New Yorks linkes Experiment – Hoffnung oder Illusion?

In New York wurde mit Zohran Mamdani erstmals ein bekennender Sozialist zum Bürgermeister gewählt. Doch ist dieser Sieg der Beginn eines echten Wandels – oder nur ein symbolischer Protest gegen das politische Establishment?

By Dennis M. Berger
New Yorks linkes Experiment – Hoffnung oder Illusion? / Foto: AP / AP

Überall auf der Welt scheinen die politischen Winde nach rechts zu wehen. In Europa sind rechtspopulistische Parteien längst keine Ausnahme mehr, sondern Teil des neuen Normalzustands. In Frankreich, den Niederlanden, Italien oder Deutschland gewinnen Kandidaten an Unterstützung, die über Migration, Sicherheit und nationale Identität mobilisieren. Auch in den USA ist dieser Trend sichtbar: Donald Trump dominiert erneut die Republikanische Partei, und das Schlagwort „law and order“ ist in den politischen Mainstream zurückgekehrt.

Umso bemerkenswerter ist, was in der vergangenen Woche in New York geschah: In einer Zeit, in der vielerorts konservative Bewegungen erstarken, wählte die liberalste Metropole der USA einen Vertreter der demokratischen Linken zum Bürgermeister – Zohran Kwame Mamdani.

Der Sohn des ugandischen Akademikers Mahmood Mamdani und der indischen Filmregisseurin Mira Nair begann seine politische Laufbahn als Aktivist in den Straßen New Yorks. 2020 zog er in die State Assembly ein, 2025 besiegte er im Vorwahlkampf den altgedienten Andrew Cuomo und gewann anschließend die Bürgermeisterwahl gegen den Republikaner Curtis Sliwa. Damit wurde er der erste indisch-amerikanische und erste muslimische Bürgermeister der Stadt – und zugleich ein Symbol für eine Generation, die nach alternativen Stimmen sucht.

Der Aufstieg des „anderen“ Establishments

Mamdanis Erfolg ist nicht bloß das Resultat persönlicher Ausstrahlung. Seine Kampagne griff Themen auf, die in einer Stadt wie New York längst brennen: steigende Mieten, wachsende Ungleichheit, überlastete Familien und das Gefühl, dass der soziale Aufstieg immer schwerer wird.

Seine Forderungen – kostenlose Busse, öffentliche Kinderbetreuung, kommunale Supermärkte, eingefrorene Mieten in Altbauwohnungen und ein Mindestlohn von 30 Dollar bis 2030 – sprechen gezielt jene an, die sich vom liberal-ökonomischen Kurs der letzten Jahrzehnte abgewendet haben.

Zugleich knüpft Mamdani an eine neue linke Strömung innerhalb der Demokraten an, deren bekannteste Gesichter Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez sind. Doch die entscheidende Frage lautet: Handelt es sich bei diesem Sieg um eine lokale Ausnahme – oder um ein frühes Signal für eine breitere politische Verschiebung?

Globale Parallelen – entgegengesetzte Richtung

Auf den ersten Blick steht Mamdanis Erfolg im Kontrast zur weltweiten Rechtsentwicklung. Doch bei genauerem Hinsehen folgt er einer ähnlichen Logik: In Europa wenden sich viele Wählerinnen und Wähler von etablierten Parteien ab – in New York taten sie dasselbe, nur mit einer anderen politischen Konsequenz.

Während in Europa der Protest oft nach rechts ausschlägt, richtet er sich in Amerikas Großstädten nach links. In beiden Fällen suchen die Menschen nach Alternativen zu einer als starr empfundenen Mitte. Der gemeinsame Nenner ist weniger Ideologie als vielmehr Unzufriedenheit mit einem System, das vielen keine Antworten mehr gibt. Mamdani steht somit zugleich für ein linkes Programm und für eine allgemeine „Anti-Establishment-Stimmung“, die derzeit überall zu spüren ist.

Der neue Ton der amerikanischen Sozialisten

Besonders deutlich wird dieser Bruch am Thema Außenpolitik. Mamdani kritisiert Israels Vorgehen in Gaza offen als „Völkermord“ und fordert, Premierminister Netanjahu müsse sich vor dem Internationalen Strafgericht verantworten. Zudem will er die Steuerbefreiung jener New Yorker Stiftungen aufheben, die mit israelischen Siedlungen wirtschaftlich verflochten sind.

Solche Aussagen gehen weit über den Konsens der Demokratischen Partei hinaus – und spiegeln eine jüngere Generation wider, die soziale Gerechtigkeit, Klima- und Menschenrechtspolitik als zusammenhängende Fragen begreift. Diese Haltung macht Mamdani zu einem Hoffnungsträger für viele junge Sozialisten, aber auch zu einer umstrittenen Figur in der nationalen Politik.

New York als Labor der neuen Sozialisten

New York war stets eine Hochburg der Demokraten, doch die innerparteilichen Linien verlaufen heute anders als früher. Zwischen der liberalen Mitte und der sozial-progressiven Linken vertieft sich die Spaltung. Mamdani repräsentiert eindeutig den zweiten Pol.

Ob seine Agenda über New York hinaus Bestand hat, ist offen. Die Stadt verfügt über ein dichtes soziales Netz, eine starke Gewerkschaftstradition und eine kulturell progressive Bevölkerung – Faktoren, die seine Politik begünstigen. In konservativeren Bundesstaaten hingegen könnten dieselben Ideen rasch auf Widerstand stoßen.

So wird Mamdanis Amtszeit zu einem politischen Experiment: Kann ein Großstadt-Sozialismus funktionieren, ohne Investitionen und Mittelstand zu verprellen? Oder wird der Pragmatismus des Alltags die radikalen Versprechen bald einholen?

Zwischen Hoffnung und Skepsis

Der Wahlsieg Mamdanis trägt symbolische Bedeutung weit über die USA hinaus. Während in Europa rechte Bewegungen an Kraft gewinnen, zeigt New York, dass auch linke Alternativen Zuspruch finden können – wenn sie glaubwürdig und emotional ansprechen.

Doch der Kern des Phänomens bleibt derselbe: Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich von der politischen Mitte nicht mehr vertreten. Sie suchen klare Antworten – auf soziale Ungleichheit, Wohnungsnot, Klimafragen. Mal finden sie diese Antworten bei Populisten rechts, mal bei Idealisten Sozialisten.

Insofern ist Mamdanis Erfolg weniger ein Sieg des Sozialismus als ein Ausdruck der Alternativsuche. Die Menschen wollen Veränderung, nicht unbedingt Ideologie.

Seine Amtszeit, die am 1. Januar 2026 beginnt, wird deshalb zu einem Testfall: Können radikale Reformideen gesellschaftliche Gräben schließen – oder öffnen sie neue? Und wird New York unter Mamdani zum Vorbild für eine erneuerte Linke – oder zur Episode eines kurzen politischen Experiments?