Schwarz-Rot in der Krise: Wie lange hält die Koalition noch durch?

Die Bundesregierung verfällt in alte Muster der gescheiterten Ampelkoalition. Statt dem erhofften „Herbst der Reformen“ brechen immer neue Grabenkämpfe aus. Könnte jetzt sogar die Koalition kippen?

By Yasin Baş
Schwarz-Rot in der Krise: Wie lange hält die Koalition noch durch? / Foto: AP / AP

Es ist ein Bild, das inzwischen beinahe vertraut wirkt: Der Bundeskanzler im Krisenmodus, zerrissen zwischen den Erwartungen der eigenen Partei und den Zwängen des Koalitionsvertrags. Friedrich Merz, der vor kurzem erst 70 geworden ist und einst als starker Mann gefeiert wurde, wirkt wie gefangen im Gestrüpp politischer Kompromisse. Die jüngste Auseinandersetzung um das Rentenpaket hat die strukturellen Schwächen einer Koalition offengelegt, die von Anfang an unter Spannung stand.

Die Gretchenfrage der Rentenpolitik

Der aktuelle Konflikt um die Rentenpolitik ist symptomatisch für die tiefere Krise dieser Koalition. Es geht hier um mehr als nur Prozentpunkte: Es geht um die Glaubwürdigkeit des Generationenvertrags. Die 18 jungen Unionsabgeordneten, die sich weigern, dem Rentenpaket in seiner jetzigen Form zuzustimmen, haben einen Nerv getroffen. Ihre Argumentation ist nicht von der Hand zu weisen: Die Festlegung des Rentenniveaus über 2031 hinaus bei gleichzeitig fehlender Finanzierungsstrategie ist ein Spiel mit dem Feuer zukünftiger Generationen. Mit einer Mehrheit von nur zwölf Stimmen kann sich die Koalition eine Rebellion dieser Jungpolitiker allerdings nicht leisten.

Zustimmungswerte im Keller

Betrachtet man die Landschaft der Konflikte, die diese Koalition durchziehen, so erkennt man ein Muster der systemischen Überforderung. Es sind nicht nur die Renten, die das Bündnis belasten. Der Streit um die neue Wehrpflicht offenbarte ebenso fundamentale Differenzen in der Sicherheitspolitik. Die Diskussion nach der Syrienreise des Außenministers und die mögliche Rückführung der Geflüchteten dorthin zeigt zudem weitere Gräben in der Außen- und Migrationspolitik. Jedes dieser Themen besitzt das Potenzial, die Koalition zu sprengen, und doch häufen sie sich in beunruhigender Geschwindigkeit. Statt einem „Reformherbst“, wie ihn der Kanzler schon zu Beginn seiner Amtszeit versprach, sehen wir nur noch Streit, Meinungsverschiedenheiten oder Drohungen, Parlamentsbeschlüsse zu torpedieren. Das gibt kein gutes Bild ab. Dass die Zustimmungswerte für die Bundesregierung schlechter denn je sind, mag vor diesem Hintergrund niemanden mehr überraschen. In einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Insa äußerten sich 67 Prozent der Teilnehmenden erst kürzlich unzufrieden mit der Regierungsarbeit. Nur noch 22 Prozent bekundeten eine positive Sicht auf das Handeln der schwarz-roten Koalition.

Die Presse zeichnet verschiedene Bilder des möglichen Koalitionsendes. Beispielsweise weist die Journalistin Sinem Koyuncu auf vier Eskalationsstufen hin: von der Diskussion um die Zukunft von Außenminister Johan Wadepuhl (CDU) nach seinem Syrienbesuch („Minister auf Bewährung“) über den Streit um die Wehrpflicht bis hin zur migrationspolitischen Zerreißprobe. Jedes dieser Themen könnte das schon jetzt fragile Bündnis zum Einsturz bringen.

Besonders bemerkenswert ist die zunehmend offen geführte Diskussion über eine Minderheitsregierung. Während durchaus pragmatische Überlegungen angestellt werden, wird auf die Normalität von Minderheitsregierungen in skandinavischen Ländern verwiesen. Experten warnen jedoch vor den Gefahren solcher Experimente für die deutsche Demokratie.

Die eigentliche Krise

Doch die eigentliche Krise dieser Koalition liegt tiefer. Es ist, wie Eva Quadbeck nachdrücklich feststellt, die „Zukunftsvergessenheit“ einer Politik, die so tut, „als gäbe es keine Wirtschaftskrise, als wären die Staats- und Sozialkassen prall gefüllt, als gäbe es keinen demografischen Wandel“. Diese Realitätsverweigerung ist kein Alleinstellungsmerkmal von Schwarz-Rot, aber in dieser Konstellation besonders folgenschwer.

