Unterricht in einer Schule in Deutschland (dpa)
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Sprachliche und kulturelle Unterschiede – ein Hindernis?

Seit Mitte der 1950er Jahren hat Deutschland mithilfe des Anwerbeabkommens zahlreiche Menschen aus dem Ausland für die eigene Gesellschaft gewonnen. Damals ging man noch davon aus, dass diese Menschen nach einer gewissen Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren würden, doch viele sind geblieben. Die meisten haben ihre Familien in die neue Heimat, nach Deutschland, geholt und mit ihnen ein neues Leben aufgebaut.

Sprachbarrieren sowie kulturelle Unterschiede waren lange Zeit in den Augen der „einheimischen“ Bevölkerung ein Hindernis für das Zusammenleben in Deutschland. Dies führte dazu, dass man ausländische Mitbürger teilweise nicht als Teil der deutschen Gesellschaft akzeptieren wollte. Diese Haltung wird leider heute immer noch von einigen Bürgern vertreten.

Sprache – eine Schlüsselfunktion

Die Beherrschung der Zweitsprache – also die Sprache des Landes, in dem man lebt – stellt eine Schlüsselfunktion für die Integration von Migranten dar. Muttersprache und Heimatkultur waren und sind jedoch wohl die stärkste Bindung zu ihren Herkunftsländern. Dies ist für sie jedoch nicht nur emotional betrachtet wichtig, sondern auch für ihre Entwicklung und erfolgreiche Integration. In diesem Zusammenhang appelliert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei seinen Besuchen in Deutschland wie folgt: „Jeder türkischstämmige Mensch in Deutschland muss die deutsche Sprache sehr gut beherrschen. Man sollte sich integrieren, jedoch nicht assimilieren lassen. Niemand sollte in der Lage sein, uns von unserer Kultur loszureißen. Unsere Kinder müssen Deutsch lernen, aber sie müssen erst Türkisch lernen.“

Jahrelang begingen Familien den Fehler, ihre Kinder vor der Muttersprache die Zweitsprache lernen zu lassen, damit sie nicht durch Sprachbarrieren in der Gesellschaft benachteiligt werden. Die Muttersprache war somit meistens eine „nebenbei“ gelernte Sprache. Wie Präsident Erdogan betont, vertreten Wissenschaftler die Ansicht, dass Migrantenkinder unbedingt zuerst die eigene Muttersprache und im Anschluss daran die sogenannte Zweitsprache lernen sollen. Denn die Muttersprache fungiert als wichtigster Baustein für das Erlernen einer neuen Sprache. Nur wer die Muttersprache beherrscht, kann auch die Zweitsprache beherrschen.

Mehrsprachigkeit – eine Brücke zwischen Kulturen und Menschen

In den vergangenen Jahren hat sich die Migra-Community verändert. Der Großteil beherrscht mittlerweile nicht nur die Muttersprache, sondern auch die Zweitsprache. Insbesondere die Bildungslaufbahn der Migranten hat sich stark umgestaltet. Dadurch sind diese nun nicht mehr nur in der Arbeiterklasse vertreten, sondern auch in Führungspositionen, mit akademischen Graden, in Lehrpositionen, im Bundestag und in vielen weiteren hoch anerkannten Bereichen. Denn sie gestalten und prägen jetzt die deutsche Kultur mit.

Menschen, die bilingual und zwischen zwei Kulturen aufgewachsen sind, haben einen gewissen Vorteil, denn sie beherrschen nicht nur die deutsche Sprache, sondern eine weitere sogenannte Fremdsprache, kennen nicht nur die deutsche Kultur, sondern auch ihre Heimatkultur. Dies bedeutet heute, dass sie zwischen Menschen, Kulturen, Gesellschaften und auch zwischen unterschiedlichen Ländern in einer Brückenrolle fungieren. Viele Erfahrungen, die man in der Heimat oder durch die Heimatkultur erworben hat, können in den Diskurs in Deutschland eingebracht werden. Gleiches gilt andersherum.

Allein durch die Kenntnis der Kulturunterschiede lassen sich im Alltag viele Missverständnisse und Probleme verhindern. Ein Beispiel wäre das Jugendamt: Des Öfteren werden auf Seiten des Jugendamts negative Bewertungen von Gutachtern aufgrund von Kulturunterschieden – die dem Gutachter nicht bekannt sind – getroffen, die jetzt durch Menschen, die zwischen zwei Kulturen aufgewachsen sind, verhindert werden können. Auch in der Innen- und Außenpolitik spielt dies eine große Rolle, da dank des Vertrautseins mit der Gegenseite die Kommunikation vereinfacht und die Toleranz dem anderen gegenüber steigen wird. Durch die Rolle der Migranten in der Innenpolitik kann auch die Migrationspolitik des Landes umgestaltet werden.

Abdullah Eren, Vorstand der YTB (Amt für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften), betonte erst kürzlich bei einem Interview, dass die Sprache der Träger der Kultur ist. Wenn wir unsere Sprache verlieren, laufen wir Gefahr, damit auch unsere Kultur und eigene Identität zu verlieren. Daher wird es immer wichtiger, Muttersprache und Heimatkultur zu fördern.

Die wichtige Rolle der Diaspora-Einrichtungen

Insbesondere für die türkischstämmigen Migranten spielen Einrichtungen wie YTB eine große Rolle, gerade für die große Anzahl an jungen Menschen der Diaspora. Diese Einrichtungen agieren nicht nur innerhalb der türkischen Einrichtungen, sondern auch mit Partnerinstitutionen, mit denen in den jeweiligen Ländern gemeinsam Projekte durchgeführt werden, da heute klar ist, dass Migranten in diesen Ländern leben und weiterhin leben werden. Des Weiteren tragen diese Menschen zum Frieden und zur Stabilität der Länder bei, in denen sie leben. Auf der anderen Seite nehmen sie, wie bereits erwähnt, auch aktiv an der Politik, der Wirtschaft, der Arbeitswelt und der Wissenschaft teil und leisten einen Beitrag zur Entwicklung der Beziehungen zwischen den Ländern. Einrichtungen wie YTB führen darüber hinaus Projekte zur Verbesserung des Lebensstandards und des sozialen Lebens dieser Menschen durch. YTB führt im Zusammenhang mit der Muttersprachbarriere Projekte durch, um die Beziehung der türkischstämmigen Migranten zur Türkei und zur türkischen Sprache sowohl im schriftlichen, literarischen als auch mündlichen Ausdruck aufrechtzuerhalten. Damit Muttersprache, Identität, Kultur und Bindung zur Heimat nicht verloren gehen, sollten Institutionen wie YTB weiterhin erhalten und hochgehalten werden. Zudem sollten Migrantenfamilien den Projekten dieser Einrichtungen große Beachtung schenken und sie unterstützen.

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