AfD: Zwischen innerer Radikalisierung und außenpolitischer Abkehr
Die AfD verschiebt mit provokanter Rhetorik und russlandfreundlichen Positionen die politischen Linien in Deutschland. Sie stellt zentrale Grundsätze deutscher Innen- und Außenpolitik infrage und formt ein alternatives nationales Selbstbild.
Die Alternative für Deutschland (AfD) hat sich seit ihrer Gründung 2013 zu einer politischen Kraft entwickelt, die die Agenda in Deutschland mitbestimmt und andere Parteien zu programmatischen Anpassungen verleitet. Das hat die politische Kultur verändert und zu einem Rechtsruck geführt.
Ohne selbst an Regierungen beteiligt zu sein, prägt die AfD durch konfrontative Rhetorik innenpolitische Debatten, mobilisiert eine vielschichtige Wählerbasis und fordert das strategische Selbstverständnis Deutschlands heraus. In Fragen der Migration, inneren Sicherheit und Identitätspolitik attackiert sie die Positionen der Mitte. In der Russland-, NATO- und EU-Politik stellt sie das Paradigma der Westbindung und die bisherigen Grundsätze deutscher Außenpolitik infrage.
Innenpolitische Strategie und Wählerbasis
Die AfD inszeniert sich als Anwalt der Unzufriedenen und Gegner einer „entgrenzten" Migrationspolitik. Sie operiert mit Parolen, Vereinfachungen und gezielten Provokationen, um Themen zu emotionalisieren und die Gesellschaft zu spalten. Gleichzeitig betont sie ihre „Normalität", um für breitere Schichten wählbar zu sein. Ihr Narrativ lebt von der Positionierung gegen das „Establishment", dem Angriff auf liberale Gesellschaftsvorstellungen und verbalen Grenzüberschreitungen, die später relativiert werden – eine erfolgreiche Strategie in der Aufmerksamkeitsökonomie und den sozialen Medien.
Insbesondere in Ostdeutschland gelingt es der AfD, Opfererzählungen, Abstiegsängste und Misstrauen gegenüber Eliten politisch zu nutzen. Diskreditierende Begriffe wie „Alt- oder Systemparteien", „Meinungsdiktatur" und „Remigrationspolitik" verschärfen den Ton, verändern das politische Vokabular und dienen der Mobilisierung der eigenen Klientel.
Die heterogene Wählerbasis geht inzwischen über das Spektrum von globalisierungskritischen Wählern über enttäuschte Konservative oder Anhänger autoritärer Phantasien hinaus. Die AfD profitiert dabei bislang von ihrer Fähigkeit, soziale und kulturelle Konfliktthemen zu verschmelzen, zu emotionalisieren und eine einheitliche Protestidentität zu formen. Ihre Strategie basiert auf permanenter Provokation und der Behauptung eines Gegenentwurfs zur angeblich „korrumpierten" Eliten-Politik – ohne selbst konkrete Lösungen anzubieten.
Außenpolitische Perspektive: Russland, NATO und die EU
Besonders markant ist die außenpolitische Positionierung der AfD. Sie stellt sich gegen die Sanktionspolitik gegenüber Russland, fordert die Wiederaufnahme wirtschaftlicher Beziehungen und lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Den Krieg deklariert sie als Stellvertreterkonflikt, in dem Deutschland keine direkte Verantwortung trage und daher auch nicht zahlen solle. Die AfD interpretiert den russischen Angriffskrieg als Folge einer „Eskalationspolitik des Westens" und fordert diplomatischen Ausgleich auf Augenhöhe mit Moskau, dessen Positionen sie häufig explizit teilt.
Dies steht in klarem Gegensatz zum deutschen außenpolitischen Konsens der festen NATO- und EU-Anbindung. Die AfD argumentiert, deutsche Interessen seien nicht deckungsgleich mit denen der USA oder EU; nationale Souveränität müsse wieder im Zentrum stehen. Sie will Deutschland als „Mittler" zwischen Ost und West etablieren.
Die NATO-Kritik bedient anti-amerikanische Ressentiments und reicht von der Ablehnung „ausländischer Kriege" bis zum Vorwurf, Europa sei Befehlsempfänger der USA. Gleichzeitig finden sich in der AfD zahlreiche Trump-Bewunderer, was zu innerparteilichen Widersprüchen und kommunikativen Kapriolen führt.
