Katja Leikert in Berlin im Deutschen Bundestag. Foto: Tobias Koch (Others)
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Am Samstag jährt sich der rassistische Anschlag von Hanau zum zweiten Mal. Ein Rechtsextremist tötete neun Menschen aus rassistischen Motiven. Für die trauernden Angehörigen bleiben viele Fragen unbeantwortet.

Gerade jetzt sei es wichtig, dass „jeder einzelne von uns gegen Hass und Hetze aufsteht“, meint die Hanauer CDU-Abgeordnete Dr. Katja Leikert. Im Gespräch mit TRT Deutsch spricht sie von einer Gefahr für die Demokratie, die von rechtsextremen Gefährdern ausgehe, und fordert Konsequenzen. Der Staat müsse alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ergreifen, um künftige Taten zu verhindern.

Zwei Jahre sind seit dem rassistischen Attentat von Hanau vergangen. Welche Bilanz würden Sie als Hanauer Abgeordnete über die bisherigen Ergebnisse der Aufklärungsarbeit zu der rechtsextremen Tat ziehen?

Noch immer sind viele Fragen rund um die Tatnacht offen, auch, weil es aufgrund des Selbstmords des Attentäters keinen Strafprozess im eigentlichen Sinne gab. Ich kann den Schmerz der Angehörigen verstehen. Ich stehe u.a. in engem Austausch mit der Familie des ermordeten Hamza Kurtović und es zerreißt mir immer wieder das Herz, wenn ich höre, wie die Opferfamilien leiden. Nichts in ihrem Leben ist mehr so, wie es vor dem 19. Februar 2020 war. Darum ist es gut und wichtig, dass der Hessische Landtag einen Untersuchungsausschuss zum Anschlag in Hanau eingerichtet hat. Wir können den Familien ihre Lieben nicht mehr zurückgeben. Aber wir dürfen nichts unversucht lassen, die Tatnacht und die Frage, wie es dazu kommen konnte, soweit wie möglich aufzuklären.

Inwiefern haben die Morde von Hanau Ihrer Meinung nach den Kampf gegen Rechtsextremismus in Deutschland beeinflusst? Welche Wirkung hatten die Morde auf die Gesellschaft und das Zusammenleben – in Hanau vor Ort und in Deutschland insgesamt?

Der Anschlag hat eine Narbe hinterlassen, die niemals ganz verheilen wird. Nach den NSU-Morden, dem Mord an Walter Lübcke und den Anschlag auf eine Synagoge in Halle hat der Terror in Hanau erneut ein grelles Schlaglicht auf die Gefahr von rechts in Deutschland geworfen. In Hanau ist das Attentat auch zwei Jahre später sehr präsent, die Namen der Opfer im Stadtbild an vielen Stellen lesbar. Die gesamte Stadt stand unter Schock. Hanau ist eine bunte, eine multikulturelle Stadt. Das klappt mal besser und mal schlechter. Aber das zeichnet uns aus, dieses Wechselspiel aus Tradition und neuen Einflüssen. Wir leben in unmittelbarer Nachbarschaft zur Metropole Frankfurt, im Herzen von Europa. Wir sind ein starker Wirtschaftsstandort. Das ist auch der Verdienst der so genannten Gastarbeiter. In den ersten Wochen nach der Tat war spürbar, dass die Menschen enger zusammengerückt sind. Aber es gibt auch Gegenstimmen, die sagen „Jetzt reicht es aber mal mit diesem Thema“. Die Stadtgesellschaft zusammenzuhalten, das ist eine Herausforderung.

Im Jahr 2020 setzten Sie sich beim Innenministerium für die Bereitstellung von finanziellen Mitteln in Höhe von über einer Milliarde Euro im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus in den Jahren 2021-2024 ein. Inwiefern können diese Anstrengungen dazu beitragen, künftig Anschläge dieser Art zu verhindern?

Rechtsextreme Gefährder sind kein Einzelphänomen, sondern eine strukturelle Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Aus diesem Grund muss der Staat alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ergreifen, um künftige Taten zu verhindern. Die alte Bundesregierung unter Angela Merkel hat darum auch als Reaktion auf den Anschlag in Hanau rund 90 konkrete Maßnahmen im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus auf den Weg gebracht. Unter anderem wurde die Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden und der Justiz sowie staatlichen und zivilgesellschaftlichen Trägern gestärkt; außerdem wurden Forschung und Prävention intensiviert.

Die Notruf-Problematik, ein verschlossener Notausgang und Teilnehmer rechtsextremer Chats im Einsatzteam der Polizei: Es sind Fragen wie diese, welche die Angehörigen der Opfer noch heute beschäftigen. Wie bewerten Sie diese Aspekte zur Tat?

Ich hoffe, dass so viele Fragen wie möglich im Rahmen des bereits erwähnten Untersuchungsausschusses im Hessischen Landtag aufgeklärt werden. Für die Angehörigen geht es darum, zumindest ein stückweit inneren Frieden zu finden; dafür setze ich mich ein. Gleichzeitig lehne ich es ab, die gesamte Polizei unter Generalverdacht zu stellen, wie es einige Gruppierungen, vornehmlich aus dem extremen linken Milieu, tun. Das entspricht nicht den Tatsachen und ist nicht fair.

Sehen Sie noch viel an Nachholbedarf bezüglich der Maßnahmen, die getroffen werden müssen, damit sich derartige Anschläge in Zukunft nicht wiederholen? Und wo sind aus Ihrer Sicht die dringlichsten Herausforderungen?

Es ist wichtig, dass jeder einzelne von uns gegen Hass und Hetze aufsteht. Wenn wir aktuell sehen, dass Querdenker, Reichsbürger und Impfgegner eine unheilvolle Melange bilden und sich als so genannte „Montagsspaziergänger“ teils mit Holocaust-Opfern vergleichen, dann wird deutlich, dass ein Teil unserer Gesellschaft aus unserer Geschichte offenbar nichts gelernt hat oder nicht lernen will. Hier gilt es mit allen Mitteln des Rechtsstaats gegenzuhalten. Und wir müssen auf allen Ebenen aufmerksamer werden. Der Attentäter von Hanau ist bereits früher auffällig geworden, doch die vielen Puzzleteile wurden nicht richtig zusammengesetzt. Niemand hat ihn aufgehalten.

Vielen Dank für das Gespräch!