Die SPD, die sich geschwächt auf ein historisches Tief von 14 bis 15 Prozent in den Umfragen sieht, kann sich keine großen Sprünge leisten. Die Union, zerrissen zwischen wirtschaftsliberalen und sozialen Flügeln, findet keine klare Linie. Und die CSU, immer bereit, ihre regionalen Interessen als nationale anzupreisen, trägt durch Paradeprojekte wie die Ausweitung der Mütterrente zur finanziellen Schieflage bei. Zudem stellte sich der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder erst vor wenigen Tagen bei der Vorstandsklausur in München auf die Seite der Jungen in der Union und zwang den Kanzler zu einem Rentenkompromiss mit dieser Gruppe. Manche sagen sogar, er führe sich als „Patron“ der „Jungen Gruppe“ in der Unionsfraktion auf.

In den deutschen Medien wird auch über eine sogenannte „Merz-Treibjagd“ gesprochen. Getrieben von innerparteilichen Gegnern, verprellten Koalitionspartnern und einer aggressiven Opposition, wird der Kanzler zum „Prügelknaben“. Sein mächtigstes Amt, so Altenbockum, schütze ihn nicht mehr, selbst die Richtlinienkompetenz verliert ihre Wirkung. Vor diesem Hintergrund gewinnt ein scheinbar undenkbares Szenario an Kontur: Wird Friedrich Merz am Ende doch die Vertrauensfrage stellen müssen? Die offizielle Dementierung wirkt vor dieser Lage immer hohler.

Das Kommunikationsdesaster

Was außerdem hinzukommt, ist ein beunruhigendes Versagen in der politischen Kommunikation dieser Regierung. Anstatt geschlossen aufzutreten, liefert sich die Koalition öffentliche Grabenkämpfe, die beim Wähler den Eindruck von Handlungsunfähigkeit verstärken. Die Debatte um das sogenannte „Stadtbild“ ist dafür ein gutes Beispiel. Wir sehen eine Selbstbeschäftigung der Politik, während die eigentlichen Probleme des Landes ungelöst bleiben. Nun hat sich auch der frühere Bundespräsident Christian Wulff in die Debatte eingeschaltet. Er kritisierte Merz‘ Stadtbild-Äußerung und hielt sie für „absolut missglückt“.

Politische Führung zeigt sich allerdings nicht in der Inszenierung von Konflikten, sondern in ihrer Überwindung. Doch genau daran mangelt es dieser Koalition anscheinend. Statt Lösungen zu präsentieren, werden Positionen ausgetauscht, statt zu führen, wird verwaltet.

Was bleibt?

Kann diese Koalition bis 2029 durchhalten? Die Antwort ist ein vorsichtiges „Vielleicht“ – nicht aus Überzeugung, sondern aus Mangel an Alternativen. Wie mehrere Analysten richtig feststellen, wäre eine Minderheitsregierung der Union aufgrund der aktuellen Kräfteverhältnisse im Bundestag auf die Tolerierung durch die AfD oder andere Randparteien angewiesen. Dies wäre ein Tabubruch, der die Union strapazieren, wenn nicht gar zerreißen würde.

Die eigentliche Frage ist jedoch nicht, ob Schwarz-Rot bis zum Ende der Legislaturperiode durchhält, sondern ob es dieser Koalition gelingt, in der verbleibenden Zeit die wesentlichen Weichenstellungen für die Zukunft dieses Landes vorzunehmen. Bisher sieht es danach nicht aus. Deshalb wird die Koalition spätestens in den ersten Monaten des neuen Jahres klare Ergebnisse vorweisen müssen. Die wirtschaftlichen Herausforderungen, die demografische Entwicklung, die Klimapolitik und die Wehrtüchtigkeit, die notwendige Transformation von Industrie und Energiesystemen, all diese Themen erfordern mutige Entscheidungen, zu denen diese Koalition bisher noch nicht fähig schien. Stattdessen dominiert das Klein-Klein, das taktische Manövrieren, die Furcht vor der nächsten Umfrage.

Die Kunst des Politischen liegt nicht im Überleben, sondern im Gestalten. Bisher aber scheint die schwarz-rote Koalition mehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt zu sein als mit der Gestaltung der Zukunft. Das ist die eigentliche Tragödie und die Gefahr für unsere Demokratie. Denn am Ende gefährdet nicht nur die AfD die Demokratie, sondern die Unfähigkeit der demokratischen Kräfte, Lösungen für die drängenden Probleme zu finden. Die Rentenpolitik ist nur das aktuelle Beispiel für diese Herausforderung. Wenn Schwarz-Rot scheitert, dann nicht an den 18 rebellierenden Jungabgeordneten, sondern an seiner eigenen Mut- und Tatenlosigkeit.

Die historische Chance dieser Koalition lag darin, die Gräben zu überwinden, die sich in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft aufgetan haben. Stattdessen vertieft sie sie durch ihr Zögern, ihr Taktieren, ihr fehlendes Zukunftsbild. Das ist das eigentliche Dilemma.