Wahlkampfplakate werden nach Bundestagswahl in Deutschland entfernt.  (Reuters)
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Die Bundestagswahlen sind vorüber. Wenige Menschen hätten gedacht, dass die Wahlen so knapp für Union und SPD ausfallen würden. Umso schwieriger wird womöglich die Mehrheitsfindung im neuen Bundestag. Zudem steht definitiv fest: Nicht nur, dass das klassische Dreiparteiensystem und ab den 80ern und nach der Wiedervereinigung das Vier- bzw. Fünfparteiensystem vorüber ist, auch die typischen Volksparteien, wie wir sie kannten, gibt es nicht mehr. Als die CDU zwischen den 1950ern und 1990er-Jahren fast immer bei 40 bis 50 Prozent lag und die SPD ebenfalls oft die 40-Prozent-Marke erreichte, schien die politische Welt noch in Ordnung. Die Union hat mit ihrem Stimmenanteil ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren. Auch das Ergebnis der SPD ist eines ihrer miserabelsten Resultate seit 1949. Wie paradox es sich anfühlen mag, dass sich die Genossen über dieses Ergebnis wie die Kinder freuen und es als einen großen Sieg preisen. Beide Parteien, die in der Vergangenheit zusammen manchmal auf fast 80 bis 90 Prozent kamen, bringen es heute gerade noch auf 50 Prozent. Das zeigt, wie sich die politische Landschaft in den letzten Jahren gewandelt hat. Die ehemaligen Volksparteien sind auf Partner angewiesen.

Regierungsbildung könnte Zeit in Anspruch nehmen

Auch die Zeiten, als die FDP mal mit der Union, mal mit der SPD koalierte, sind endgültig vorüber. Nachdem die AfD 2017 erstmals in den Bundestag gelangte, endete die Ära der stabilen Regierungsbildungen. So dauerte die Vereinbarung für die große Koalition nach den Wahlen im September 2017 bis ins nächste Jahr hinein. Die Regierung stand erst im März 2018. Bereits 2013 hatte es nahezu drei Monate gedauert, bis die Koalition stand. Das lag zwar auch an der Mitgliederbefragung der Sozialdemokraten und der anfangs abgebrochenen Gespräche zwischen Union und Grünen. Aber in der Vergangenheit dauerte es bis zu einer Regierungsbildung nicht so lange. Laut Grundgesetz muss der neu gewählte Bundestag spätestens am 30. Tag nach der Wahl zusammenkommen. Eine Frist für die Bildung einer neuen Regierung gibt es allerdings nicht. Bis zur Wahl eines Kanzlers bzw. einer Kanzlerin führt die amtierende Regierungschefin das Amt kommissarisch weiter. Das bedeutet, dass Angela Merkel theoretisch auch noch 2022 unsere Kanzlerin sein könnte, falls bis dahin die Sondierungsgespräche zu keinem endgültigen Ergebnis führen.

Drei Optionen scheinen realistisch

Realistisch erscheinen derzeit drei mögliche Koalitionen: Eine Regierung aus SPD, Grünen und der FDP scheint wahrscheinlich. Ebenso ist die Fortführung der großen Koalition eine mögliche Option. Eine dritte Möglichkeit wäre, wenn sich Union, Grüne und die FDP auf ein Bündnis einigen.

Was vom Wahlkampf in Erinnerung bleibt

Was bleibt vom kuriosen Wahlkampf in Erinnerung? Armin Laschet gelang es, die Union von anfänglich über 30 Prozent auf das historisch schlechteste Ergebnis zu stürzen. Auf der anderen Seite gelang es Olaf Scholz, der seine Partei bei etwa 15 Prozent übernommen hatte, diese auf 25 Prozent zu hieven. Nur wenige hätten noch vor drei Monaten auf Scholz gewettet. Auch ich nicht. Doch womit hat Scholz geglänzt? Mit der Raute von Angela Merkel und damit, dass er pedantisch darauf aus war, nur ja keine Fehler zu machen. Scholz als Merkel-Imitator. Diese Taktik scheint aufgegangen zu sein.