Zur EU vertritt die AfD eine agitatorisch-vereinfachende Position: Sie behauptet, die EU-Mitgliedschaft schade Deutschland mehr als sie nützt. Nach dem Brexit-Debakel wird zwar kein „Dexit" mehr gefordert, aber das Ende der Nettozahlerposition und eine massive Zurückdrängung gemeinschaftlicher Kompetenzen zugunsten einer „Gemeinschaft souveräner Nationalstaaten" – ohne zu benennen, was das heißt und wie dies funktionieren soll.
Russlandpolitik als strategisches Narrativ
Das russlandfreundliche Auftreten ist Teil eines breiteren Narrativs gegen die etablierte deutsche Außenpolitik. Die AfD nutzt die Russlandfrage, um Kritik an der angeblichen „Vasallentreue" gegenüber den USA zu bündeln und die Diskrepanz zwischen westlichen Werteargumenten und angeblich vernachlässigten deutschen Interessen zu betonen. Sie mobilisiert gezielt Ressentiments gegen Multilateralismus und bietet ein identitätsstiftendes Narrativ nationaler Selbstbehauptung, ähnlich der Rhetorik der MAGA-Bewegung und ihrer diversen national-populistischen Varianten in anderen Ländern.
Mit dieser Strategie steht die AfD nicht allein: Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und Teile der Linken vertreten ebenfalls russlandfreundliche Positionen und fordern ein Ende der Sanktionen. Die ideologischen Hintergründe unterscheiden sich jedoch: Das BSW agiert aus einer Tradition der deutsch-sowjetischen Freundschaft und wirtschaftspolitischer Ablehnung westlicher Interventionen heraus und paart dies mit ausländerfeindlichen Ressentiments und einer national-konservativen Identitätskultur, während die internationalistische Linke eine anti-imperialistische und -kapitalistische Linie verfolgt, die die Schuld für Konflikte zumeist auf die USA projiziert.
Diese inhaltliche Nähe führt dazu, dass die Russlandpolitik Teil einer breiteren gesellschaftlichen Debatte wird mit der AfD als die große Bundestagspartei, die russische Narrative offensiv bis in die Landespolitik verteidigt.
Politischer Ausblick
Die russlandfreundliche Außenpolitik ist für die AfD Ankerpunkt eines alternativen politischen Selbstverständnisses und Katalysator ihrer innenpolitischen Opposition. Sie koppelt die Kritik an Deutschland als „Kriegstreiber" mit genereller Skepsis gegenüber Internationalismus. Russlands Rolle als „Gegengewicht" dient als Projektionsfläche für den Wunsch nach nationaler Erneuerung und einer eurasischen Zukunftsphantasie.
Gleichzeitig führt die Annäherung an Moskau zu Konflikten – innerparteilich und mit anderen Protestbewegungen. Die AfD riskiert, sich zum Sprachrohr russischer Interessen zu machen und die außenpolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands zu polarisieren. Das erklärt die klare Absage der Vorsitzenden Alice Weidel an Russlandreisen ihrer Parteimitglieder.
Dass sich solche Positionen auch im BSW und bei der Linken finden, ist weniger eine Konkurrenz für die AfD als ein dynamisierender Faktor: Die Russlandpolitik wird Teil einer verschärften gesellschaftlichen Debatte über Deutschlands Rolle in der Welt. Und das in einer Zeit, in der hybride Angriffe auf kritische Infrastruktur, Cyberattacken und Fake News Kampagnen täglich die Nachrichten bestimmen.
Fest steht: Die AfD bleibt eine Kraft, die die Grundkoordinaten deutscher Politik und das Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft prinzipiell herausfordert. Ihr geopolitischer Kurs steht exemplarisch für neue Bruchlinien im politischen System – mit Russland als Dreh- und Angelpunkt. Wie der jüngste Wahlsieg pro-europäischer Kräfte in den Niederlanden zeigt, ist der Aufstieg rechter Populisten kein unaufhaltsamer Trend. Die Frage, wie Deutschland auf diese Herausforderung reagiert, wird die Debatte um die Zukunft der Republik und Europas nachhaltig prägen.