Berlin: Ein kleiner Fernseher in einem Laden zeigt die TV-Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich der Coronavirus-Pandemie. (dpa)
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Während die Corona-Pandemie es Vertretern der Exekutiven von Bund und Ländern ermöglichte, sich durchgehend im Vordergrund zu positionieren und letztlich auch „an Parlamenten vorbei durchzuregieren“, nimmt die gesellschaftliche Zustimmung diesbezüglich immer weiter ab. Trafen die anfänglichen Corona-Maßnahmen noch auf breite Unterstützung in den Reihen der Oppositionsparteien, aber auch in den Parteien der GroKo, so scheint diese Unterstützung neuerdings in Frage zu stehen.

Zwar wird generell auch weiterhin bei vielen politischen Stellungnahmen den deutschen Parlamenten eine sehr wichtige Rolle zugesprochen. Gleichzeitig wird aber darauf verwiesen, dass bereits vor der Pandemie – und zwar schon seit Jahrzehnten – eine Diskussion existiere, in deren Rahmen die vernachlässigte Rolle der Parlamente thematisiert worden sei. Doch mit der Corona-Pandemie wurde nun umso deutlicher, dass die Rolle der Parlamente darunter litt.

Da die sogenannte „Stunde der Exekutive“ trotz vielfacher Kritik fortgesetzt wird, lässt sich eine zunehmende Unzufriedenheit insbesondere gegenüber Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer beobachten. Dabei steht vor allem das Thema der zukünftigen Vorgehensweise bei der Pandemiebekämpfung im Vordergrund. Immer mehr oppositionelle Stimmen bringen diesbezüglich zum Ausdruck, Landesparlamente und Bundestag müssten bei der Pandemiebekämpfung eine effektivere Rolle einnehmen.

Kritik auch aus den eigenen Reihen

Oppositionsparteienim Bundestag wie Die Linke, Die Grünen und FDP setzen sich daher zurzeit dafür ein, dass fortan statt Verordnungen sowohl auf Bundes- als auch Landesebene den jeweiligen Parlamenten entsprechende Gesetzesvorhaben vorgelegt werden müssen. Dass dies sehr viel Zeit in Anspruch nehmen wird und wichtige Corona-Maßnahmen nicht umgehend umgesetzt werden können, steht außer Frage. Dennoch wird zunehmend parteiübergreifend gemahnt, die aktuelle Vorgehensweise in der Pandemiebekämpfung dürfe so nicht weitergehen, da dieser Zustand letzten Endes den deutschen Parlamentarismus schwäche. FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle beispielsweise beschreibt die aktuelle Ausweitung der Sonderrechte des Bundesgesundheitsministers als „dauerhafte Kompetenzverschiebung von der Legislative zur Bundesregierung“. Auch der Co-Vorsitzende der Grünen Robert Habeck spricht sich für eine transparentere Vorgehensweise aus. Ähnlich äußert sich Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP), demzufolge es Aufgabe des Parlaments und nicht die von Regierungsmitgliedern sei, „wesentliche Entscheidungen zu treffen“.

Anders als noch im Frühjahr mahnen zunehmend auch SPD- und CDU-Politiker, dass es so wie momentan nicht weitergehen könne. Eine Situation, in der seit fast neun Monaten die Bundesregierung zusammen mit Ländern und Kommunen durch Verordnungen regiere, sei seit 1945 noch nie dagewesen. In diesem Sinne kritisierte SPD-Rechtsexperte Florian Post, das deutsche Grundgesetz sehe ein „Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder“ nicht vor. Besonders in der Kritik steht das aktuelle Vorhaben der Bundesregierung, die sogenannten Sonderrechte für den Bundesgesundheitsminister im Eilverfahren zu verlängern. Auch CDU-Politiker empfinden die momentane Vorgehensweise als „beunruhigend“ und rufen das Parlament dazu auf, „wieder selbstbewusster seine Rolle als Gesetzgeber auszufüllen“. Obwohl ähnliche Aufrufe auch schon vor dem Sommer zu hören waren, änderte sich in den Sommermonaten nichts.

Das Problem wird erkannt – doch es fehlen weiterhin konkrete Alternativansätze

Momentan ist aus fast allen politischen Kreisen zu vernehmen, dass die Eindämmungsmaßnahmen zu Beginn der Pandemie notwendig waren bzw. sowohl seitens der Gerichte als auch der Gesellschaft aufgrund ihrer Notwendigkeit geduldet wurden. Mittlerweile jedoch könne man sich nicht mehr auf eine stillschweigende Zustimmung verlassen, und in vielen Teilen der Gesellschaft und Politik werde die Kritik immer lauter: Je länger die anfänglich geduldeten Vorgehensweisen mittels Verordnungen und informellen, von der Kanzlerin angeführten Koordinationstreffen entschieden werden, desto intensiver und kritischer werden die Einwände. In diesem Sinne wird gelegentlich zu bedenken gegeben, dass bald erneut sogenannte Corona-Proteste stattfänden. Auch komme es mittlerweile immer öfter dazu, dass Gerichte das Vorgehen der Exekutiven basierend auf ihren rechtlichen Grundlagen beanstanden.

Unter dem Strich zeigt sich zurzeit das Problem, dass die Exekutive häufig ins Zentrum der Kritik rückt. Dabei wird das Problem zuweilen mit dem Föderalismus in Verbindung gebracht, teilweise auch mit der Exekutive per se. An dieser Stelle ist der Ansatz des Berliner Politikwissenschaftlers Wolfgang Merkel hervorzuheben. In zutreffender Weise betont er, dass es in solchen Situationen auch an der Opposition liege, „Politikalternativen“ einzubringen. Tatsächlich reduzieren kategorisch ablehnende Stellungnahmen ohne alternative Ansätze die Debatte bis zur Bedeutungslosigkeit. Momentan sieht es leider danach aus, als würde das komfortablere Durchregieren nicht nur von Vertretern der Exekutiven präferiert. Auch die Opposition – oder aber auch kritische Stimmen innerhalb der Exekutivorgane – wirkt nicht gerade ambitioniert, wenn es darum geht, konkretere Vorschläge vorzulegen. Das kritische und wiederholte zur Sprache bringen von Themen wie „Stunde der Exekutive“ und „Ausschließen der Parlamente“ mag sich zwar wie politische Alternativen anhören, doch an tatsächlichen und potentiell realisierbaren Vorschlägen mangelt es weiter. Selbst wenn hier und da Vorschläge zum Ausdruck gebracht werden, stellt sich zudem die Frage, ob diese Anstöße in Anbetracht der momentanen Lage wirklich realisierbar oder lediglich Projektionen sind, die mittels umfassender struktureller Reformen unglücklicherweise erst mittel- oder sogar langfristig realisierbar wären.

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