In Erinnerung bleibt zudem der Lacher von Armin Laschet bei den Flutopfern. Das war gewiss ein Fauxpas, der jedem hätte passieren können. Aber bitte keinem Kanzlerkandidaten. Hat der fröhliche Rheinländer denn gar nichts vom ehemaligen Kanzler Gerhard Schröder abgeguckt? Der Kanzlerkandidat der Union fing viel zu spät mit dem Wahlkampf an. Auch war es kein Vorteil, kurz vor knapp noch ein Team von unbekannten Politikern vorzustellen, die in der Öffentlichkeit rüberkamen wie Praktikanten. Von der CSU bzw. ihrem Parteichef Markus Söder bleiben die Sticheleien gegenüber Armin Laschet im Gedächtnis. Mit seinem Verhalten war er für die Union keine große Hilfe. Ganz im Gegenteil: Er war eine Belastung. Manche Journalisten und Kommentatoren benutzten sogar das Wort „Sabotage“, wenn sie über Söders Verhältnis zur CDU berichteten. Bei Annalena Baerbock bleiben die Plagiatsvorwürfe, ihre infantile Art sowie ihre Nähe zu transatlantischen Organisationen im Gedächtnis. Christian Lindner dagegen gab sich Mühe, seriös in Erscheinung zu treten.

Extremistische Parteien verlieren

Die Bundestagswahlen bringen freilich auch gute Nachrichten: Die Wahlbeteiligung ist stabil bei etwa 76 Prozent geblieben. Das ist ein gutes Zeichen für das Vertrauen in die Demokratie und den Willen der Mitgestaltung. Außerdem ist es erfreulich, dass sowohl die AfD auf der extrem rechten als auch die Linke auf der extrem linken Seite Stimmen verloren haben. Das Votum verdeutlicht, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland extremistischen Parteien das Vertrauen entzogen haben und sich immer stärker der Mitte zuwenden. Besonders die Linkspartei mit ihrer offenen Nähe zu Terrororganisationen hat die Quittung für ihre protegierende Haltung gegenüber diesen dubiosen Gruppierungen erhalten, die sie auch noch legalisieren wollte. Und: Hans-Georg Maaßen hat den Einzug in den Bundestag deutlich verpasst. Vielleicht hätte der Ex-Geheimdienstchef für eine andere Partei, mit der er mehr sympathisiert, kandidieren sollen? Man weiß es nicht.

Probleme, die auf Lösungen warten

Was erwartet uns in den kommenden Monaten und Jahren, und wofür braucht es nachhaltige Lösungen? Der Klimawandel beherrscht die Agenda schon länger. Die Corona-Pandemie ist seit zwei Jahren in unserem Leben und soll uns so schnell wie möglich wieder verlassen. Die Solidarität und das Wohlstandsgefälle innerhalb der Gesellschaft zeigen uns, dass wir im sozialen Gefüge unbedingt Auswege benötigen. Die Mietpreisexplosion oder die Immobilienblase, prekäre Verhältnisse von sozial Schwachen und alten Menschen sind nur zwei Probleme, die die kommende Regierung entschärfen muss.

Ende der Ära Merkel?

Angela Merkel wird Deutschland als „Kanzlerin der Mitte“ fehlen. Die 16-jährige Herrschaft der Regierungschefin hat das Land, hat eine ganze Generation von Menschen geprägt. Es war eine Ära. Diese Ära geht jetzt zu Ende. Man kann von einer Zäsur sprechen. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wird Merkel vermissen. Aber wer weiß? Vielleicht bleibt Merkel uns in einem anderen Amt erhalten: Als UNO-Generalsekretärin, als Bundespräsidentin oder als Chefin der Europäischen Kommission. Wird die Ära von Angela Merkel mit dem historischen Desaster der Union enden, oder dürfen sich die Menschen möglicherweise auf eine Zugabe der ersten deutschen Kanzlerin in einem anderen Amt freuen? Wir werden es sehen.

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