Sarajevo Safari: Wie reiche Ausländer auf bosnische Zivilisten schossen
Während die Welt zusah, wurden bosnische Zivilisten systematisch verfolgt und getötet. Neue Recherchen werfen nun ein verstörendes Licht auf bislang ungeklärte Vorgänge rund um Sarajevo und stellen Europa erneut vor unbequeme Fragen.
Der Bosnienkrieg, der von 1992 bis 1995 mehr als drei Jahre lang andauerte, war eines der brutalsten Beispiele für Völkermord- und ethnische Säuberungsversuche, die Europa im 20. Jahrhundert erlebt hat.
Mehr als drei Jahre lang wurden die Bosniaken im Herzen Europas allein aufgrund ihrer muslimischen Identität und Religion ermordet; sie wurden durch ethnische Säuberungen aus ihrer Heimat vertrieben, in Lagern interniert, systematisch gefoltert, vergewaltigt und massakriert. Internationale Institutionen, Europa und der Westen sahen diesem Grauen und diesen Massakern unter allerlei Vorwänden und politischen Manövern tatenlos zu.
Während des Bosnienkriegs verloren 66.000 Bosniaken ihr Leben, die meisten davon Zivilisten. Beim schwersten Massaker des Krieges, dem Völkermord von Srebrenica, wurden im Juli 1995 innerhalb eines einzigen Tages 8.372 bosniakische Männer ermordet. Während der Belagerung von Sarajevo kamen 11.000 Menschen ums Leben, darunter etwa 5.000 Zivilisten. Serbische Kräfte errichteten Vergewaltigungslager; über 40.000 Frauen wurden in diesen Lagern sexuell missbraucht.
Belohnter Völkermord
Trotz all dieser Menschlichkeits- und Kriegsverbrechen wurden am Ende nur eine Handvoll serbischer Rassisten von internationalen Strafgerichten verurteilt. Das dem Land aufgezwungene Abkommen setzte Täter und Opfer, Unterdrücker und Unterdrückte an denselben Verhandlungstisch und belohnte de facto ethnische Säuberungen und Völkermord.
Bosnien und Herzegowina ist heute ein Staat, der kaum aufrechtzuerhalten ist und dessen komplexe bürokratische Struktur seine Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Die serbische Entität der Konföderation wird von einem rechtsextremen, faschistisch orientierten Politiker geführt, der den Völkermord von Srebrenica leugnet. Miloarad Dodik stützt sich offen auf Wladimir Putin, und nach dem Ende des Ukraine-Krieges erscheint die Republika Srpska als geeigneter Kandidat für eine mögliche Destabilisierung Europas durch Russland.
„Sarajevo Safari“: Der schockierende Verdacht
Es ist schwierig, sich vorzustellen, was während des Bosnienkriegs geschah. Doch je mehr neue Informationen und Dokumente ans Licht kommen, desto deutlicher wird, welchem Ausmaß an Unterdrückung und Grausamkeit die Bosniaken mehr als drei Jahre lang ausgeliefert waren.
Dieses große Grauen beinhaltete auch systematischen und angsteinflößenden Scharfschützenbeschuss, der eine der brutalsten Methoden der Belagerung von Sarajevo war. Laut verlässlichen Statistiken töteten Scharfschützen zwischen dem 10. September 1992 und dem 10. August 1994 mindestens 253 Zivilisten und verletzten 1.296 weitere; unter den Toten befanden sich mehr als 60 Kinder.
Während des Krieges gab es Gerüchte, dass wohlhabende Personen, insbesondere aus West- und Osteuropa, Geld dafür bezahlten, nach Sarajevo zu reisen, um dort Zivilisten durch Scharfschützenbeschuss zu töten. Doch diese Gerüchte ließen sich nicht belegen – bis 2022 ein Dokumentarfilm zu diesem Thema veröffentlicht wurde.
200 Täter – und kaum Aufklärung
Auf Grundlage der Zeugenaussagen im Dokumentarfilm Sarajevo Safari und der Recherchen des italienischen Journalisten Ezio Gavazzeni leitete die Staatsanwaltschaft in Mailand Ermittlungen ein. Es geht um den Verdacht, dass während der Belagerung von Sarajevo neben italienischen Staatsbürgern auch reiche Personen aus den USA, Kanada, Russland, Deutschland, Österreich, Frankreich, Großbritannien und anderen westlichen Ländern an sogenannten „Scharfschützen-Touren“ teilgenommen haben – einem zutiefst unmenschlichen, sadistischen „Tourismus“.
Die im Film erhobenen Vorwürfe stützen sich auf drei gewichtige Zeugen:
1. Einen slowenischen Agenten, der vermutlich für den US-Geheimdienst arbeitete und diese Touren aus nächster Nähe beobachtete. Er schätzt, dass zwischen 1992 und 1994 rund 200 Personen an dieser grausamen Form des „Safari-Tourismus“ teilgenommen haben.
2. Einen bosniakischen Geheimdienstmitarbeiter, der während des Krieges Informationen über diese „Menschen-Safaris“ von einem serbischen Kriegsgefangenen erhielt.
3. Einen US-Marineinfanteristen, der als Teil der UN-Friedenstruppen in Sarajevo stationiert war.
Europa muss handeln
Nach den Ermittlungen zahlten diese „Menschenjäger“ hohe Summen an serbische Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter, reisten aus verschiedenen europäischen Ländern zunächst nach Belgrad und wurden von dort per Hubschrauber oder Bus in die Hügel über Sarajevo gebracht, wo sie an Scharfschützenangriffen auf Zivilisten teilnahmen. Besonders abscheulich: Wer Kinder erschoss, zahlte sogar höhere Beträge.
Daher müssen die Regierungen Italiens, der USA, Kanadas, Russlands, Deutschlands, Österreichs, Frankreichs und Großbritanniens unverzüglich Untersuchungskommissionen einsetzen, die Täter identifizieren und – falls Bürger anderer Länder ermittelt werden – diese Informationen den jeweiligen Staaten und der Öffentlichkeit mitteilen.
Zudem müssen diese Untersuchungskommissionen sicherstellen, dass die identifizierten Personen vor Gericht gestellt und mit den schwerstmöglichen Strafen belegt werden. Etwa 200 Täter bewegen sich bis heute frei – und niemand weiß, an welchen weiteren Verbrechen sie beteiligt waren oder welche unschuldigen Menschen sie als Nächstes ins Visier nehmen könnten.