14. März 2022, Ankara, Türkei: Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan trifft sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Präsidentenpalast in Ankara. (Reuters)
Folgen

Am Montag, 14. März, besuchte Olaf Scholz Ankara zum ersten Mal seit seiner Wahl zum Bundeskanzler und traf sich mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Zur gleichen Zeit war Altkanzler Gerhard Schröder in Moskau, um mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin über die Situation im Russland-Ukraine-Krieg zu sprechen. Beide SPD-Politiker symbolisieren Deutschlands Anstrengung, den Russland-Ukraine,Krieg diplomatisch zu lösen. Dass der jetzige Bundeskanzler Scholz in Ankara und zur gleichen Zeit Altkanzler Schröder in Moskau ist, ist kein Zufall. Die Türkei hat seit langem die Vermittlerrolle im Russland-Ukraine-Krieg übernommen und dient auch für andere Bereiche als diplomatische Brücke. Das Antalya Diplomacy Forum ist nur eines von vielen Beispielen der ausgebautenDiplomatiefähigkeiten der Türkei. Dies ist auch dem Westen und vor allem Deutschland bewusst.

Deutschlands radikaler Wechsel und seine harten Konsequenzen

Nach dem Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs gab Olaf Scholz in seiner Rede am 24. Februar bekannt, Deutschland werde 100 Milliarden Euro mehr in die Sicherheitspolitik investieren. Auch erklärte der Kanzler neben weiteren Sanktionen gegen Russland das so wichtige Nord Stream 2 Projekt für abgebrochen. Scholz bekam für seine historische Rede viel Zuspruch im Bundestag. Die Sanktionen gegen Russland hatten anscheinend ihre Wirkung erzielt, und der Westen hoffte, dass Russland einen Schritt zurück macht.

Aber das Gegenteil war der Fall: Russland verstärkte seine Offensive, und der Krieg setzte sich fort. Je länger der Krieg andauert, desto härter trifft dies auch Europa und Deutschland. Am offensichtlichsten ist dies zurzeit an den Spritpreisen zu sehen, die in kurzer Zeit stark angestiegen sind: Während Diesel-Kraftstoff vor dem Krieg 1,663 Euro pro Liter kostete, beträgt der Preis nun im Schnitt 2,268 Euro pro Liter. Deutschlands Wirtschaft profitiert vor allem vom Handel, Deutschland gilt als wichtiges Transitland im europäischen Logistikraum, und zurzeit befürchten viele Experten, dass mehrere Logistikfirmen insolvent werden. Die steigenden Spritpreise würden Deutschlands Handlungsmöglichkeiten in diesem Bereich einschränken und seiner wirtschaftlichen Entwicklung enormen Schaden zufügen.

Schröders Rolle bei Deutschlands Friedensbemühungen

Um den Hintergrund von Scholz‘ Besuch in Ankara besser verstehen zu können, sollte man zuerst Gerhard Schröders Rolle in diesem Konflikt näher erläutern. Schröder pflegte während seiner Periode als Kanzler zwischen 1998 und 2005 enge Beziehungen zu Russland und vor allem zu Putin. Beide sind bekannt für ihre enge persönliche Beziehung, welche die deutsche Medienlandschaft auch als „Männerfreundschaft“ bezeichnet. Diese Freundschaft dauert bis heute an. Seine engen Beziehungen zu Putin verschafften Schröder wichtige Positionen in russischen Gaskonzernen wie Gazprom und Rosneft. Schröder mit seinen Lobbyaktivitäten als Hauptinitiator für das inzwischen abgebrochene Nord Stream 2 Projekt.

Seit dem Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs üben Medien und Politiker in Deutschland sehr starken Druck auf Schröder aus. Mehrere Vereine und Städte haben ihm die Ehrenmitgliedschaft entzogen, der langjährige Wegbegleiter und Redenschreiber Albrecht Funk hat sich von Schröder getrennt und die SPD leitet nun ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ein. Der Besuch von Schröder in Moskau wirft nun bei mehreren Parteimitgliedern Fragen und Bedenken auf. Mitglieder der Partei glauben, dass Schröder einen Alleingang wagt, um der Öffentlichkeit seinen Einfluss auf die internationale Politik unter Beweis zu stellen.

