Was die Russland-Reisen über die AfD und Deutschlands Außenpolitik verraten

Die jüngsten AfD-Reisen nach Russland wirken weit über symbolische Gesten hinaus: Sie bedienen Kreml-Interessen, bergen sicherheitspolitische Risiken und senden ein heikles Signal an Deutschlands Partner.

By Yunus Mazı
Was die Russland-Reisen über die AfD und Deutschlands Außenpolitik verraten / Foto: TRT Deutsch / TRT Deutsch

Während Russland seinen Krieg gegen die Ukraine fortsetzt und Deutschland zu den wichtigsten Unterstützern Kiews zählt, öffnet sich innerhalb der AfD ein neuer politischer Riss. Mehrere AfD-Politiker sind in den vergangenen Wochen zu politischen Veranstaltungen nach Russland gereist – zu einem Zeitpunkt, in dem der Kreml westliche Akteure systematisch als Feinde markiert, die Ukraine militärisch angreift und die europäische Ordnung infrage stellt.

Die Reisen wirken deshalb nicht nur wie eine außenpolitische Provokation, sondern offenbaren eine tieferliegende strategische Auseinandersetzung innerhalb der AfD: Zwischen jenen, die Nähe zu Moskau als ideologisches Projekt begreifen, und denen, die das außenpolitische Image der Partei nicht weiter beschädigen wollen.

Russlandreisen als Teil einer größeren Kreml-Strategie

Die jüngsten AfD-Reisen nach Moskau sind weit mehr als harmlose Einzelaktionen. Sie passen – wie Politikwissenschaftler Dr. David Campbell im Gespräch mit TRT Deutsch betont – in ein seit Jahren verfolgtes Muster russischer Außenpolitik: Moskau sucht gezielt den Schulterschluss mit europakritischen, nationalistischen und rechtspopulistischen Parteien. In Italien, Frankreich und Österreich hat Moskau ähnliche Netzwerke aufgebaut – oft mit politischer, medialer und manchmal sogar finanzieller Unterstützung. „Das ist eine bewusste Strategie des Kreml“, so Campbell, um Parteien zu stärken, die die europäische Einigkeit infrage stellen.

Auch der freie Journalist und Russlandexperte Roland Bathon widerspricht gegenüber TRT Deutsch der Darstellung der AfD, es handle sich um „Friedensmissionen“. Die Abgeordneten seien nicht zu Verhandlungen gereist, sondern hätten an einem Symposium teilgenommen, das von der Kremlpartei „Einiges Russland“ mitorganisiert wurde – und damit bewusst ein propagandistisch aufgeladenes Format aufgewertet. Diese Präsenz westlicher Gäste sei für Moskau „eine willkommene Aufwertung“ einer Veranstaltung, deren Zweck klar propagandistisch sei. Damit wird sichtbar: Die AfD fungiert nicht als neutrale Beobachterin, sondern als politischer Verstärker russischer außenpolitischer Linien.

An dieser Stelle wird ein Problem deutlich: Die AfD wirkt im außenpolitischen Raum zunehmend wie ein unkoordinierter Akteur, der aus Opposition heraus handelt, ohne sicherheitspolitische Risiken und symbolische Effekte mitzudenken. Die Reisen werden in Moskau dankbar aufgegriffen – und im deutschen Diskurs als weiterer Beleg dafür gelesen, dass Teile der AfD bereit sind, in einem geopolitischen Konflikt die Perspektive des Aggressors zu übernehmen.

Eine Partei im Konflikt: Ideologen gegen Machtstrategen

Die Russlandfrage ist für die AfD längst zu einem internen Machtkampf geworden. Campbell erklärt, dass die ideologische Nähe zu Russland – verbunden mit nationaler Souveränitätsrhetorik, Skepsis gegenüber der liberalen Demokratie und Distanz zu EU und NATO – im rechtspopulistischen Lager weit verbreitet ist. Die AfD bilde hier keine Ausnahme, sondern habe sich in den vergangenen Jahren zunehmend in eine nationalistische Oppositionsrolle manövriert, die in Teilen Anschluss an russische Positionen sucht.

