Ukraine-Krieg: Endlich zielführende Verhandlungen?

Während der Krieg weiter tobt, mehren sich weltweit die politischen Vorstöße für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch. Türkiye spielt dabei eine tragende Rolle als Hoffnungsträger.

By Roland Bathon
Ukraine-Krieg: Endlich zielführende Verhandlungen? / Foto: AA / AA

In dieser Woche hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi Türkiye besucht – mit dem erklärten Willen, dort Friedensgespräche mit Russland wiederzubeleben. Bereits seit 2022 hatte es in Istanbul immer wieder Verhandlungen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs gegeben, die bisher – bis auf kleinere Abkommen etwa zu Getreidelieferungen oder Gefangenenaustauschen – ergebnislos blieben. Seitdem dauert ein blutiger Krieg mit wahrscheinlich Hunderttausenden Toten an.

Die neue, große Verhandlungsinitiative aus Kiew scheint zur Unzeit zu kommen. US-Präsident Donald Trump ist mit sehr umfangreichen Vermittlungs- und Friedensbemühungen in diesem Jahr gerade erst gescheitert. Der Trump-Putin-Gipfel in Alaska brachte keine Fortschritte; ein Folgetreffen wird es auf absehbare Zeit nicht geben.

Doch war dieser Misserfolg zu einem großen Teil Trumps polternder und wenig durchdachter Verhandlungstaktik geschuldet. Während er gegenüber Moskau mit „Zuckerbrot und Peitsche“ – Phasen sehr weiten Entgegenkommens und sehr harter Drohungen – arbeitete, drohte er der Ukraine ständig mit dem Entzug der Unterstützung. Das alles geschah, um einen von den USA organisierten „Deal“ schmackhaft zu machen, hatte jedoch real eine fatale Wirkung auf Moskau.

Kompromiss? Moskau sieht keinen Anlass

In der russischen Führung entstand der Eindruck, die USA könnten Friedensbedingungen durchsetzen, die nahe an den eigenen Kriegszielen liegen. Oder – im Fall eines Scheiterns – einen Rückzug der USA aus der Ukraine-Unterstützung erreichen, was einen militärischen Sieg Russlands in greifbare Nähe gerückt hätte. In den Phasen der Washingtoner „Peitsche“ wiederum wurde Moskau dann immer wieder von den Vereinigten Staaten vor den Kopf gestoßen, als wollten sie von oben herab etwas diktieren. Moskau sieht sich jedoch – seinem Selbstbild nach – als Macht, die sich Drohungen des früheren Erzfeinds in Washington nicht beugt und eine multipolare Weltordnung bereits als Realität betrachtet.

Hier stellt sich die Frage, inwieweit für den Kreml aufgrund dieses Vorgehens überhaupt eine Motivation bestand, Zugeständnisse in Form von Abkommen zu machen. Solche von beiden Seiten sind jedoch das Wesen jedes Kompromissfriedens – und ein Kompromissfrieden ist die einzige Möglichkeit, kurz- oder mittelfristig das Sterben in der Ukraine zu beenden.

Das weiß auch Selenskyi, der mehrfach Verhandlungen direkt mit Putin angeregt hat. Dabei hat er die eigene Bevölkerung hinter sich: Laut einer Gallup-Umfrage vom Sommer 2025 befürworten 69 Prozent der Ukrainer aktuell einen Verhandlungsfrieden. Das Land ist schwer gebeutelt von massiven Zerstörungen und großen Opfern – Folgen von dreieinhalb Jahren Krieg, die vor allem auf dem eigenen Boden ausgetragen wurden.

Ankara – der neue diplomatische Mittelpunkt?

Türkiye wird dabei von zahlreichen außenpolitischen Experten und Regierungsfunktionären als idealer Verhandlungsort gesehen. „Unter allen möglichen Vermittlerländern ist die Türkei meiner Ansicht nach am besten geeignet“, erklärte der ukrainische Botschafter in Ankara im August in der The New Voice of Ukraine. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dränge aktiv auf Spitzentreffen und stehe mit allen Beteiligten im direkten telefonischen Kontakt.