Aber so einfach ist das nicht. Auf die Frage, ob Scholz Bedenken habe wegen Schröders Besuch in Moskau, antwortete der Bundeskanzler, er werde die Ergebnisse aus dem Gespräch zwischen Putin und Schröders für die Vermittlung berücksichtigen. Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, meinte, es gebe weltweit nur wenige Politiker geben, die so enge Beziehungen zu Putin pflegten wie Schröder. Deswegen besteht durchaus Hoffnung, dass Schritte in Richtung diplomatische Lösung zwischen Russland und der Ukraine unternommen werden.

Türkei als diplomatisches Zentrum

Scholz besucht Ankara vor allem deswegen, weil die Türkei in Krisenzeiten als einflussreicher diplomatischer Akteur gilt. Die Türkei hat sich bewusst nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt, um die direkten Beziehungen zu Russland nicht zu belasten. Die türkisch-russischen Beziehungen sind noch immer verhältnismäßig stabil, da sie auf Pragmatismus und Rationalismus beruhen. Außerdem sind die Beziehungen zu Russland von großer Bedeutung für die Türkei, insbesondere wegen der Tourismusbranche, den türkisch-russischen Handelsbeziehungen und nicht zuletzt Russland als wichtigem Energielieferanten für die Türkei.

Obwohl sich die Türkei nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt, gilt sie für die Ukraine als vertrauenswürdiger Partner. Aber warum vertraut Wolodymyr Selenskyj der Türkei und kritisiert gleichzeitig den Westen so stark? Die Türkei hatte sich schon von Anfang an das Vertrauen der Ukraine vor allem durch die Lieferung von Bayraktar-Drohnen gesichert. Auch die Annexion der Krim 2014 hatte die Türkei von Anfang an verurteilt und sich an die Seite der Ukraine gestellt. Die Krimtataren spielen dabei eine wichtige Rolle in der Erfüllung der Brückenfunktion zwischen der Ukraine und der Türkei. Dies führt zur Vertiefung der zwischenstaatlichen Beziehungen beider Seiten vor allem bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Scholz in Ankara für die Stabilität Europas

Vor allem die Annäherung zwischen Israel und der Türkei ist unter anderem das Ergebnis ausgezeichneter diplomatischer Fähigkeiten der Türkei. Diese Entwicklung blieb auch in Europa nicht unbeachtet. Vor allem wegen der europäischen Energieversorgung ist eine Annäherung zwischen Israel und der Türkei wichtig. Das Eastmed-Pipeline-Projekt konnte aufgrund fehlender Gelder nicht realisiert werden. Mit der Türkei hätte das Projekt einen zuverlässigen Partner, um es zu realisieren.

Für Deutschland ist diese Entwicklung sehr wichtig, da das Land seine Energieversorgung diversifizieren möchte. Deutschland ist mit 55 Prozent russischer Energieversorgung zu stark abhängig von Moskau. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hatte Deutschland und Europa ermahnt, sie machten sich zu stark von Russland abhängig. Damals nahmen europäische Politiker diese Mahnung jedoch nicht ernst. Nun besucht Scholz Ankara vor allem, um die Energieversorgung Europas zu wahren. Scholz ist sich bewusst, wie groß die Bedeutung der Türkei für die Sicherheit Europas ist. Auch Schröders Besuch in Moskau symbolisiert die Friedensbemühungen Deutschlands, da Europa sonst energiepolitisch eine große Krise erleben könnte.

Letztendlich ist es in Deutschlands und Europas Interesse, die Beziehungen zu Russland zu normalisieren. Die Türkei dient hier als Brücke für Europa, um den Russland-Ukraine-Krieg diplomatisch zu lösen, da Ankara neben Israel der einzige Akteur in dieser Region ist, der mit beiden Konfliktparteien stabile Beziehungen pflegt. Nach der Flüchtlingskrise 2015 ist es nicht das erste Mal, dass Europa auf die Rolle der Türkei angewiesen ist. Daher wird die Türkei nicht nur beim Russland-Ukraine-Krieg, sondern auch in Europas Zukunft eine Schlüsselrolle spielen.

Meinungsbeiträge geben die Ansichten des jeweiligen Autors und nicht die der Redaktion wieder. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an: meinung@trtdeutsch.com