindestens geduldet. So wird der Boden bereitet für Extremisten, die dann meinen, für ihre Taten eine Rückendeckung in der Gesellschaft zu haben oder gar in ihrem Sinne zu handeln.

Was sind also die Lehren aus Hanau? Es ist dringend geboten, noch viel deutlicher die Ursachen von Hass und Ausgrenzung zu bekämpfen. Dazu gehört zuallererst eine Bewusstwerdung: Rassismus ist für viele Menschen eine alltägliche Erfahrung. Der Ausschluss von der vollen gesellschaftlichen Teilhabe und Benachteiligungen in allen Lebensbereichen, von der Bildung über das Arbeitsleben hin zur Freizeit, sind verbreitet. Diese Erfahrungen so vieler Menschen sind unbedingt ernst zu nehmen.

Um gegen Diskriminierung und Ausgrenzung anzugehen, müssen Menschen, die rassistische Diskriminierung erfahren, viel mehr Unterstützung erhalten. Wir brauchen mehr und bessere Beratungsangebote überall im Land. Viele Beratungsstellen sind chronisch unterfinanziert und hangeln sich jährlich von einer Förderung zur nächsten. Daher hält es die Antidiskriminierungsstelle für dringend notwendig, erstens das Beratungsangebot des Bundes personell zu stabilisieren, und zweitens über ein Bund-Länder-Programm für einen Ausbau und eine stetige Finanzierung nicht-staatlicher Beratungsstellen zu sorgen.

Ebenso dringend brauchen wir eine starke rechtliche Grundlage. Das Diskriminierungsverbot im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wird von vielen Betroffenen als schwach empfunden, weil Menschen sich mit seiner Durchsetzung alleingelassen fühlen.

Einen wichtigen ersten Schritt hat der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus in Aussicht gestellt: Die Verlängerung der Fristen, innerhalb derer nach einer Diskriminierung Ansprüche angemeldet werden müssen, von zwei auf sechs Monate. Das ist wichtig, weil viele Menschen sich erst ihrer Diskriminierungserfahrungen bewusst werden müssen, sich über mögliche Schritte informieren und den Mut finden, dagegen anzugehen. Auch eigene Klagerechte für qualifizierte Verbände, wie sie in vielen Nachbarländern üblich sind, könnten den Eindruck verringern, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nur ein zahnloser Tiger sei.

Wenig Verständnis zeigen viele Betroffene auch dafür, dass das AGG nur den privatwirtschaftlichen Bereich erfasst. Auf Diskriminierungen im Bereich des staatlichen Handelns, etwa bei polizeilichen Kontrollen, findet das Gesetz keine Anwendung. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs würde hier erfahrbaren Schutz und klare Beschwerdewege schaffen. Landesantidiskriminierungsgesetze ähnlich wie in Berlin, die auch staatliche Diskriminierung abdecken, würden hier weiterhelfen.

Und schließlich braucht es auch eine umfassende und verstetigte Forschung zu Diskriminierung. Wir brauchen weitere und vertiefte Erkenntnisse zu Diskriminierungsrisiken, dem Ausmaß der Erfahrungen sowie dem Umgang damit. Nur so können wirklich zielgenaue Maßnahmen entwickelt werden.

Dieser 19. Februar sollte Anlass sein, daran zu erinnern: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist das Gegenteil von Demokratie. Sie zerstört die Grundlagen unseres Zusammenlebens. Umso mehr müssen wir vereint alles daransetzen, dass unsere Gesellschaft sich von diesem Gift heilt.

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