Menschen an der afghanisch-pakistanischen Grenze (AP)
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Seitdem die westlichen Verbündeten beschlossen haben, Afghanistan zu verlassen, war die Angst groß, dass die Taliban nach 20 Jahren wieder an die Macht kommen. Und dies ist jetzt tatsächlich passiert. Afghanistan wurde samt Waffenarsenal den Taliban ohne jegliche Gegenwehr übergeben. Die afghanische Bevölkerung wurde von heute auf morgen ihrem Schicksal überlassen.

NATO und Co. haben in den 90er Jahren auf dem Balkan das gleiche Spiel getrieben. Der Bevölkerung in Srebrenica wurde Schutz zugesichert und versprochen, doch als es brenzlig wurde, reagierten NATO und UN nicht und verurteilten damit einen Teil der Bevölkerung zum Tode. Viele Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien leben jetzt über alle Kontinente verstreut.

Gleiches wiederholt sich jetzt in Afghanistan.

Die Lage vor Ort eskaliert immer mehr

Wir sehen stündlich, wenn nicht minütlich, wie sehr die Lage vor Ort eskaliert. Am 26.8.2021 gab es mehrere Anschläge mitten in der Menschenmenge in Kabul. Mehr als 85 Menschen verloren ihr Leben, darunter viele Kinder. Menschen, die nur weg von den Taliban und in Sicherheit wollten. Eine Sicherheit, die wir ihnen als westliche Nationen eigentlich geben sollten, aber wir haben das afghanische Volk verraten.

Viele Familien wurden gerade getrennt. Einige harren in verschiedenen Flüchtlingslagern auf der Balkanroute aus. Andere haben womöglich eine neue Heimat gefunden, wieder andere sind in Afghanistan und wissen nicht, was der nächste Morgen bringt. Sie haben Schwierigkeiten, Kontakt zu halten, und sind psychisch durch die immer stärker eskalierende Situation in ihrer Heimat angeschlagen. Keiner kann ihnen sagen, ob sie ihre Familienmitglieder je lebend wiedersehen werden.

Deswegen ist es so wichtig, so viele Menschen wie nur möglich auf sichere Art und Weise aus Afghanistan zu evakuieren und die Familien zusammenzuführen.

Einige europäische Länder, zum Beispiel Österreich, weigern sich weiterhin strikt, Afghan*innen aufzunehmen. Sie drohen weiter mit Abschiebung nach Afghanistan, obwohl dies rechtlich nicht möglich ist. Man wolle vor Ort helfen, heißt es. Aber wo vor Ort? Sämtliche Hilfsgelder an Afghanistan wurden eingefroren. Die Taliban regieren jetzt das Land und werden kaum die Wünsche westlicher Nationen respektieren. Die umliegenden Nationen sympathisieren mit den Taliban. Flüchtlinge würden dort nur wieder auf unbestimmte Zeit in Flüchtlingslagern ein erbärmliches und menschenunwürdiges Leben führen, ohne Chance auf eine sichere Zukunft.

Afghanistan wird zum Spielball in der österreichischen Politik

Österreich wurde wegen seiner strikten Haltung gegenüber Flüchtlingen und Migrant*innen öfters kritisiert. Es ist blanker Rassismus und Islamophobie, die hier Afghan*innen und andere Flüchtlinge zu spüren bekommen. Viele NGOs versuchen, mittels eigener Spendenaufrufe selbst Flüge nach Afghanistan zu organisieren, um so viele Menschen wie möglich aus dieser Hölle herauszuholen.

In der österreichischen Gesellschaft erkennt man derzeit eine klare Spaltung, sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung. Der österreichische Bundespräsident appelliert in mehreren Statements, dass wir verpflichtet seien, Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Die regierende Partei, die ÖVP unter Leitung des Bundeskanzlers Sebastian Kurz, lehnt dies ab.

Genauso gehen die Meinungen innerhalb der Bevölkerung auseinander. Jede Woche nehmen Tausende Menschen in Wien an Kundgebungen teil, um für die Aufnahme und die sichere Evakuierung der Flüchtlinge zu demonstrieren. Auf der anderen Seite sieht sich ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung nicht in der Pflicht, Afghan*innen zu helfen.

Viele verstehen nicht, dass es hier nicht nur um Menschenrechte geht, sondern um ein Land, für dessen derzeitigen Zustand wir als westliche Länder mitverantwortlich sind. Wir sind verpflichtet, zu helfen.

Flüchtlinge sind nicht das Problem

Es müssen für die Zukunft unbedingt sichere Fluchtwege bereitgestellt werden. Dieses Chaos in Afghanistan, vor allem in Kabul, hätte man vermeiden können. Dies betrifft nicht nur Afghanistan, sondern jedes Land auf der Welt, in dem Menschen gerade auf der Flucht sind.

Wir als europäische Gesellschaft müssen endlich aufhören, Flucht und Vertreibung als eine Gefahr für uns zu betrachten. Wir sind nicht die Bedrohten und wir sind auch nicht die, die vertrieben wurden und um ihr Leben fürchten müssen. Zu uns kommen Schutzsuchende.

Wenn wir jetzt Schutzsuchende als Bedrohung empfinden, dann läuft bei uns einiges schief. Es kann nicht sein, dass wir Menschen, die gerade alles verloren haben und nur noch ihr nacktes Leben retten konnten, als eine Gefahr für unsere Gesellschaft betrachten.

Diese Menschen brauchen jetzt unsere Hilfe und nicht unsere Ablehnung. Das sind wir ihnen schuldig.

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