Hajo Funke, Politologe an der Freien Universität Berlin, erklärte gegenüber der türkischen Agentur Anadolu Agency schon im Mai 2025, dass Istanbul der beste Ort für Verhandlungen sei. Weder westliche Hauptstädte noch das saudische Riad seien hierfür geeignet. Selbst der Außenminister Polens – sonst eher ein Hardliner gegenüber Moskau – zeigte sich gegenüber TVP World überzeugt, dass Türkiye „das Kommunikationskanäle offenhält“ und vor allem die Volksrepublik China als einzige über die Mittel verfüge, Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Putin verhandelt nur, wenn er sicher gewinnt

Genau die Frage, ob Putin bald selbst an den Verhandlungstisch tritt, ist ein strittiger Punkt zwischen den beiden Kriegsgegnern. Während die Ukraine Verhandlungen auf höchstem Niveau und einen baldigen Waffenstillstand favorisiert, will Russland zunächst Gespräche auf Expertenebene mit einem konkreten Ergebnis, bevor es zu einem Waffenstillstand kommen könne. Aus diesem Grund werfen viele westliche Vertreter Moskau vor, die Verhandlungen gar nicht ernsthaft zu führen und nur mit untergeordneten Vertretern zu bestreiten.

Es ist jedoch ein vorschnelles Urteil, daraus gleich einen fehlenden Verhandlungswillen des Kremls abzuleiten. Denn auch in der russischen Bevölkerung macht sich immer mehr Kriegsmüdigkeit breit. Fast jede Familie oder Community kennt inzwischen konkrete Fälle von Gefallenen beim Feldzug im Nachbarland – wenn sie nicht sogar selbst betroffen ist. Die zermürbende, immer wieder feststeckende Daueroffensive der russischen Truppen fordert einen blutigen Tribut in den eigenen Reihen. Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums im Sommer 2025 befürworten auch 64 Prozent der Russen Friedensverhandlungen mit der Ukraine.

Nun ist Russland keine Demokratie, doch gegen den Willen der Bevölkerung kann das Polit-Establishment dennoch nicht unbegrenzt Krieg führen. Wichtig ist ihm vor allem die Stabilität der eigenen Herrschaft im Land – und diese würde durch eine Niederlage ebenso beschädigt wie durch die unbefristete Fortsetzung eines unpopulären Krieges. Auch deswegen möchte sich Putin persönlich nur an Verhandlungen beteiligen, die mit einem nahezu sicheren Erfolg enden. Eine am Ende ergebnislose Anreise zu einem Friedensgipfel würde ihm bei der aktuellen Stimmung in der Bevölkerung nichts nützen. Ein Friedensschluss mit Gesichtswahrung stabilisiert dagegen seine Herrschaft.

Neue Chancen für Frieden

Die Kriegsmoral wird – wie in der Ukraine – auch in Russland aktuell getrübt von der fortschreitenden gegenseitigen Zerstörung von Infrastruktur durch Drohnen, Raketen und Marschflugkörper. Dadurch spüren auch diejenigen, die nicht an der Front sind, die Folgen des andauernden Krieges sehr direkt: am eigenen Körper, im Geldbeutel oder in neuen Warteschlangen. Die Auseinandersetzung wandert von den Dauernachrichten der Medien zunehmend in das eigene Erleben. Das wird dazu beitragen, dass die Kriegsbegeisterung weiter abnimmt und selbst autoritäre Regierungen den Friedenswunsch der Bevölkerung nicht länger ignorieren können. Zusätzlich steigern große Schlachten wie die um Pokrowsk die Verluste auf beiden Seiten – was diesen Weg beschleunigt.

Donald Trump hat ebenfalls erkannt, dass trotz seines bisherigen Misserfolgs das Zeitfenster für Verhandlungen noch nicht geschlossen ist. Wie das Wall Street Journal und Politico berichten, ist bereits wieder eine US-Delegation unter Leitung eines Ministers in Kiew und Moskau zu Friedensgesprächen unterwegs. Der Schwerpunkt der Delegation liegt dieses Mal auf Militärs, da das Weiße Haus glaubt, Moskau sei offener für militärisch verhandelte Ergebnisse. Ob das zielführender wird als bisher, bleibt abzuwarten.

Doch in Zeiten einer zunehmend multipolaren Welt hängt es eben nicht mehr nur von den USA ab, ob ein Frieden oder wenigstens ein Waffenstillstand im Osten Europas möglich ist. Die Europäer müssen aufhören, aus transatlantischer Tradition den Blick nur nach Washington zu richten. Wichtige Initiativen für einen Frieden können ebenso gut aus Peking, Brüssel, Ankara oder Berlin kommen – sie müssen nur initiiert und umgesetzt werden.