Bathon macht diese Trennung noch deutlicher: Die jüngsten Reiseteilnehmer stammen überwiegend aus dem stark ideologisierten, rechtsextremen Flügel der Partei. Figuren wie Steffen Kotré oder Jörg Urban repräsentieren jene Strömung, die eine klare Distanz zum westlichen Bündnissystem pflegt und eine ideologische Nähe zu autoritären Modellen in Russland sucht. Bathon sagte gegenüber TRT Deutsch: „Das sind wirkliche Rechtsextremisten innerhalb der AfD (…) die weniger pragmatischen, die ideologischen, die wirklich rechtsextremen Leute, die sind diejenigen, die die Reise nach Russland unterstützen.“

Auffällig sei zudem, so Bathon, dass ausgerechnet einer der profiliertesten Russlandkenner der Partei, Rainer Rothfuß – politisch deutlich gemäßigter als die übrigen Teilnehmer –, seine Teilnahme abgesagt habe, während radikalere Akteure die Reise antraten.

Auf der anderen Seite steht Alice Weidel. Beide Experten sehen in ihr die Vertreterin eines strategisch moderateren Lagers, das um die Regierungsfähigkeit der Partei bemüht ist. Campbell deutet an, dass Weidel bereits in Szenarien einer möglichen Regierungsbeteiligung denkt, weshalb sie darauf achtet, nicht als „Putin-nahe“ wahrgenommen zu werden. Ihre ablehnenden Äußerungen zu den Russlandreisen seien weniger Ausdruck inhaltlicher Differenzen mit der Partei als ein Versuch, das außenpolitische Image der AfD zu kontrollieren. Damit prallen zwei Logiken aufeinander: die ideologische Russlandromantik des Ostflügels und die machtpolitische Kalkulation der Parteispitze.

Folgen für Sicherheitspolitik und Deutschlands außenpolitische Geschlossenheit

Jenseits parteipolitischer Dynamiken werfen die Reisen sicherheitspolitische Fragen auf. Bathon weist darauf hin, dass Abgeordnete stets Zugang zu sensiblen Informationen haben – und während eines Aufenthalts in Russland grundsätzlich unter Beobachtung des russischen Inlandgeheimdienstes stehen. Schon unvorsichtige digitale Kommunikation könne ein Risiko darstellen. Das Problem sei nicht die Reise an sich, sondern die naive Bereitschaft, sich in propagandistische Formate einzubinden, ohne auf die eigene Verwundbarkeit zu achten.

Außenpolitisch erzeugen die Reisen ein doppeltes Signal. Einerseits suggerieren sie dem Ausland – insbesondere der EU und den USA –, dass die größte Oppositionspartei Deutschlands bereit ist, zentrale Linien der deutschen Außenpolitik infrage zu stellen. Campbell warnt, dass andere Staaten bereits jetzt genau beobachten, ob Deutschland langfristig verlässlich bleibt, zumal die AfD in Umfragen stark ist. Eine Partei, die sich nicht eindeutig von autoritären Regimen distanziert, könne in Zukunft die außenpolitische Position Deutschlands schwächen.

Andererseits unterminiert die AfD symbolisch den westlichen Konsens gegenüber Russland. Zwar ist auch innerhalb der SPD oder Grünen eine Debatte über Diplomatie und Verhandlungsoptionen im Gange – doch, wie Bathon betont, existiert dort trotzdem eine Grundlinie: Russland bleibt der Aggressor. Bei der AfD hingegen fehle oft selbst diese Basis. Die Forderung nach sofortigem Stopp aller Sanktionen und Waffenlieferungen markiere eine strukturelle Nähe zu russischen Kriegszielen. Damit durchbricht die AfD jene „relative Geschlossenheit“, die westliche Demokratien im Umgang mit Moskau bislang aufrechterhalten.

Außenpolitische Unklarheit als Gefahr

Die Russlandreisen der AfD-Politiker sind nicht bloß unbedachte Symbolpolitik. Sie verstärken eine gezielte Einflussstrategie Moskaus, verschärfen interne Konfliktlinien in der AfD und werfen sicherheitspolitische wie außenpolitische Risiken für Deutschland auf. Während der ideologische Flügel der AfD Russland als identitären Bezugspunkt begreift, will die Parteispitze verhindern, dass das Bild einer „Putin-Partei“ eine mögliche Regierungsbeteiligung zerstört.

Für Deutschland bedeutet das eine neue Herausforderung: Eine mögliche Regierungspartei, deren außenpolitische Orientierung zwischen ideologischer Moskau-Nähe und taktischer Distanz oszilliert – in Zeiten, in denen außenpolitische Klarheit selten so notwendig war wie heute.