Schutz des Völkerrechts: Österreichs Palästina-Politik und seine Verantwortung

Israel zerstört nicht nur Gaza, sondern die Glaubwürdigkeit der gesamten internationalen Ordnung. Wer jetzt noch schweigt, macht sich mitschuldig – auch Österreich. Neutralität darf kein Deckmantel für Feigheit sein.

By Prof. Dr. Enes Bayraklı
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Israel betreibt unbestreitbar einen Völkermord an den Palästinensern. Regierungsvertreter haben wiederholt offenbart, in Gaza eine ethnische Säuberung anzustreben — Worte, die sich tagtäglich in brutaler Gewalt und systematischen Verstößen gegen Völkerrecht und Kriegsrecht niederschlagen. Nicht nur die palästinensische Zivilbevölkerung wird vernichtet; durch Bombardierung von Krankenhäusern, Gotteshäusern, Friedhöfen, die Tötung internationaler Helfer und Journalisten sowie die Zerstörung ganzer Stadtteile wird zugleich die internationale Rechtsordnung beschädigt. Fast 80 Prozent der Opfer sind Frauen, Kinder und Säuglinge; mehr als 200 Journalist:innen wurden getötet — Zahlen, die das Ausmaß dieses Verbrechens belegen.

Vor einigen Tagen zeigte sich dies deutlich, als die Generalversammlung der Vereinten Nationen während der Rede Netanjahus nahezu leer war. Dass die Vertreter der UN-Mitgliedsstaaten den Saal verließen, ist nicht nur eine Reaktion auf die von Israel verübten Massaker, sondern hat noch eine weitere Bedeutung: Israel selbst entleert mit diesen Handlungen die Vereinten Nationen und macht sie funktionsunfähig. Damit ist nicht nur die Glaubwürdigkeit Israels verloren, sondern auch die Funktionsfähigkeit des multilateralen Systems in Gefahr.

Folglich haben die UN-Mitgliedsstaaten mit diesem Protest sehr klar gezeigt, dass sie gleichzeitig die Vereinten Nationen, die internationalen Normen, das Völkerrecht und die Institutionen verteidigen. Es ist ein Akt der Solidarität nicht nur mit Palästina, sondern mit der Idee einer regelbasierten internationalen Ordnung.

Heute gibt es keinerlei rechtfertigenden, legitimen oder ethischen Grund mehr, einen solchen Staat wirtschaftlich, militärisch oder diplomatisch zu unterstützen und Palästina nicht anzuerkennen. Im Gegenteil: Staaten, die Israel weiterhin in dieser Form unterstützen, werden juristisch und politisch zu Mittätern des Verbrechens des Völkermords und der ethnischen Säuberung. „Mitschuld ist auch Schuld“ – wer schweigt oder passiv bleibt, trägt Verantwortung.

Österreich am Scheideweg der Geschichte

Deshalb sehen wir, dass viele Staaten, die in der Vergangenheit gezögert hatten, Palästina anzuerkennen, inzwischen die Anerkennung des Staates Palästina verkündet haben. Heute haben mehr als 150 UN-Mitgliedsstaaten – also rund 80 Prozent aller Mitgliedsstaaten – den Staat Palästina anerkannt. Der Trend geht klar in Richtung Anerkennung, und je länger Österreich zögert, desto mehr riskiert es, auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen.

In diesem Zusammenhang muss auch Österreich den Staat Palästina so bald wie möglich anerkennen. Für den österreichischen Staat ist dies vor der Menschheit und vor der Geschichte eine moralische Verpflichtung. Gerade Österreich, das sich gern als neutrales Land und Brückenbauer zwischen Ost und West versteht, kann sich nicht länger der Verantwortung entziehen. Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit, sondern aktives Eintreten für das Völkerrecht.

Denn Österreich ist als neutrales Land auch Gastgeber internationaler Institutionen wie den Vereinten Nationen und der OSZE. Wien ist ein Ort, an dem internationale Verhandlungen stattfinden und an dem Diplomatie gelebt wird. Den Schutz des Völkerrechts, der Normen und der Institutionen muss daher auch Österreich als Priorität betrachten. Wenn es in Wien Konferenzen zum Frieden gibt, dann darf Österreich nicht gleichzeitig einem Apartheid-Staat den Rücken stärken.

„Die Zeit des Redens ist vorbei, es ist Zeit zu handeln“

Aus diesem Grund haben im August führende aktive und pensionierte österreichische Diplomaten in einem gemeinsamen Aufruf die Regierung aufgefordert, ernsthafte Sanktionen gegen Israel einzuleiten. Sie erklärten: „Die Zeit des Redens ist vorbei, es ist Zeit zu handeln.“ Dieser Aufruf ist beispiellos in der österreichischen Diplomatiegeschichte und zeigt, wie groß die Sorge über Israels Politik mittlerweile selbst im außenpolitischen Establishment ist.

Denn die rechtsradikale Netanjahu-Regierung, die auch Israel selbst schadet, fügt sowohl der israelischen Gesellschaft als auch dem Staat Israel großen Schaden zu. Mit ihrer Politik isoliert sie Israel immer stärker, untergräbt den inneren Zusammenhalt und treibt das Land in eine Sackgasse. Diese Politik zu stoppen, ist inzwischen für die gesamte Menschheit eine Notwendigkeit.

Solange gegen Israel keine Sanktionen verhängt werden, wie sie einst gegen den Apartheid-Staat Südafrika angewendet wurden, wird es nicht möglich sein, die ethnischen Säuberungen, den Völkermord und das Apartheid-Regime Israels in Palästina und Gaza zu beenden. Sanktionen sind kein Selbstzweck, sondern ein friedliches Mittel der internationalen Gemeinschaft, um schwerste Menschenrechtsverletzungen zu beenden.

Österreich muss Taten folgen lassen

Daher muss Österreich nach der Anerkennung des Staates Palästina die Einfuhr von Rüstungsgütern aus Israel beenden, die Abkommen zwischen der Europäischen Union und Israel aussetzen, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Israel überprüfen und die Programme, von denen Israel profitiert, beenden. Zudem sollte Österreich innerhalb der EU aktiv darauf drängen, dass auch Brüssel eine härtere Linie gegenüber Israel einnimmt.

Nur so kann Israel zu einem Friedensabkommen gezwungen werden. Erst dann wird eine Zwei-Staaten-Lösung möglich, in der Israel und Palästina in Sicherheit und Frieden leben können. Ein Frieden, der auf Gerechtigkeit und Gleichberechtigung basiert, ist nicht nur für Palästina und Israel notwendig, sondern auch für die Stabilität des gesamten Nahen Ostens und für die Glaubwürdigkeit der internationalen Ordnung.