Eine globale Umwelt- und Gütebewegung: Zero Waste Forum

Was einst als lokales Umweltprojekt begann, hat sich zu einer globalen Bewegung mit politischer Strahlkraft entwickelt. Zero Waste ist heute nicht nur ein ökologisches Anliegen, sondern ein Modell für verantwortungsvolle Entwicklung.

By Prof. Dr. Elif Nuroğlu
Eine globale Umwelt- und Gütebewegung: Zero Waste Forum / Foto: AA / AA

Die Zero-Waste-Bewegung, die 2017 unter der Schirmherrschaft von Emine Erdoğan ins Leben gerufen wurde, ist längst mehr als ein Umweltprojekt. Sie steht für eine umfassende Entwicklungsvision. Die Recyclingquote in Türkiye stieg von 13 auf 36 Prozent, was der nationalen Wirtschaft einen Beitrag von 256 Milliarden türkische Lira brachte. Zudem erklärte die Vereinten Nationen den 30. März zum „Internationalen Tag des Zero Waste“. Das diesjährige Internationale Zero-Waste-Forum, das vom 17. bis 19. Oktober unter dem Motto „Mensch, Raum, Wandel“ in Istanbul stattfand und Delegierte aus 108 Ländern empfing, verdeutlichte einmal mehr die weltweite Wirkung dieser Bewegung.

Parallel zum Forum fand auch die 4. offizielle Sitzung des UN-Beratungsgremiums für Zero Waste unter dem Vorsitz von Emine Erdoğan statt. Dabei wurde vorgeschlagen, die Zero-Waste-Ziele stärker mit den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) zu verknüpfen und einen ständigen Mechanismus innerhalb der UN zu schaffen. Diese Initiative stärkte erneut die führende Rolle von Türkiye in der globalen Umweltdiplomatie.

Mehr als 100 Länder, 60 Rednerinnen und Redner und 118 Institutionen nahmen an den Diskussionen teil. Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kommunen und Zivilgesellschaft tauschten sich über Themen wie Abfallmanagement, Lebensmittelverschwendung, nachhaltige Produktion und Konsum, grüne Finanzierung und intelligente Städte aus.

Am Ende wurde die Istanbul-Deklaration verabschiedet, die internationale Verpflichtungen für ein nachhaltiges Abfallmanagement enthält, die Zusammenarbeit zwischen Staat, Privatsektor und Zivilgesellschaft stärkt und einen Weg in Richtung Kreislaufwirtschaft sowie verantwortungsvollen Konsums aufzeigt. Die Botschaft ist klar: Es geht längst nicht mehr nur darum, „weniger Abfall“ zu produzieren, sondern unsere Lebensweise grundsätzlich zu überdenken.

Anreize: Je profitabler, desto schneller der Wandel

Verhaltensänderung gelingt nur durch richtige Anreize. Von den Menschen umweltbewusstes Handeln zu erwarten, reicht ohne wirtschaftliche Motivation nicht aus. Ökonomische und rechtliche Instrumente sind entscheidend, um nachhaltige Entscheidungen zu fördern.

Darauf wies auch das Forum hin. Der Bürgermeister der deutschen Stadt Tübingen stellte sein Modell zur Abfallreduzierung vor: „Besteuere, was du reduzieren willst.“ Die dort eingeführte Verpackungssteuer brachte eine Million Euro Einnahmen bei nur 100 000 Euro Verwaltungskosten. Eine Fast-Food-Kette klagte dagegen, doch das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Steuer als verfassungskonform. Dieses Beispiel zeigt, dass Umweltpolitik nicht nur durch Bewusstseinsbildung, sondern vor allem durch klug gestaltete fiskalische und rechtliche Mechanismen wirkt. Tübingen wurde damit zum Vorbild einer Politik, die Zero Waste als intelligentes und rentables Managementmodell versteht.

Ein weiteres Schwerpunktthema des Forums war die Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung und die Vorstellung innovativer, gewinnbringender Geschäftsmodelle. Besonders hervorgehoben wurde die App „Too Good To Go“, die nicht verkaufte Produkte aus Restaurants und Supermärkten zu einem günstigeren Preis anbietet – eine Lösung, die sowohl Abfälle reduziert als auch zusätzliche Einnahmen schafft. Umweltfreundliche Geschäftsmodelle sind somit kein Idealismus mehr, sondern die tragfähigen Geschäftsmodelle der Zukunft.

Jeffrey Sachs: Die unsichtbare Hand schützt die Umwelt nicht

Einer der Hauptredner, Prof. Dr. Jeffrey Sachs, machte deutlich, dass nachhaltige Entwicklung nicht nur eine ökologische, sondern ebenso eine intellektuelle und governancebezogene Aufgabe ist. „Beschränken Sie Ihre Universitäten nicht – die Zukunft eines Landes hängt von ihnen ab“, sagte er und betonte die strategische Bedeutung von Bildung und Wissenschaft.

Nach Sachs erfordert nachhaltige Entwicklung ganzheitliches Denken und wissensbasierte Führung. „Adam Smiths unsichtbare Hand schützt die Umwelt nicht, nur starke öffentliche Verantwortung und visionäre Führung können das leisten.“ Umweltprobleme ließen sich, so Sachs, nicht allein durch Marktmechanismen lösen. Er verwies erneut auf das Beispiel Tübingens, wo entschlossene Führung zu konkreten Ergebnissen führte.

Zum Schluss zog Sachs einen bemerkenswerten Vergleich: „36 Prozent des chinesischen Kabinetts haben einen Doktortitel, im US-Kabinett liegt dieser Anteil bei nahezu null.“ Diese Zahlen verdeutlichten, dass Wissen und wissenschaftlich fundierte Führung unverzichtbar für eine nachhaltige Zukunft sind.

Ökozid: Kriege zerstören nicht nur Menschen, sondern auch die Natur

Das Forum erinnerte auch an eine Wahrheit: Kriege töten nicht nur Menschen, sondern auch die Umwelt. Sie erschweren den Kampf gegen den Klimawandel und vertiefen die Wunden der Natur – besonders sichtbar im Fall Gaza. Diese Form der Zerstörung wird zunehmend als „Ökozid“ bezeichnet, denn die Folgen gefährden nicht nur die Gegenwart, sondern auch kommende Generationen. Ein Teilnehmer brachte es treffend auf den Punkt: „Das verödete Land von Gaza wird eines Tages auch uns erreichen.“ Das Ökosystem ist ein Ganzes; was an einem Ort zerstört wird, betrifft letztlich die ganze Erde.

Die Zero-Waste-Bewegung ist längst mehr als Umweltpolitik. Sie steht für die Neudefinition des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur, für ein neues Gleichgewicht zwischen Konsum, Produktion, Ethik und Wirtschaft.

Umweltbewusst zu leben bedeutet nicht nur Wahrnehmung, sondern Verantwortung und gemeinsames Handeln. Wie Emine Erdoğan betonte, sollte die Frage nicht mehr lauten: „Werde ich diese Welt retten?“, sondern: „Was kann ich tun?“ Der Wandel ist groß – aber er beginnt mit kleinen, individuellen Schritten.