Österreichs Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (dpa)
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Es war ein Paukenschlag, als sich vorgestern im Laufe des Vormittags die österreichischen Medien mit der Ankündigung einer „persönlichen Stellungnahme“ von ÖVP-Chef Sebastian Kurz füllten. Kurz vor High Noon kam es zum vorläufigen Showdown in der türkisen causa prima.

Um 11:30 Uhr Ortszeit trat Sebastian Kurz vor die Kameras und bestätigte, was bereits angekündigt worden war: Er ziehe sich von allen politischen Funktionen zurück.

Wer Kanzler sagt, muss auch Obmann sagen

Die ÖVP steht nun wieder vor jener Herausforderung, die jahrzehntelang ihr Begleiter war und die mit dem jungen Sebastian Kurz gegessen schien: einen zuverlässigen, erfolgreichen Obmann an der Parteispitze zu haben.

Der 8-Wochen-Bundeskanzler Alexander Schallenberg war am 9. Oktober auserkoren worden, um die Kanzler-Lücke nach dem „zur Seite getretenen“ Kurz zu füllen. Dieser verblieb Parteiobmann und konnte sich selbst formal zu den Niederungen eines Klubobmanns im Parlament durchringen. Doch nun ist alles wieder anders. Und das neue alte Credo lautet: Der neue Obmann soll auch neuer Kanzler werden.

Noch ist die ÖVP die stimmenstärkste Partei im Nationalrat. Was nichts mit der aktuellen Stimmung in der Bevölkerung zu tun hat, sondern den Wahlen 2019 geschuldet ist. Die damals erreichten knapp 38 Prozent erscheinen nach einem misslungenen Pandemiemanagement und den Verdachtsmomenten gegen Sebastian Kurz (Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit) in etwa so weit entfernt wie eine stabile, menschenfreundliche Atmosphäre auf dem Mars.

Die Verdienste des Innenministers Nehammer

Der neue Kanzler Karl Nehammer wurde in der Regierung Kurz II mit dem Posten des Innenministers betraut. In seine Amtszeit fallen die Abschiebung minderjähriger Mädchen, die in Österreich geboren wurden und nach 12 Jahren das Land verlassen mussten.

Und der Terroranschlag, der Wien am 2. November 2020 am Vorabend eines Covid-Lockdowns erschütterte.

Ausnehmend „staatsmännisch“ ist Nehammer aufgefallen, als einige Facebook-Benutzer von seiner Gattin bzw. deren Anwalt Post erhielten. Im Vorfeld war nämlich ein Kärntner von Katharina Nehammer verklagt worden, weil dieser fälschlicherweise behauptet hatte, die Gattin des Innenministers wäre beim Gesichtsmaskenhersteller Hygiene Austria angestellt. Der Unhold war letztlich zu EUR 3.500 verurteilt worden, und dieser Betrag war von all jenen Usern per Post eingefordert worden, die das falsche Posting geteilt hatten.

Frau Nehammer war dabei von Michael Rami rechtsfreundlich vertreten worden. Der Jurist ist neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt auch als Verfassungsrichter beschäftigt.

Kritik am Vorgehen seiner Gattin rechtfertigte Nehammer damals mit dem Hinweis, dass es sich bei ihr „um eine Privatperson handle“.

Die Höhe der Forderungen kommentierte er mit „Das juristische Vorgehen legt der Experte fest, der Rechtsanwalt, es liegt weit unter dem möglichen Strafrahmen, zehn Prozent darunter.“

Neuwahlen oder weiter wurschteln, das ist die Frage

Neben den Glückwünschen an Sebastian Kurz zum mutigen Schritt wurden gestern bereits erste Stimmen laut, die nach Neuwahlen rufen. Die Grünen sehen freilich keinerlei Veranlassung für Veränderungen, was wohl in der Natur der Koalition mit der ÖVP begründet ist.

Die Parteichefin der SPÖ, Pamela Rendi-Wagner, ortet zurecht, dass die ÖVP von einer Krise in die nächste stolpert. Herbert Kickl, Chef der FPÖ, sieht seinen Slogan „Kurz muss weg“ endlich bestätigt, und auch die kleinste Oppositionspartei NEOS ist Neuwahlen gegenüber sehr aufgeschlossen.

Der Ruf nach Neuwahlen wird in den nächsten Tagen sicherlich noch lauter werden, was die türkis-grüne Schicksalsgemeinschaft wohl unbeeindruckt lassen wird. Die türkise ÖVP hat ihren Malermeister verloren und wird sich zu Schwarz zurückbesinnen müssen. Die Grünen haben zwar einen Erfolg mit dem Klimaticket zu verzeichnen, aber schon die Verhinderung des Baus des bereits per Gesetz beschlossenen Lobautunnels durch die grüne Klimaministerin ist sehr umstritten.

Wie weit sich die grünen Verrenkungen betreffend Abschiebungen und sonstiger präkoalitionär gut verkaufter „Werte“ auf das Wahlergebnis auswirken würden, ist nicht eindeutig absehbar. Von einem ähnlichen Ergebnis wie 2019 bis hin zum neuerlichen Abschied aus dem Parlament scheint alles möglich.

Die Zukunft des Sebastian Kurz

Ob der gestrige Abschied von allen politischen Ämtern das letzte Wort war, das Sebastian Kurz auf der Politbühne gesprochen hat, wird wohl davon abhängen, wie es mit der Partei weitergeht. Kann sich die ÖVP von ihrem türkisen Intermezzo lösen und zu einer anständigen, konservativen Partei zurückkehren, so wird Kurz für ein Comeback wohl die neue, alte Parteifarbe sehen, nämlich Schwarz.

Wird man aber weiterhin den türkisen Kurs fahren, Kurz in einigen Monaten von allen Verdächtigungen betreffend Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit reingewaschen und der Termin für die Neuwahl regulär im Jahr 2024 stattfinden, dann besteht durchaus die Möglichkeit, dass der nächste ÖVP-Spitzenkandidat wieder Sebastian Kurz heißt.

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